Silas. Rebecca Vonzun

Silas - Rebecca Vonzun


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zu quälen. Nachdem er etwa zum hundertsten Mal „Ääähm… das weiss ich nicht…“ gesagt hatte, erlöste ihn endlich die Schulglocke.

      Bester Laune stürmte er nach Hause (die Mathestunde war ihm ja so was von piepegal), schleuderte den Rucksack in eine Ecke, driftete auf seinen Ringelsocken über das Parkett (das war einer seiner besten Tricks) und warf sich auf seinen Stuhl, wo Mom und Dad bereits am Tisch sassen und Dad schon ungeduldig auf die Uhr in der Küche spähte.

      „Ratet mal, was…“, begann Silas und strahlte die beiden an.

      „Wo sind deine Hausschuhe, Mister? Und schleif nicht immer so über den Boden, deine Socken bekommen Löcher.“, unterbrach ihn Mom und stiess den Löffel in die Auflaufform.

      „Ach, lass ihn doch, beginnen wir jetzt lieber endlich, du weißt doch, dass ich heute nur kurze Mittagspause habe, Lisbeth!“, unterbrach sie wiederum Dad, gereizt auf die Lasagne starrend. Das begann ja super.

      „Ratet mal, wozu mich Cédric heute einlä…“, startete Silas einen zweiten Versuch, brennend darauf, seine News loszuwerden.

      „Ach, pass doch auf, jetzt muss ich mir ein neues Hemd anziehen, verflu...ixt nochmals!!“, brachte ihn der Ausruf von Dad zum Schweigen, welcher hektisch mit der Serviette über den roten Saucenfleck auf seiner Manschette wischte, welcher Mom vom Löffel getropft war. Durch das Gewische wurde der Fleck nur immer grösser. Fasziniert starrte Silas auf Dads weisses Hemd, dessen rechtes Ärmelende jetzt hellorange gefleckt war.

      „Himmel, nun schrei mich doch nicht an, Harald, man kann auch anständig mit mir reden!“ Mom setzte ihren in-diesem-Ton-unterhalte-ich-mich-nicht-Blick auf und musterte Dad mit hochgezogenen Augenbrauen. Silas rollte die Augen himmelwärts. Langsam wurde es ihm zu bunt. Gerade als er erneut Luft holen wollte, um zwischen zwei Bissen (die Lasagne war wirklich gut) endlich von seinen Neuigkeiten zu berichten, erhob sich Dad vom Stuhl, warf die Serviette neben den Teller, grummelte etwas von „Muss jetzt eh los, war ja mal wieder eine erholsame Mittagspause…“ und knöpfte sich bereits das Hemd auf, während er in Richtung Tür lief.

      „Könnte mir jetzt vielleicht mal irgendjemand zuhören??!“, explodierte Silas in diesem Moment und knallte seine Gabel auf den Tisch. Erschrocken hielten seine Eltern inne und starrten Silas verblüfft an. Na also.

      „Cédric lädt mich und ein paar Freunde heute Abend zum Essen ein. Ich komme also erst spät.“, informierte er und liess bewusst den Hinweis ChickenMcKing weg und auch die Erklärung, was spät genau bedeutete. Dann nahm er seine Gabel wieder in die Hand und schob sich seelenruhig eine weitere Ladung Lasagne in den Mund, äusserst zufrieden mit sich selbst.

      „Mooment mal, Kleiner“, meinte Dad und kam langsam an den Esstisch zurück. „Was genau verstehst du unter ‚spät’?“ Silas hasste es, wenn sein Dad ihn Kleiner nannte. Er war doch kein Baby.

      „Ja, und wo genau esst ihr und wer ist alles dabei?“, wollte Mom sofort wissen.

      Silas seufzte ergeben. Es hätte ja sein können. Das war mal wieder typisch, kaum war mal was mit ihm, verstanden sich seine Eltern urplötzlich wieder und verbündeten sich gegen ihn.

      „Naja, Cédric, Kevin, Jan, Jonas und ich… und noch so ein paar Fünftklässler“, murmelte er und steckte sich ganz schnell die nächste Gabel Lasagne in den Mund.

      „Ein paar Fünftklässler? Kennen wir die?“, fragte Dad misstrauisch.

      „Und die Antwort auf das Wo…?“ Das war Mom, hartnäckig wie immer.

      „Chknmgkng“, nuschelte er mit vollem Mund und tat so, als ob der Bissen in seinem Mund besonders schwer zu zerkauen wäre.

      „Bitte?“, fragte sein Vater, blickte ungeduldig auf die Uhr und klopfte mit den Fingern auf die Tischkante.

      Es hatte keinen Sinn. „Wir gehen in den ChickenMcKing! Alle kommen und es wird super… bitte, ich muss...“

      „Das kannst du mal gleich vergessen, du kennst die Regel, Silas. Kein Fastfood unter der Woche.“, sagte seine Mom entschieden, schöpfte sich von der Lasagne nach und für sie war das Thema scheinbar damit erledigt.

      „Bitte, ich muss da einfach hingehen, alle kommen!! Bitte, ich wasche dafür auch ab und räume den Tisch ab und…“, bettelte Silas und schaute verzweifelt von Mom zu Dad.

      „Diskussion beendet, Kleiner!“ Dad erhob sich, schlüpfte aus dem Hemd und verliess den Raum mit raschen Schritten und einem erneuten Blick auf die Uhr. Kurz darauf sein übliches „Ich muss los!“, woraufhin Mom zur Türe eilte, um ihn zu verabschieden. Dasselbe Theater wie jeden Tag. Silas blieb alleine am Tisch zurück. Bittere Enttäuschung und ungeheure Wut durchströmten ihn. Alles war verdorben, nur wegen der ewigen blöden Regeln. Er schob seinen noch halb vollen Teller weg. Sollte seine doofe Mom doch alleine zu Ende essen. Wenn er genau darüber nachdachte, war die Lasagne gar nicht so gut wie er zunächst gedacht hatte.

      Das war heute Mittag gewesen. Der Nachmittag wurde dann noch schlimmer. Er musste seinen Freunden nach der Schule erklären, dass er nicht mitkommen konnte und kam sich dabei vor wie ein Baby. Silas schämte sich zu Tode und kam sich so furchtbar uncool vor, als Cédric nur mit den Schultern zuckte.

      „Schade auch! Hey, was meint ihr, probieren wir den DarkChicken oder sollen wir lieber doch den BigChickenPrince….?“, und sich an der Seite von Kevin und Livia inmitten der Gruppe zum Bus abwandte, Silas bereits vergessen.

      Ein Horrortag. Und jetzt lag er auf seinem Bett, der Magen schmerzte vor Heisshunger und er hasste die ganze Welt.

      ***

      Er musste eingeschlafen sein. Als er die Augen aufschlug war es draussen stockdunkel und aus dem Rest des Hauses war kein Geräusch zu hören. Silas schlich sich barfuss in die Küche und plünderte den Kühlschrank. Ein Klappergerüst konnte er auch morgen noch werden, jetzt hatte er erst mal einen Riesenhunger.

      Finsternis

      Lavendula war beinahe nicht zu erkennen auf ihrem Ast vor der Höhle. Es war fast dunkel und nur wenn man ganz genau hinsah, bemerkte man ihre leuchtenden Augen – mal eines, dann beide, dann wieder nur eines. Seit Stunden schon sass sie so da und wartete auf die Nacht. Lavendula war heute viel zu früh erwacht, ein ungutes Gefühl hinderte sie am Schlafen. So wachte sie über das langsame Eindunkeln, blinzelte ab und zu und dachte nach. Wenn sie ein Auge schloss, konnte sie besser denken. Das ungute Gefühl war da, seit sie die Geburt des Serins gespürt hatte. Und es schien, als ob es von Tag zu Tag stärker würde.

      Die Tiere hatten sich wieder in ihre Bereiche des Waldes verzogen, den Serin hatten sie auch nach langer Suche nicht finden können. Auf den ersten Blick schien es, als ob wieder alles so wie vorher wäre. Nur das ungute Gefühl bewies, dass irgendetwas im Gange war. Lavendula wusste nicht weiter. Sie schloss das rechte Auge. Es kam ihr so vor, als ob es heute früher dunkel geworden wäre. Noch war es nicht Nacht, doch es war bereits finster. Finsterer als sonst. Mit einem leisen Aufschrei erhob sie sich in die Luft und schwang sich durchs Geäst aufwärts, dem Blätterdach entgegen. Es war still. Auf einem der obersten Äste hielt Lavendula inne. Es war zu still. Wo waren die Bewohner des oberen Teils? Mit scharfem Blick sah sie sich um. Und da bemerkte sie es. Sie war alleine. Keine Vögel. Keine Hörnchen. Leere Nester… Noch aufmerksamer liess sie ihren Eulenblick durchs Gehölz schweifen. Ihr Eulenherz zog sich vor Entsetzen zusammen. Abgestorbene Blätter. Verwelkte Blüten. Faule Früchte. Ein unangenehmer Geruch lag in der Luft. Der Geruch nach Verwesung. Lavendula schwang sich erneut in die Luft, stieg lautlos noch höher, immer höher, bis über das Blätterdach hinaus. Schwere, schwarze Wolken hingen über dem Abendhimmel. Blitze zuckten lautlos und tauchten den Wunderwald in regelmässigen Abständen in unheimliches Licht. Es war kalt. Lavendula erschauderte. Währenddem sie ihre Kreise zog, durchströmte sie unerklärliche, durchdringende Furcht. Der oberste Teil des Baumes


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