Heine hardcore II - Die späten Jahre. Freudhold Riesenharf

Heine hardcore II - Die späten Jahre - Freudhold Riesenharf


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soll die Brotfrucht aus Tahiti nach England bringen. Es untersteht dem Kommando des berüchtigten Kapitäns Bligh, der bald, nachdem sie den Hafen verlassen haben, eine tyrannische Herrschaft auf seinem Schiff ausübt. Geringe Vergehen der Mannschaft werden mit der neunschwänzigen Katze und anderen Foltern bestraft. Als Blighs anfänglicher Plan, Kap Hoorn zu umsegeln, der rauen Wetterlagen wegen scheitert, muss die Bounty, anstatt wie beabsichtigt durch die kürzere Route Zeit einzusparen, umkehren und den langen Weg um Afrika und Australien machen. Bligh setzt die Besatzung immer mehr unter Druck, um die durch den Fehlschlag verlorene Zeit wieder einzuholen. Neben dem aufsässigen Matrosen Mills wagt es lediglich Blighs Erster Offizier, der charismatische Fletcher Christian, sich ihm zu widersetzen. Auf Tahiti angekommen, hat die Ruheperiode der Brotfruchtbäume bereits eingesetzt, ein Umpflanzen für den Transport ist nicht möglich. So widmen sich die Männer unter Blighs scheelsüchtigen Blicken einige glückliche Monate lang den einheimischen Frauen. Den Tahitianerinnen.

      Diese Frauen tanzen in Hularöckchen halbnackt, nur mit einem Lendenschurz umkleidet, mit beschwingten Hürften und wippenden Brüsten um die Männer herum. Christian verliebt sich in Maimiti, die Tochter des Häuptlings Hitihiti, die von Tarita Tumi Teriipaia, einer hinreißenden polynesischen Tänzerin, gespielt wird. Wer könnte es ihm verdenken? Die wirkliche Teriipaia arbeitet zu dieser Zeit in einem Restaurant als Tellerwäscherin und Tänzerin. Sie wird für die Rolle gewählt, weil sie wundervoll tanzt, sehr schön ist und genau dem Typ der wollüstig-unschuldigen Südsee-Schönheit entspricht, der den Produzenten vorschwebt. Die Rolle ist schauspielerisch so bescheiden, dass ihre Unerfahrenheit vor der Kamera keine Probleme macht.

      Unvergesslich ist Harry die Szene, wo Tarita und Fletcher mit bunten Blumenkränzen um den Hals sich allein unter Palmen, unterlegt mit ungemein romantischer Musik, hingebungsvoll küssen. „Ja, Fletcher!“, sagt Tarita, woraufhin sie zusammen hinter einem der üppig wuchernden Büsche zu Boden gleiten und dem Blick entschwinden. Die Frage, worauf das die Antwort ist, kann er sich nur noch denken. Ausgerechnet da kommt, gleichfalls mit bunten Blumenkränzen um den Hals, die gar nicht zu ihm passen, der steife Bligh vorbei, linst scheelsüchtig hinter den Busch und ruft seinen Offizier: „Mister Christian!“ Im Hintergrund immer noch die verträumt romantische Musik. Als Antwort kommt hinter dem Busch hervor witzigerweise: „Nicht zu Hause!“ Kurz darauf erscheint Marlon, seine Uniform ordnend, aus den Büschen: „Was gibt’s?“ – „Die Tochter des Königs“, ruft ihn der Kapitän zur Räson, „sollte Ihnen heilig sein. Vergessen Sie nicht, wir stehen hier im Namen der Krone. Ihre Lüsternheit können Sie anderswo befriedigen.“

      Lüsternheit, sagt er. Wer könnte es ihm verdenken? Wozu sonst hätte man Tarita gecastet? Christian überlegt einen Moment und entschließt sich unter trockenem Lachen zu einer ironischen Auskunft: „Wenn man es recht betrachtet“, erklärt er mit abgewandtem Blick und schulmeisterlicher Miene, „haben wir uns überhaupt nur unterhalten über die Vielfalt der Vegetation hier, denn die Möglichkeiten im Urwald sind ...“ – Natürlich merkt Bligh, dass er verhöhnt wird, und unterbricht ihn: „Führen Sie sofort den Befehl aus!“ Christian überlegt einen Augenblick, was das für ein Befehl sein könnte, bevor er mit militätischer Miene spöttisch erwidert: „Lüsternheit anderswo befriedigen, jawohl!“ – „Aber nicht heute“, maßregelt ihn Bligh. „Melden Sie sich sofort an Bord!“ Er wendet sich ab und geht weg. Christian sieht ihm einen Moment lang nach und überlegt wohl, ob er dem Befehl nachkommen oder zu der am Boden liegenden Tarita zurückkehren soll. Dann zerreißt er resigniert seine Blumenkränze. „Hirnverbrannter Idiot!“, sagt er, und zu Tarita hinter dem Busch: „Unterricht muss heute ausfallen.“ Und geht ohne weiteren Abschied ab. Kurz danach kommt Tarita hinter dem Busch hervor, das Röckchen über den braunen Schenkeln bis an die Hüften hochgeschoben … Der südseeinsulanische Liebestraum ist vorübergehend gestört. Coitus interruptus, denkt Harry, falls er zu der Zeit schon das Wort dafür kennt.

      Tarita wird während der Dreharbeiten von Marlon Brando persönlich betreut. Dieser macht zwischen Film und Wirklichkeit offenbar keinen großen Unterschied, da er mit ihr auch persönlich Liebe macht, die – mit einigen Unterbrechungen – bis zu seinem Lebensende dauert. 1963 wird ihr gemeinsamer Sohn Teihotu geboren, 1970 ihre Tochter Tarita Zumi Cheyenne. Seit Teihotus Geburt lebt Tarita meist auf einem Strandanwesen in Papeete, das Brando für sie erwirbt.

      Auch sonst scheint Marlon nicht sonderlich zwischen Film und Wirklichkeit zu unterscheiden. Er gilt als sexualsüchtig und hat zahllose kurze wie lange Affären mit Frauen wie Marilyn Monroe, Marlene Dietrich, Joanne Woodward, Pier Angeli, France Nuyen, Ursula Andress, Katy Jurado, und nach eigener Auskunft auch mit Männern. Dauerhaftere Beziehungen unterhält er u. a. mit Stella Adlers Tochter Ellen und den Schauspielerinnen Rita Moreno and Jill Banner. 1957 heiratet er Anna Kashfi, die aber schon ein Jahr später die Scheidung einreicht. Um das Sorgerecht für ihren 1958 geborenen Sohn Christian liefern Brando und Kashfi sich einen bis 1974 dauernden Rechtsstreit. 1960 heiratet er die mexikanisch-amerikanische Schauspielerin Maria ,Movita' Castaneda, die 1967 die Scheidung einreicht. Während der Ehe werden die Kinder Sergio und Rebecca geboren, deren Vaterschaft jedoch strittig ist. Über 43 Jahre, bis zu seinem Tod, ist er mit Tarita und ihren beiden Kindern Teihotu und Cheyenne zuammen. Drei gemeinsame Kinder hat er aber auch mit seiner guatemaltekischen Haushälterin Cristina Ruiz … –

      Insgesamt zeugt Brando sieben Kinder mit vier verschiedenen Frauen. Dass er sexsüchtig sei, klingt aber ziemlich beliebig, denn wie sollte man definieren können, wie oft ein Mensch einschlägig aktiv sein darf, damit sein Sexualverhalten noch als normal gilt? So scheint Kinseys ironisches Wort über die Nymphomanie, entsprechend abgewandelt, auch für die Sexsucht zu gelten: „A nymphomaniac is a woman who has more sex than you do. Eine Nymphomanin ist eine Frau, die mehr Sex hat als Sie.“

      Überhaupt scheint ,Sexucht' ein neuer modischer Begriff, den es zu Brandos Zeit vielleicht noch gar nicht gibt, in der ein übersteigertes sexuelles Verlangen noch nicht als unnormal gilt, so dass man es ihm erst im nachhinein unterstellt. War Mozart dann vielleicht musikalsüchtig? Oder Gauß und Einstein intellektualsüchtig? Harry ist von soviel Promiskuitivität fasziniert und muss sich fragen, ob nicht auch seinem Temperament eigentlich ein Lebenslauf wie der Marlons entspräche. Berufen sind offenbar viele, aber nur wenige auserwählt. Damit zugleich spürt er aber auch einen inneren Hang zur Liebestreue und einen monogamen Charakter in sich. Natürlich kann ein Mann mehrere Frauen lieben und mit jeder von ihnen glücklich sein. Die Frage ist nur, ob auch eine Frau mit mehr als einem Mann glücklich sein kann. Scheint das ,Glück' eines Mannes bei den Frauen, wenn Marlon irgend glücklich war, doch oft genug gleich dem Unglück der Frauen. Harry liebt die Frauen so sehr, dass er nicht eine von ihnen enttäuschen will. Noch weiß er nicht, dass das das eigentliche Problem seines Lebens ist: seine anarchische Sinnlichkeit und die Anarchie seines Blutes mit der vernunftgeordneten Einrichtung der Welt in Übereinstimmung zu bringen … –

      28: Nadine

      Neuerdings ist es die Antigone des französischen Dramatikers Jean Anouilh im Düsseldorfer Nationaltheater, die er mit Giselle besucht. Es basiert auf der Tragödie des Sophokles. Anouilh behält als Schauplatz Theben bei, verlegt die Handlung aber ins 20. Jahrhundert. Dabei verbindet er antike Tragik mit existentialistischer Philosophie; Harry ist verblüfft, wie die verschiedenen geistigen Welten hier aufeinanderprallen. Es ist ein Klassiker des modernen französischen Theaters und eine der meistdiskutierten Arbeiten Anouilhs. Seine Übertragung des antiken Stoffes ins 20. Jahrhundert wird durch eingestreute Dinge wie Autos oder Zigaretten äußerlich illustriert.

      Dass Antigone ihren Bruder Polyneikos gegen König Kreons Verbot bestattet und dafür die Todesstrafe auf sich nimmt, gilt als Sinnbild für den französischen Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht. Aus der historischen Verlagerung ergeben sich vor allem veränderte moralische Konsequenzen. Bei Sophokles lehnt Antigone sich gegen Kreon auf, um einem ewigen göttlichen Gesetz zu gehorchen. Bei Anouilh glauben weder Kreon noch Antigone mehr an irgendeine Götterwelt. Ihre Auseinandersetzung ist eher ein Generationenkonflikt. Anouilhs Kreon ist ein Herrscher voller Widersprüche und Zweifel, kein Despot, der über Leichen geht. Für die junge, leidenschaftliche Antigone sind seine relativierende Weltsicht und politische Pragmatik unattraktiv. Sie sehnt sich


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