Heine hardcore II - Die späten Jahre. Freudhold Riesenharf
Harry profitiert. Zumindest visuell. Jetzt ist der Weg seiner süßesten Garnichtsgedanken vom Knie der Dame aufwärts wesentlich kürzer als früher. Aber was hat er wirklich davon? Der Strumpf am Spann ist da, doch wo er endet, ist weit von mir, kann er mit den Versen des jungen Gottfried Benn nur klagen.
Als er in der Klasse in seinem Schwerpunktfach Deutsch einen ausgiebigen Vortrag über Benns Gedicht Untergrundbahn hält, ist ein Kollege Kramers – der jetzt Baumgartner heißt –, namens Spach, mit in der Zuhörerschaft. Der ist offenbar zeichnerisch begabt, denn nach dem Vortrag überhändigt er ihm eine angefertigte Zeichnung, der ihn am Stehpult zeigt – mit einer großen Gedankenblase über dem Kopf, in der sich eine nackte Frau räkelt. Es erinnert ihn an die Zeichnung, die einmal in einem anderen Leben ein Münchner Kunstjünger von ihm gemacht hat, und mit ärgerlicher Verlegenheit betrachtet der Abkonterfeite dieses schlagende Argument, dass dem Maler doch unter Umständen auch einige Macht über den Dichter gegeben sei. Sollte das eine Kritik an seiner Interpetation sein? Wie anders aber hätte man Benn denn bitte interpretieren sollen?
Einmal sieht er am Alsterstrand von hinten, wie eine sonnenübergossene junge Frau mit einem ganz kurzen Mikrorock sich über einen Obststand beugt, um die Qualität der Früchte zu prüfen. Dabei rutscht der Saum so weit hoch, dass über ihren sonnenumgleißten Wammen der Ansatz ihres weißen eingezwängten Slips aufblitzt. In seinen Lenden schießt eine Stichflamme hoch. Sie ist genau seine Kragenweite. Er wittert was wie Büchners Danton „in der Atmosphäre; es ist, als brüte die Sonne Unzucht aus. Möchte man nicht drunter springen, sich die Hosen vom Leibe reißen und sich über den Hintern begatten wie die Hunde auf der Gasse?“ Warum kann er nicht einfach von hinten an sie ran, ihr den Rock noch etwas höher raffen, und den Slip über die Schenkel herunter, und sie auf offener Straße wie ein Hund von hinten über den Früchten begatten? Ein peruanischer Freund, der ihn begleitet, und der dasselbe sieht, bemerkt:
„Las mujeres me alocan. – Die Frauen machen mich verrückt.“
In seiner Vorstellungswelt wimmelt es nun von Frauenröcken zwischen Knie und Saumhöhe. Manche davon, die so genannten Hot pants, sind so knapp, dass seine Gedanken sich an der Stelle stauen, wo der fransige Rand so in den obersten Oberschenkel schneidet, dass sich an dem weichen Fleisch eine kleine Ausbuchtung bildet.
Die frühen Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts bringen im subkulturellen Untergrund den so genannten Sexfilm. Nicht allein mehr, dass man die hübschesten Frauen spärlich bekleidet auf der Leinwand sieht, jetzt sind sie ganz nackt bis aufs Evaskostüm ausgezogen und tun so, wie wenn sie wirklich kopulierten. Manchmal geht auch Harry hin. So sieht er, um nur ein Beispiel zu nennen, die italienische Produktion Malizia mit der hinreißend schönen Laura Antonelli.
Der in Rom gut situierte Ignazio La Brocca, so die Handlung, hat kaum seine herrschsüchtige Frau beerdigt, da steht das neue Dienstmädchen vor der Tür – Angela, die von der Frau noch kurz vor ihrem Tod angestellt wurde. Man versteht gar nicht, wie die Frau ihrem Mann ein so verfängliches Ding ins Haus lassen kann, nachdem der seinerzeit von Dr. Wertheim für Henri engagierten Krankenpflegerin Mariette von Mathilde die Tür gewiesen wurde.
Schon beim ersten Anblick schnellt der Hormonpegel des Witwers alarmierend in die Höhe. Er und seine drei Söhne gewöhnen sich schnell an die Fürsorglichkeit der neuen Dienstbotin. So wenig an ihrer Hausarbeit auszusetzen ist, gilt die allgemeine Idolatrie des Männerhaushalts doch ungleich mehr noch ihrer erotischen Attraktivität. Der ältere Sohn, Antonio, wird immer zudringlicher und lässt keine Gelegenheit aus, die junge Frau zu bedrängen. Auch der Witwer selbst kann der Versuchung nicht widerstehen und macht ihr, nach Rücksprache mit einem Priester, trotz der kurzen Zeit seit dem Tod seiner Frau einen Heiratsantrag. Sie bedingt sich dafür aber das Einverständnis seiner Kinder aus. Der 18-jährige Antonio, der 6-jährige Enzino sind einverstanden, nur der 14-jährige Nino, in seiner pubertär-chaotischen Gefühlswelt Angela blind begehrend, verweigert sich.
Nino will, besessen von seinen seit kurzem erwachten erotischen Phantasien, Angela erpressen und verlangt immer dreister nach ihrer sexuellen Gunst. In seiner pubertären Unschuld hält er sie wie vom Schicksal geschickt, um ihn in die ersten Weihen der Liebe einzuführen. Die Konkurrenz zwischen Vater und Sohn vollzieht sich mit südländischem Temperament. Zwischen Angela und Nino kommt es zu einer heimlichen Beziehung auf Gegenseitigkeit, in der sie gezwungen ist, die erotischen Bedürfnisse des Pubertiers zu befriedigen, damit dieser ihrer Verehelichung zustimmt. Nach einer Reihe überfallartiger Besuche und geheimer Stelldicheins kommt es zu Ninos sexueller Initiation. Man sieht, während draußen gerade ein Learsches Gewitter tobt, die beiden wild zusammen rangelnd im Bett und kann sich vorstellen, wie der frühreife Junge Angelas üppiges Geschlecht penetriert. Der Hochzeit zwischen Ignazio und Angela steht somit nichts mehr im Wege.
Eigentlich sollte Harry über die Pubertät schon so weit hinaus sein, um sich noch mit Nino zu identifizieren. Anderseits ist ihm dessen Drangsäligkeit nach wie vor allzu vertraut. Hat er doch immer noch keine Frau, so dass er's ihm besser nachfühlt, als ihm lieb ist. Außerdem ist die Antonelli so hinreißend sexy, dass er nicht anders kann, als im Kino unterm Regenmantel zu masturbieren. – Einmal liest er in einer Zeitung, dass die Schauspielerin die Geliebte des französischen Action-Stars Jean-Paul Belmondo ist. Eines der Flittchen, die sich der smarte Franzose unter den Nagel reißt. Nicht zu sagen, wie er ihn um die Schickse beneidet! Belmondo gehört mit zu den berüchtigsten Frauenhelden der Zeit. Wieder einmal spürt er hebephrenisch stacheligen Sexualneid.
An der Schwelle zur pornografischen Ära steht der Film Der letzte Tango in Paris des italienischen Regisseurs Bernardo Bertolucci 1972, mit Maria Schneider und dem inzwischen in die Jahre gekommenen Marlon Brando: Der 45-jährige angegraute Amerikaner Paul lebt seit einiger Zeit in Paris. Seine französische Frau Rosa hat Selbstmord begangen. Er trifft auf Jeanne, eine 20-jährige Französin, die so vor sich hinlebt. Bei der Besichtigung einer Wohnung kommt es spontan, ohne dass sie sich erst miteinander bekannt gemacht hätten, zu einem wilden Geschlechtsakt, woraufhin sie wortlos die Wohnung verlassen. Als Jeanne am nächsten Tag wiederkommt, drängt Paul darauf, dass sie einander nichts von ihrem Leben erzählen und sich künftig nur in dieser Wohnung treffen, um miteinander zu schlafen. Jeannes Verlobter Tom, ein Jungfilmer, dreht fürs Fernsehen einen Pseudo-Cinéma-vérité-Streifen über sie. Zunächst empört darüber, dass er sie nicht nach ihrem Einverständnis gefragt hat, berichtet sie vor der Kamera doch von ihrer Familie und Kindheit. Derweil forscht Paul dem Tod von Rosa nach. In der heruntergekommenen Absteige, die sie führte, besichtigt er das Bad, in dem sie sich getötet hat; ein Dienstmädchen spielt ihr Vorgehen nach. Danach streitet er mit seiner Schwiegermutter, die ein kirchliches Begräbnis mit Priester, Blumen und Karten will, während er ihr wütend einen Priester verbietet.
Das nächste Mal sieht man Paul und Jeanne nackt umeinandergeschlungen sitzen. Das Verbot, von ihrem Leben zu erzählen, halten sie ein. Paul erzählt aber von seinen Eltern und seiner Jugend im ländlichen Amerika; Jeanne erzählt von ihren bisherigen sexuellen Erfahrungen und masturbiert. Wie Paul entdeckt, war einer der im Hotel einquartierten Bewohner, Marcel, der Geliebte seiner Frau. Paul und Marcel haben eine lange Unterhaltung, doch versteht Paul nicht, was Rosa in ihm gesehen hat. Beim nächsten Treffen vergewaltigt Paul Jeanne und erzwingt mit Butter als Gleitmittel analen Verkehr. Aus Revanche verpasst sie ihm mit einem Plattenspieler einen Stromschlag. Jeanne trifft erneut Tom, der ihr vor laufender Kamera vorschlägt, in einer Woche zu heiraten. Tom möchte mit ihr eine ,Pop-Ehe' führen. Von der Brautkleidanprobe läuft sie über zu Paul. Sie erklärt ihm, in ihm den Mann fürs Leben gefunden zu haben. Er fordert sie auf, sich die Fingernägel zu schneiden und ihre Finger in seinen Hintern zu stecken. Dann begibt er sich in den Raum, in dem seine Frau aufgebahrt liegt, und hält einen anklagenden Monolog. Weinend bringt er hervor, dass er in ihrer Ehe keine Zuneigung gefunden, dass sie ihn belogen und betrogen habe.
Als Jeanne wieder in die Wohnung kommt, ist Paul ausgezogen. So holt sie Tom, um die Wohnung zu besichtigen. Tom gefällt sie aber nicht. Jeanne verlässt die Wohnung nach Tom. Auf der Straße läuft ihr Paul nach, breitet sein Leben vor ihr aus und schlägt ihr vor, dass sie heiraten. In einem Lokal mit einem biederen Tangowettbewerb Pariser Bürger versucht er vergeblich, sie zu überzeugen. Sie stören mit ihrem Tanz die Paare auf der Tanzfläche und