Losing Game. Valuta Tomas
»Keine Panik. Die Agentur ist sehr seriös und achtet darauf, dass alle Regeln eingehalten werden. Ich fasse keinen der Männer an und niemand von denen darf mich anfassen«, kommt sie Neves Gedanken zuvor. Sie lächelt noch immer selbstgerecht. Neve beugt sich etwas zu ihr vor und blickt ihr direkt in die Augen.
»Du und deine Art zu leben, widert mich bis ins Mark an!«, faucht sie leise, greift an Sam vorbei und verlässt aufgebracht, den Klassenraum.
Nach Schulschluss fährt Neve nach Hause, um sich frische Kleidung anzuziehen. Auf dem Weg zum Department hält sie noch an einer Tankstelle. Sie tankt, betritt das kleine Geschäft und steuert auf die Kaltgetränke zu. Sie zieht sich einen Becher Espresso aus dem Kühlregal, weil ihr wegen Sam letzte Nacht mindestens vier Stunden Schlaf fehlen. Diese muss sie irgendwie wieder auffangen.
Als sie in Richtung der Kasse geht, sieht sie, wie zwei junge farbige Männer die Tankstelle betreten. Ohne zu zögern bedrohen sie den Kassierer mit Waffen.
»Noch nicht einmal in Ruhe tanken kann man hier«, flucht Neve leise, geht vor den Broten, die in den Regalen zu einem Pfund verpackt sind, in Deckung und zieht ihre Waffe aus dem Holster. Lautlos schleicht sie zum Anfang des Regals und blinzelt daran vorbei, um die Situation richtig einschätzen zu können. Sie will sich ja nicht selbst in Gefahr bringen. Vorsichtig erhebt sie sich aus ihrem Versteck. Sie behält die beiden Täter genau im Auge, bis sie bei einem von ihnen die Tätowierung der Five Dogs im Nacken erkennen kann. Der andere hat keine. Er wirkt auch recht nervös. Im Gegensatz zu seinem Kollegen, hüpft er unruhig von einem Fuß auf den anderen. Was soll das hier werden? Lehrstunde, oder was? Neve kommt es jedenfalls so vor, als wenn der tätowierte Typ dem deutlich jüngeren beibringt, wie man eine Tankstelle überfällt. Was steht heute auf dem Lehrplan? Überfall auf eine Tankstelle? Super Stundenplan!
Genervt, weil sie alleine schon an diesem verdammten Gedanken verzweifelt, verwirft sie diesen und rückt in ihrer Deckung weiter vor, bis ihre Augen durch die Scheibe zu den Zapfsäulen fallen. Sie muss sich stark zurückhalten, um nicht laut zu fluchen, als sie Sams Chevy vor der Tür stehen sieht. Super, es wird noch besser! Sam chauffiert den Schüler sogar zur Lehrstunde? Perfekt, besser geht es wirklich nicht mehr!
Wütend sieht Neve plötzlich wie die Fahrertür des Pick Up geöffnet wird. Tatsächlich steigt Sam aus. Mit langsamen Schritten geht sie auf Neves Cabrio zu. Sie stützt sich an der Fahrertür ab, blickt in den Wagen hinein und schmettert dann ihre Hände wütend auf die Tür. Sofort legt sie zwei Finger an die Lippen und pfeift ihre Kollegen zu sich. Diese blicken zu ihr. Sam macht nur eine schwenkende Armbewegung, um sie da rauszuholen. Beide reagieren wie auf Befehl. Genau wie Laura letzte Nacht.
Etwas verwirrt über ihre Entscheidung, gehen beide Männer mit leeren Händen aus dem Verkaufsraum und steigen in den Pick Up. Als Sam von der Tankstelle fährt, kann Neve gerade noch erkennen, dass sie wütend über die misslungene Aktion ist. Die beiden Jungs fuchteln hingegen mit ihren Händen wild vor ihrem Gesicht herum. Scheinbar fragen sie Sam, warum sie das so plötzlich abgebrochen hat.
Neve atmet ihre angehaltene Luft aus, senkt den Kopf und wuschelt sich mit einer Hand durch die Haare.
»Ma´am?«, ruft der Verkäufer mit zitternder, aber besorgter Stimme.
»Ma´am, ist alles in Ordnung mit ihnen?« Langsam kommt Neve hinter dem Regal zum Vorschein und atmet tief durch.
»Ja und mit ihnen?« Der Verkäufer nickt. In seinen Augen spiegelt sich noch immer blanke Angst wieder.
Neve kümmert sich noch einige Minuten um den Kassierer, um ihn wieder zu beruhigen. Dann fährt sie zu dem Basketballplatz der Five Dogs, wo sie Laura und Sam gestern beobachtet hat, weil sie Sam dort vermutet. Sie lobt sich selbst und grinst bis zu den Ohren, als sie Sams Pick Up am Straßenrand stehen sieht.
Sie zieht ihre Waffe und die Polizeimarke von der Hose, verstaut beides in dem kleinen Handschuhfach und schließt es ab. Sie steigt aus und geht mit langsamen Schritten zu Sams Wagen, um dort einen flüchtigen Blick in den Innenraum und die Ladefläche zu werfen. Bis auf eine zerdrückte Zigarettenschachtel befindet sich nichts Besonderes oder Verdächtiges dort drinnen. Im Gegenteil, der Wagen ist ungewöhnlich sauber und ordentlich.
Während sie auf den Basketballplatz zugeht, dröhnt ihr immer lauter werdende Hip Hop Musik entgegen. Vorsichtig drängt sie sich durch die dortige versammelte Menschenmenge. Alle Anwesenden tragen die Tätowierung der Five Dogs im Nacken. Als Neve abschätzt, dass sie sich inmitten von ungefähr zwanzig Gangmitgliedern befindet, wird ihr doch etwas mulmig. Sie behält aber die Fassung, bis sie direkt hinter Sam steht. Neve schaut sich einige Sekunden lang das Spektakel an, das der Grund für diesen Menschenauflauf ist.
Direkt in der Mitte wurde ein großer Kreis gebildet in dem vier junge Frauen und vier Männer rhythmisch und typisch für farbige Gangmitglieder zu der laufenden Musik tanzen. Neve spürt plötzlich ein eigenartiges Gefühl das sie umgibt, von dem sie aber nicht genau sagen kann, was es ist. Sie fühlt sich nicht mehr so bedroht zwischen all diesen Leuten, die Spaß daran haben die Tänzer mit rhythmischem Klatschen anzufeuern und gleichzeitig zu begleiten.
Auch Sam feuert die Tänzer an, als sich Neve vorsichtig zu ihr nach vorne beugt und eigentlich was sagen will. Als sie aber Sams Parfüm einatmet, bekommt sie schon wieder diese verdammte Gänsehaut.
Sie reißt sich zusammen und flüstert leise »Hallo Sam.« in ihr Ohr. Genau in dem Moment in dem Sam sich erschrocken umdrehen will, greift Neve nach ihrem rechten Arm, dreht ihn auf den Rücken und hält sie mit diesem typischen Polizeigriff in Schach.
»Was sollte das an der Tankstelle?«, fragt sie fauchend. Von einer Sekunde zur anderen verstummt die Musik. Alle Augen der Anwesenden richten sich auf die beiden Frauen.
»Was meinst du?«, lacht Sam ironisch. Sie versucht erst gar nicht aus dem Griff zu kommen.
»Du weißt ganz genau was ich meine. Du weißt, dass ich da war. Du hast meinen Wagen gesehen.« Konzentriert, um die Situation unter Kontrolle zu behalten, schaut Neve um sich. Ihr ist klar, dass sie vollkommen unterlegen ist, als sich plötzlich vier kräftige Männer vor ihr aufbauen.
»Ich weiß nicht wovon du redest.« Sams lachende Stimme strotzt nur so vor Ironie, weil sie weiß, dass Neve ihr nichts tun wird.
»Ich werde dich im Auge behalten« faucht Neve, lässt Sam los und stößt sie etwas von sich weg.
Sam findet ihr Gleichgewicht schnell wieder und dreht sich um. Wortlos wendet sich Neve von ihr ab, um den Platz zu verlassen, als Sams Hand mit einem klatschenden Lautmitten auf ihrem Arsch landet. Jetzt reicht es!
Blitzschnell dreht sich Neve um, holt mit einer Faust aus und schmettert diese mitten in Sams Gesicht. Ihr ist es egal, ob Sam ihre Schülerin ist oder nicht. Sie ist nicht in der Schule und sie ist auch noch nicht im Dienst. Also ist dieser Schlag eine private Sache, für die sie kaum belangt werden kann.
Sam torkelt zwei Schritte zur Seite, während Neve sie wütend anbrüllt.
»Fass mich auch nur noch ein einziges Mal an und ich schwöre dir, dass ich mich vergesse und dann kann dich auch deine verdammte scheiß Gang nicht schützen!!!«, brüllt sie und bringt Sam mit ihrem Blick um. Diese lächelt Neve daraufhin schelmisch an. Den Fausthieb scheint sie vollkommen ausgeblendet zu haben, denn in ihren Augen spiegelt sich reinste Freude wieder.
Plötzlich setzen die vier Männer hinter Sam sich in Bewegung, um Neve in ihre Bestandteile zu zerreißen. Sam streckt beide Arme weit von sich aus und hält die Männer somit zurück. Neve beobachtet das konzentriert. Sie stellt somit fest, dass Sam offensichtlich wirklich die rechte Hand von diesem Matt ist. Denn es ist schon ungewöhnlich, dass solche vier großen Tiere ohne Worte auf sie hören.
Sam fährt sich mit der Zungenspitze über den Mundwinkel, um das dortige Blut aufzufangen und lächelt Neve freundlich an. Sie legt ihren Kopf schief. Es scheint, als wenn sie Neve studieren würde. Regungslose und stille Sekunden verstreichen, bis Sam noch frecher grinst und sich von Neve abwendet.
»Ich wünsche ihnen noch einen schönen Tag, Mrs. Stewart«, trällert sie fröhlich und