Geschäft ist Krieg. Sven Kyek

Geschäft ist Krieg - Sven Kyek


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selbst Abschleppen!

      Bei so vielen Mitarbeitern, die teilweise ihre Arbeit nur dadurch hatten, daß ich mir Nächte und Wochenenden an Unfallorten um die Ohren schlug, war es, wenn auch mit etwas Nachdruck, aber ab sofort möglich, mich mit einem Bereitschaftsplan komplett freizustellen.

      Es war nach so vielen Jahren ein schönes Gefühl, abends und am Wochenende mal wegfahren zu können, ohne ständig auf das Handy zu starren, um 20 Minuten nach Anruf an der Unfallstelle zu sein. Natürlich hatte mich das Abschleppen und Bergen von mehreren tausend PKW und LKW auch geprägt. Früher konnte ich kein Blut sehen. Durch die Einsätze habe ich hunderte zerquetschte, Verbrannte, tote Kinder gesehen, die mich die ersten Jahre auch nachts verfolgt haben.

      Damit stand ich jedoch vor der Frage, was ich mit dieser, meiner neuen 'Freiheit' im Einzelnen anfange. Was lässt sich eigentlich außer Arbeiten und Börse verfolgen noch so tun? Wie so oft, halfen äußere Umstände: Eine Kundin unserer PKW-Werkstatt, um die 60 Jahre alt, Sylke, Ihres Zeichens Puffmutter der Table Dance Bar in Perleberg kam mit Ihrem SLK Mercedes zur Reparatur.

      „Weißt Du, daß ich meinen Laden an die Russen vermietet habe?“ fragte Sie. Ich wusste es nicht.

      „Schick mal von Deinen Stahlbauschlossern jemanden lang! Denn ich will zur Übergabe an Igor eine neue Edelstahltanzstange haben. Der Laden ist renoviert, jetzt fehlt bloß noch die Tanzstange.“

      Die Schlosser stritten sich bald darum, den Auftrag erledigen zu dürfen. Eine Woche später kam dann die Einladung zur Eröffnung nach Übergabe. Zum Anfang war mir etwas mulmig. Aber ich war ja solo. Was konnte mir schon passieren? So parkte ich meinen Mercedes Jeep ganz frech direkt, für jeden gut sichtbar, vor der Table Dance Bar.

      An diesem Abend lernte ich die neuen Betreiber kennen, Igor, Dimar, und Wowa. Es war sehr angenehm, die Jungs erwiesen sich als unheimlich nett. An diesem Abend begann eine richtige Freundschaft zwischen uns.

      In den kommenden Wochen brachten „Igor“ und seine Freunde all ihre Autos zu uns in die Werkstatt. Daß nicht nur die Nachtbar in Perleberg, sondern auch ähnliche Etablissements in der ganzen Region Igor gehörten, habe ich erst später mitbekommen.

      Da ich weiter keine Freunde oder Ablenkung hatte, war ich dankbar, wenn Igor mich abends oder am Wochenende abholte. Wir gingen essen oder grillten auch mal bei zehn Grad minus im Wald.

      Damals durfte ich zum ersten Mal die russische Mentalität und Herzlichkeit, die mich bis heute begeistert, erfahren.

      Das Ganze hatte natürlich einen schönen Nebeneffekt, den ich seit 1985 nicht mehr genossen habe. Dazu später mehr.

      Am 04.04.1985 wurde mein Sohn Michael geboren, am 20.04.1985 habe ich meine Frau Petra geheiratet und am 25.04.1985 wurde ich zur Armee eingezogen.

      Ich war in Potsdam und Berlin bei der Militärstreife und als ich entlassen wurde, nahm sich kurze Zeit später mein Vater das Leben. In dieser Zeit machte ich gerade meine Meisterschule und habe nach seinem Tod sofort auf dem Baugrundstück, das er mir vererbte, von Hand ein großes massives Wochenendhaus errichtet. Das dauerte bis zur Wende, so daß ich sagen kann, daß ich nicht nur 12 Jahre auf Urlaub, sondern auch auf sonstigen Spaß verzichtet habe.

      Nun gab es aber „Igor“ und ich brauchte nicht mehr „Abschleppen“. Der Nebeneffekt war, ich lernte durch Igor die tollsten Frauen kennen.

      Aus der Ukraine, aus Litauen, Weißrussland und Polen. Abends und an den Wochenenden fuhren wir viel herum und statteten dabei auch seinen Nachtklubs Besuche ab.

      Alles, was ich bis dahin über „Russen“ und „Rotlichtmilieu“ gehört hatte, stimmt nicht mit den Erfahrung, die ich mit Igor und seinen Fahrensmännern machte, überein. Igor fuhr die Mädchen zum Schwimmen und zum Fitnesstraining. Er ging insgesamt äußerst zuvorkommend mit ihnen um.

      Eines Abends war im Nachtclub in Perleberg eine Geburtstagsparty. An diesem Abend hielt der Tabakgenuss –nach 13 Jahren Abwesenheit– wieder Einzug in mein Leben.

      Ich hatte im Alter von zwölf Jahren mit russischen Soldaten Zeitschriften gegen Machorka, sowjetischen Tabak, getauscht, um dann bis zu meiner Armeezeit zu rauchen.

      Anders als damals die Sowjets fand ich auf der Party die russischen Mädchen so niedlich, wenn sie „Philip Morris“ sagten, und bat eine von ihnen um eine Zigarette. (Ich rauche seitdem bis heute, manchmal soviel, daß man meinen könnte, ich wolle die 13 Jahre ohne Zigarretten nachholen.)

      Am gleichen Abend – nach der Zigarette – sprach ich ein Mädchen an, das mir von Anfang an aufgefallen war. Sie hieß Seika und war ein Traum – eine Figur, wie von Händen eines mehr als nur geschmackssicheren Bildhauers, kaum enden wollend lange blonde Haare und ein Gesicht, wie gemalt. Kurzum: Ich war hin und weg.

      Igor sagte mir, ich könne Seika ruhig mitnehmen. Zuhause erzählte sie mir, daß sie 23 sei, wo sie wohne, was sie in ihrer Heimat so gemacht habe.

      Bis zum Frühjahr 1998 habe ich sehr viel Zeit mit Seika verbracht. Daß dies teilweise meine Arbeitstage einschränkte, störte mich überhaupt nicht. Wenn Seika bei mir zu Hause war, putzte sie, kochte und war einfach nur lieb wie ein Engel.

      Morgens um 6, bevor ich zur Arbeit fuhr, brachte ich sie zurück zum Club. Den Nachbarn, die sie sahen, fielen bald die Augen raus...

      In der Firma begann das Jahr 1998 weniger erbaulich. Die Firma VARIO, für die wir über mehrere Jahre hinweg jeweils ca. 15 km Geländer gefertigt hatten, ging in Konkurs. Nachdem uns bis dahin unsere Arbeit stets pünktlich vergütet worden war, waren plötzlich 70.000 Mark überfällig. Ich rief bei der Kreditreform in Schwerin und Rostock an. Dort waren wir angeschlossen und konnten Firmeninformationen abrufen. Der Bonitätsindex von VARIO war gut und die Kreditreform sagte, es sei alles in Ordnung.

      Später habe ich gehört, daß VARIO schon länger bis zum Zeitpunkt meiner Anfrage keinen Lohn gezahlt hätte und diverse große Lieferantenrechnungen offen wären. Da wir nach der Versicherung durch die Kreditreform einen weiteren Auftrag im Umfang von 30.000 Mark ausgeführt hatten, waren es letztlich 100.000, die sich für uns in Luft auflösten; nach „Bananen-Klaus“ die zweite große Forderung, die ich ausbuchen musste.

      Außerdem war es jahrelang ein sicheres Auftragspolster für mehrere Mitarbeiter, das mit VARIO verschwunden war. Aber ich habe schnell reagiert. VARIO war der zweitgrößte deutsche Geländerbauer, die Firma Müssig war noch größer. Ich setzte mich also ins Auto und fuhr zu Müssig nach Berlin.

      In mehrstündiger Verhandlung und mit Verweis auf unsere Referenzen, habe ich es geschafft: Wir durften für Müßig fertigen, womit der Verlust von VARIO als Auftraggeber kurzfristig kompensiert werden konnte.

      Allerdings währte diese Kompensation nur ein Jahr. Dann ging auch Müssig in Konkurs, und uns weitere 40.000 Mark verloren. Allerdings – learning by burning – hatte ich diesmal vorgesorgt. Nach der VARIO-Pleite habe ich nicht nur die Müssig-Aufträge reingeholt, sondern gleichzeitig von der insolventen VARIO-Bauelemente GmbH einen Bauleiter für die Arbeit in Berlin eingestellt.

      Durch seine Kontakte haben wir Komplettaufträge generiert. Er brachte auch gleich Montagekolonnen mit. Nach acht Jahren als Subunternehmer haben wir auf dem Berliner Markt schnell Fuß gefasst.

      Klammt AG, Dywidag und Weiss und Freitag waren außer Müssig die Auftraggeber.

      Unsere Geländer haben wir auf vielen namhaften Baustellen in Berlin montiert. So waren wir etwa 1999 am Bau von Europas größtem Autohaus, der „Daimler Niederlassung“ in Berlin am Salzufer, mit mehreren tausend Metern von Geländern beteiligt.

      Darüber hinaus hatte ich nach der Pleite mit VARIO eine Forderungsausfallversicherung abgeschlossen. Finanziell hat uns der Ausfall von Müssig also nicht bedrängt. Die Firma lief super.

      Hätte mir jemand 1991 gesagt, was aus dieser kleinen Gärtnerschlosserei einmal wird, ich hätte ihn für verrückt erklärt.

      In Perleberg hatte unsere Firma einen guten Ruf erlangt. Nicht


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