Zahlensprache. Monika Maria Martin

Zahlensprache - Monika Maria Martin


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      Neumann informiert darüber, dass die Menschheit zu Beginn ihrer Entwicklung über eine Art Einheitsbewusstsein verfügte und eingebunden war in ein kollektives Sein. Uroboros, das Bild der sich in den Schwanz beißenden Kreisschlange ist das Symbol für diese kosmische Einheit, die alles Gegensätzliche in sich vereint. Diese Kreisschlange stellt ein großes Rundes dar, in dem sämtliche Elemente des Erlebens miteinander vermischt enthalten sind. Neumann sagt: „Uroboros steht für die Ungeschiedenheit des Chaos, ist der Urarchetyp des Unbewussten und Undifferenzierten und symbolisiert auch die miteinander vereinigten Ur-Eltern, aus denen sich später die Figuren des Großen Vaters und der Großen Mutter herauslösen.“

      Erst allmählich entwickelte der Mensch als Einzelwesen ein individuelles Bewusstsein, spaltete sich ab von dieser Einheit und verlor damit auch mehr und mehr den Zugang zum unbewussten gemeinsamen Erleben und Wahrhaben. Nun trugen mündliche Überlieferungen urzeitliches Wissen wortgetreu von Generation zu Generation weiter. Die zugrunde liegende Gemeinsamkeit mythischer Überlieferungen zeigt sich in Archetypen und Bildern, die einander weltweit ähneln.

      In all diesen Mythen wird versucht etwas zu beschreiben, das mit einer Alltagssprache nicht wirklich auszudrücken ist. Es wird in Bilder gekleidet, die symbolisch zu verstehen sind. Die Aussagen dieser Überlieferungen wörtlich zu nehmen, ist daher im Allgemeinen irreführend. Denn so bunt die geschilderte Bilderwelt auch sein mag, in der wesentlichen Essenz unterscheiden sich diese Erzählungen, die Alte Weisheit über lange Zeiträume hinweg transportieren, weltweit kaum voneinander. Sie beschreiben eine absolute Wirklichkeit, die sowohl transzendent als auch immanent ist, zeitlos überall gültig und deshalb auch hier und jetzt. In allen Völkern und Traditionen kommt darin das Verhältnis einer bekannten zu einer unbekannten Realität zum Ausdruck.

      Barbara C. Sproul hat sich als Religionswissenschaftlerin eingehend mit den Schöpfungsmythen der östlichen und westlichen Welt beschäftigt und das Ergebnis dieser Arbeit in 2 Büchern zusammengefasst, die diese Thematik umfassend beschreiben.

      Sie hat festgestellt, dass sich die meisten Schöpfungsmythen überall auf der Erde ähneln. Unbeeinflusst von einander beschreiben sie ein ursprüngliches, produktives Chaos, das die Gesamtheit des Seins in einem gleichzeitigen Nicht-Sein umfasst und noch keine Unterschiede in sich enthält. Die Schöpfung ereignet sich, indem sich dieses ungeformte Einheitliche beginnt zu differenzieren. Ab diesem Moment sind sowohl das Chaos als auch das Produkt des Chaos gleichberechtigte Teile einer Wirklichkeit, die aus sich selbst heraus entsteht. Jede tiefgründige Mythologie besteht deshalb auch strikt auf der unverbrüchlichen Einheit von Schöpfer und Schöpfung sowie der gegenseitigen Abhängigkeit von Sein und Nichtsein.

      Andere Mythologien sind weniger philosophisch ambitioniert und beginnen mit der einen oder anderen Seite des entstandenen polaren Gegensatzes. Sie behaupten, das Sein war zuerst und kümmern sich nicht darum, woher es kam. Dasselbe gilt auch für die gegenteilige Behauptung, das Nichtsein war zuerst; manche fangen mit der „Henne“ an, manche mit dem „Ei“. In den meisten Schöpfungsmythen sind aber beide von Anfang an da, sowohl Sein als auch Nicht-Sein, sowohl „Henne“ als auch „Ei“.

      Diese unerklärliche und eigentlich für den Menschen unfassbare Einheit, die allem zugrunde liegt, wird in allen Religionen als das Absolute, Göttliche und Heilige verehrt. Es bildet die Grundlage der wahrnehmbaren irdischen Wirklichkeit. Die meisten Religionen sehen die Schöpfung eingebettet in einen linearen Zeitfluss und sprechen von einer Erschaffung der Welt. Der Buddhismus betrachtet das Universum als einen pulsierenden Wechsel von Ausdehnen und Zusammenziehen, von Auflösung und Zusammenfügen, von Sein und Nichtsein. Im Grunde sind das nur Betrachtungsweisen aus verschiedenen Perspektiven auf etwas, das immer ist, weil es zeitlos ist. Es ist auch die zentrale Botschaft aller Schöpfungsmythen, dass das Absolute sowohl immanent als auch transzendent besteht. Eine weitere Gemeinsamkeit dieser Überlieferungen zeigt sich im Verständnis des Menschen als physischem Ausdruck dieser Dimension des Heiligen.

      Um über das Absolute, den Urgrund allen Seins und Nichtseins berichten zu können, müssen sich Mythen und Religionen der Wörter des Alltags bedienen. Sie sprechen über das Unbekannte in Begriffen des Bekannten, sie beschreiben das Absolute mit Wörtern des Relativen. Das schafft weiten Raum für Interpretation und Missverstehen. Die in den Überlieferungen verwendeten Symbole stammen aus unbekannten Kulturen vergangener Zeiten und sind dem Denken und Erleben des heutigen Menschen daher meist fremd. Er ist dann versucht, die Ausdrucks- und Betrachtungsweise als primitiv abzutun, weil er den Sinn nicht erfassen kann. Aber selbst „primitive“ Naturvölker wie die Dogon in Afrika sind sich der Tatsache bewusst, dass die Sprache zur Beschreibung absoluter Zusammenhänge nur eine symbolische sein kann. Symbol bedeutet in deren Sprache wörtlich übersetzt: „Wort dieser niederen Welt“.

      Eine wörtliche Übersetzung oder Interpretation aus der gerade aktuellen Weltsicht kann deshalb die Botschaft einer Überlieferung kaum erfassen. Sie ist in eine Erzählung gekleidet, die aus symbolischen Begriffen einer fernen Kultur und Zeitepoche zusammengesetzt ist. Nur selten sind Mythen so direkt, dass sie unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass Sein und Nichtsein ursprünglich gemeinsam existieren, dass das Unendliche aus sich selbst heraus das Endliche kreiert.

      Meist wird der Schritt von der Einheit in die Dualität und die sich daraus entwickelnde Vielfalt in Metaphern geschildert. Oft wird berichtet von einer Zeugung durch Welteltern, wobei das mütterliche Prinzip fast immer für das empfangende Schöpferische und der väterliche Aspekt für das befruchtende Geistige oder Absolute steht. Einige Völker überliefern die Vorstellung, dass ein personifizierter Gott Teile seines Körpers abschneidet und daraus die Welt formt. Manchmal stirbt ein göttliches Wesen auch ganz hinein in die Schöpfung, verwendet sich mit „Haut und Haar“ für die Schaffung des Universums. Es wird auch wiederholt davon erzählt, wie ein Schöpferwesen die Welt erträumt, sie denkt oder durch Worte manifestiert. Überall auf der Erde berichten Mythen davon, dass Götter Ton, Schlamm oder Staub benutzen, um Menschen und Tiere zu formen, denen sie Leben einhauchen.

      Grundsätzlich beschreiben alle Mythen eine materielle Welt, in der eine absolute Dimension lebt und zum Ausdruck kommt, ohne scharfe Trennung zwischen Geist und Stoff, Seele und Körper. Sie erzählen von einer Ganzheit von Weltlichem und Absolutem.

      Die Mythen erzählen aber auch weltweit von einem Vergessen dieser Ganzheit durch den Menschen, von einem Fallen in die Welt der Dualität und einem Verlorensein darin. Die Bibel berichtet in ihrer Schöpfungsgeschichte über den Sündenfall von Adam und Eva, die vom Baum der Erkenntnis von gut und böse essen und als Folge davon die Vertreibung aus dem Paradies erfahren. In der Welt der Polarität kennt das menschliche Bewusstsein nur Gegensätze, hier charakterisiert durch gut und böse. Es verliert den Sinn für die dahinter liegende Einheit. Mit der Vertreibung aus dem Paradies wird der Verlust dieses Bezuges zur Einheit bildlich dargestellt. In afrikanischen Mythen wird er beschrieben als Herausfallen aus der harmonischen göttlichen Ordnung der Natur. Oft kommt die Trennung von Himmel und Erde mythologisch dadurch zum Ausdruck, dass eine verbindende Achse zerstört wird und alle Versuche, sie wieder aufzurichten, scheitern. Der Turmbau zu Babel im Alten Testament ist ein Beispiel dafür.

      In diesem Zustand der Trennung erfährt sich der Mensch als ein vom Tod bedrohtes Wesen. Er sieht sich einem ungewissen Schicksal ausgeliefert und befindet sich im ständigen Kampf mit dessen Launen. Er existiert ununterbrochen im Spannungsfeld zwischen den beiden Polen einer Dualität, die seine Wahrnehmung bestimmt. Eine rationale Realitätsauffassung verdrängt zunehmend die lebendige mythische Wirklichkeit, nimmt ihre metaphorische Sprache schließlich als erfundenes Fantasiegebilde wahr und hat keinerlei Bezug mehr dazu.

      Mythologische Überlieferungen weisen auf den Irrtum dieser Sichtweise hin und versuchen ihn zu korrigieren. Religionen kennen als Ziel des Menschen seine Rückverbindung zum Absoluten; das irdische Leben ist in ihrem Verständnis ausgerichtet auf eine Dies- und Jenseits umfassende Ganzheit.

      Der Begriff Gott steht grundsätzlich für ein Absolutes, das vor und außerhalb der Polarität existiert und damit eigenschaftslos ist. Das menschliche Bewusstsein, geprägt durch die Polarität dieser Welt, tendiert dazu, den Gottesbegriff mit menschlichen, vorwiegend positiven Eigenschaften zu verbinden und ihn damit zu begrenzen. Ein solches Gottesverständnis kann ein oder


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