Darwin schlägt Kant. Frank Urbaniok

Darwin schlägt Kant - Frank Urbaniok


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      2.1Schläger und Ball

      Es handelt sich um ein klassisches, von Kahneman angeführtes Experiment, um die Arbeitsweise des intuitiven Systems zu demonstrieren. Es arbeitet schnell und schaltet sich unwillkürlich im Hintergrund ein. Das Ergebnis wird uns subjektiv auf angenehme Weise dargeboten, es fühlt sich leicht an.

      Ein Schläger und ein Ball kosten zusammen 1,10 Euro. Der Schläger kostet einen Euro mehr als der Ball. Wie viel kostet der Ball?

      Viele Menschen, denen man diese Frage stellt, antworten: 10 Cent. Das ist natürlich falsch. Denn wenn der Ball 10 Cent kostet und der Schläger einen Euro mehr, dann kostet der Schläger 1,10 Euro. Beides zusammen würde dann zusammen 1,20 Euro kosten.

      Richtig ist: Der Ball kostet 5 Cent. Um das zu erkennen bzw. nachzuvollziehen, braucht es unser analytisches Denken. Sie merken vielleicht, dass man das Ergebnis nicht so bequem bekommt wie die erste Lösung. Analytisches Nachdenken (nach Kahneman System 2) wird subjektiv als mühsamer empfunden. [4, S. 61]

      2.2Rückschaufehler

      Wir tendieren dazu, Ereignisse als zwangsläufige Folge von Gründen zu interpretieren, die dem Ereignis aber erst im Nachhinein in dieser Weise zugeordnet werden. Das ist vergleichbar mit jemanden, der uns, nachdem die Lottozahlen gezogen wurden, die Gründe dafür erklärt, dass es so und gar nicht anders kommen musste.

      Der Rückschaufehler führt zu einem Fehlurteil. Denn die Zwangsläufigkeit, die er suggeriert, ist eine Illusion. Sie zeigt aber, wie gerne wir abschließende Kausalketten mit einem klaren Ergebnis haben. Psychologisch ist das attraktiv. Wir fühlen uns kompetent, Dinge durchschauen und verstehen zu können. Das reduziert Unsicherheit. Wir haben im Gegenteil das Gefühl, in einer berechenbaren Umwelt zu leben, in der man nicht von Ereignissen überrascht wird. Denn wir wissen, was warum geschehen ist.

      Das Phänomen lässt sich häufig bei Sportereignissen beobachten. Ein Fußballspiel wurde gewonnen oder verloren. Jemand wurde überraschend Weltmeister oder gerade nicht. Sofort erklären uns Experten, warum es genau so kommen musste, wie es kam. Überlegene sportliche Technik, mentale Stärke, der richtige Trainer, mannschaftliche Geschlossenheit und viele andere Gründe werden in einer differenzierten Analyse angeführt. Nun muss das eine oder andere gar nicht falsch sein. Oft ist aber die suggerierte Zwangsläufigkeit falsch. Denn fast immer handelt es sich im Sport nicht um ein vollständig determiniertes Ereignis. Das heißt, es gibt vor dem Ereignis meist keine 100-prozentige Wahrscheinlichkeit für einen Sieg oder eine Niederlage. Die Siegeswahrscheinlichkeit ist vor dem Ereignis vielleicht 90 Prozent oder 40 Prozent oder nur 0,2 Prozent. Häufig werden Zufälligkeiten oder die Tagesform ausschlaggebend sein oder das Ergebnis entspricht schlicht der statistischen Wahrscheinlichkeit für eine Niederlage oder einen Sieg. Besteht eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, dann sind Sieg bzw. Niederlage bei beiden Mannschaften gleich wahrscheinlich. Bei einem Sieg würden uns im Nachhinein aber klare Gründe für diesen Sieg präsentiert, die sich völlig von denen unterscheiden, die im umgekehrten Fall als Gründe für die Niederlage vertreten würden.

      Der Rückschaufehler spielt eine große Rolle bei der Prognose zukünftiger Ereignisse und insbesondere bei der Einschätzung von Risiken. Wird z. B. ein Risiko, das 1 Prozent beträgt, zutreffend als gering bezeichnet, dann bedeutet das, dass sich dieses Risiko in 100 Fällen einmal realisiert und 99 Mal nicht. Kommt es aber dann zu diesem Fall, dann wird dieser nicht zu den 99 Fällen, die gut gegangen sind, in Beziehung gesetzt. In der Logik des Rückschaufehlers heißt es, die Einschätzung war falsch. Denn, wenn das Risiko tatsächlich gering war, dann hätte es ja nicht zu diesem Fall kommen dürfen.

      Kahneman demonstriert den Rückschaufehler anhand von Prognoseeinschätzungen bei Ärzten, Finanzberatern, Trainern, Topmanagern, Sozialarbeitern, Diplomaten, Politikern. Demnach neigen wir dazu, »Entscheidungsträger für gute Entscheidungen, die einen negativen Ausgang nehmen, zu tadeln und für erfolgreiche Maßnahmen, die erst im Nachhinein naheliegend erscheinen, nicht genug zu loben.« [4, S. 252] Allgemein sei es so, dass Rückschaufehler zu einer erhöhten Scheu vor Risiken – insbesondere bei Entscheidungsträgern – führten. Allerdings »bringen sie unverantwortlichen Hasardeuren auch unverdiente Belohnungen, wie etwa einem General oder einem Unternehmer, die ein aberwitziges Risiko eingingen, das sich auszahlte. Führungspersonen, die Glück haben, werden nicht dafür bestraft, dass sie zu hohe Risiken eingegangen sind.« [4, S. 253]

      Der Rückschaufehler begegnet uns in der Politik, in der Wissenschaft, aber auch in unserem täglichen Leben an vielen Stellen. Die Kontrollfrage, die man sich stets selbst stellen kann, lautet: Wären vor dem Ereignis, ohne Kenntnis des Ausgangs des Ereignisses, die gleichen Argumente in der gleichen Weise angeführt worden?

      2.3Halo-Effekt

      Der Halo-Effekt ist ein Klassiker der Psychologie. Wenn wir glauben, eine Eigenschaft einer Person oder einer Sache erkannt zu haben, dann besteht die starke Tendenz, dieser Person oder Sache weitere ähnliche Eigenschaften zuzuordnen, ohne dass es hierfür eine Grundlage gibt. Für dieses weitverbreitete Phänomen gibt es zahlreiche Beispiele. Wenn eine Person in einem bestimmten Bereich eine gute Leistung bringt, dann werden ihr auch in anderen Bereichen überdurchschnittliche Kompetenzen zugetraut. Wirkt eine Person sympathisch auf uns, dann vermuten wir eine Fülle weiterer positiver Eigenschaften bei ihr. Von einem Politiker, der unser Vertrauen genießt, nehmen wir an, dass er ein ausgeglichenes Familienleben hat und von bestimmten Sexualpraktiken Abstand hält, die wir selber unangemessen finden. Man ist überrascht, wenn man erfährt, dass ein als seriös geltender Finanzminister sadomasochistische Sexualpraktiken auslebt.

      Häufig hat der Halo-Effekt auch eine absichtsvoll finalistische Qualität. Das heißt, ein bestimmtes Ergebnis, eine bestimmte Sichtweise auf eine Person oder auf eine Sache ist uns angenehm. Dann werden wir bereitwillig nach Aufhängern suchen, die uns dieses Bild bestätigen. Man kann das bisweilen im Urlaub beobachten. Die meisten Menschen wollen ein positives Urlaubserlebnis. Sie stellen dann in der Ferne plötzlich eine Fülle von Dingen fest, die besser sind als zu Hause (die Menschen sind viel freundlicher, hilfsbereiter, das Essen schmeckt besser, es herrscht allgemein eine größere Zufriedenheit, der Zusammenhalt zwischen den hiesigen Familien ist besser etc.). Es gibt im Übrigen auch das Gegenteil, das einem subjektiv bestätigt, dass zu Hause alles besser ist. Auch hier wird es – wie bei den vorangegangenen Beispielen – häufig so sein, dass insgesamt eigentlich ein gemischtes Bild vorliegt, das aber einseitig interpretiert wird.

      Es sei an dieser Stelle schon festgehalten, dass für uns gemischte Bilder, also Sichtweisen, die Ambivalentes zutage fördern, generell unbequem sind. Der Halo-Effekt ist daher Ausdruck eines Bedürfnisses nach eindimensionaler Klarheit, die keine Verwirrung auslöst. Wir wollen klare, einfache, eindeutige, lineare und einheitliche Verhältnisse haben. Wir bevorzugen klare Polaritäten (schwarz/weiß, Freund/Feind, gut/schlecht). Eigentlich wissen wir, dass es häufig komplizierter ist. Unsere Sehnsucht ist aber auf klare Polarität gerichtet. Diese Sehnsucht wird in Politik, Werbung und der Wirtschaft ausgiebig bedient. Man kann sich hier wiederum vorstellen, dass die Tendenz zu klaren, linear harmonisierten Beurteilungen evolutionär Vorteile hatte. Die Wirklichkeit differenziert erfassen? Nein, denn Geschwindigkeit und Klarheit sind wichtiger als der Inhalt. Das ist der Sinn der Generalisierungstendenz des Halo-Effekts. Homogene Beurteilungen bieten eine bessere Grundlage dafür, rasch und eindeutig zu handeln, als differenzierte Sichtweisen, deren Einzelaspekte nicht alle in der gleichen Richtung angeordnet sind. Wie beim paranoiden Urzeitmenschen begünstigt die Evolution falsche Sichtweisen, wenn dafür ein Gewinn in der Handlungskompetenz erreicht werden kann (rasches und eindeutiges Handeln).

      2.4What you see is all there is (WYSIATI-Regel)

      Wir haben eine außerordentlich hohe Bereitschaft, uns aus wenigen, oft zufälligen und unvollständigen Informationen eine Geschichte zu zimmern, die subjektiv passt. Dabei leisten uns der Halo-Effekt, der Rückschaufehler und viele weitere verzerrungsanfällige Mechanismen gute Dienste. Die subjektiv passende und angenehme


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