Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Holger Dahl
Betriebsteil zahlenmäßig gerade eben die Wesentlichkeitsschwelle erreicht und dann eine Einschränkung nur akzeptiert wird, wenn faktisch eine Stilllegung erfolgt. Damit besteht im Hinblick auf quantitative Anforderungen in bestimmten Fällen kein Unterschied zur Fallgestaltung der Einschränkung des Betriebs. Das ist systematisch fehlerhaft. Eine Einschränkung kann denklogisch nicht zur Auflösung bzw. Stilllegung führen. Hier wird man Signifikanz fordern können, aber nicht die gleichen Werte, die Wesentlichkeit im Verhältnis zum Betrieb als Ganzes ergeben.
ff) Ausschluss der Sozialplanpflicht gem. § 112a Abs. 1 BetrVG
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§ 112a Abs. 1 BetrVG ist nicht als Voraussetzung einer Betriebsänderung zu prüfen, sondern als Ausschlusstatbestand für die Erzwingbarkeit eines Sozialplans. Das zeigt bereits die Formulierung der Norm eindeutig, die bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen nur die Abs. 4 und 5 des § 112 BetrVG betrifft, nicht jedoch dessen Abs. 1 und 2.
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Versuche, die Zahlenwerte des § 112a BetrVG als grundsätzliche Voraussetzung der Sozialplanpflicht für Betriebsänderungen zu definieren, sind vom Gesetz nicht getragen. Die zu § 17 KSchG abweichenden höheren Schwellenwerte des § 112a Abs. 1 BetrVG kommen nur zum Tragen, wenn ausschließlich ein Tatbestand des § 111 Satz 3 Ziff. 1 BetrVG gegeben ist und darüber hinaus ausschließlich Entlassungen stattfinden.80
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Werden bei dieser Ausnahmekonstellation die höheren Schwellenwerte nicht erreicht, ist nicht etwa das Vorliegen einer Betriebsänderung zu verneinen, sondern nur die Erzwingbarkeit eines Sozialplans. Die Pflicht zur Verhandlung eines Interessenausgleichs bleibt bestehen und auch die Pflicht, über einen Sozialplan zu verhandeln, einschließlich der Möglichkeit, die Einigungsstelle anzurufen.81
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Sofern ein Betrieb an sich fortbesteht, wird man in der Praxis immer durch die Betriebsänderung resultierende Veränderungen jenseits der reinen Entlassungen finden können, sodass richtigerweise § 112a Abs. 1 BetrVG nicht einschlägig ist.82 Die Strukturen des verbliebenen Betriebs müssen in aller Regel angepasst werden, Betriebsmittel veräußert werden etc. Selbst wenn die Voraussetzungen des § 112 Abs. 1 BetrVG ausnahmsweise zu bejahen wären, ist man natürlich nicht gehindert, einen freiwilligen Sozialplan abzuschließen.
c) Verlegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen
(§ 111 Abs. 1 Satz 3 Ziff. 2 BetrVG)
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Dieser beispielhafte Katalogtatbestand erfordert eine Verlegung des Betriebs oder eines wesentlichen Betriebsteils. Zur Definition von Betrieb und wesentlichen Betriebsteilen kann auf die obigen Ausführungen (Rn. 92ff., 113ff.) zurückgegriffen werden.
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Verlegung ist die „Veränderung der örtlichen Lage“,83 wobei ohne nähere Begründung allgemein angenommen wird, dass geringfügige Änderungen nicht genügen.84 Als Beispiele werden der „Wechsel der Straßenseite“, die „Verlegung in ein in der Nähe gelegenes Haus“ oder der „Umzug im Haus“ angeführt. In der oft zitierten Entscheidung des BAG vom 17.8.1982 zitiert dieses die einschränkende Auffassung, ohne sie abschließend zu bewerten, da die im konkreten Fall vorliegenden 4,3 Straßen-km nicht geringfügig seien. Im Beschluss vom 27.6.2006 – 1 ABR 35/05 verneint das BAG zwar das Vorliegen von Versetzungen bei Verlegung um 3 km, bejaht aber indirekt die sozialplanpflichtige Betriebsänderung.85 Das LAG Köln hat die Verlagerung um 350 m zumindest genügen lassen, um eine Einigungsstelle einzusetzen.86 Es hat hierzu die Frage in den Raum gestellt, ob die „von der Literaturmeinung angenommene einschränkende Geringfügigkeitsgrenze bereits unterschritten sei“, was in seiner Wortwahl zumindest leichte Zweifel an der dogmatischen Herleitung dieser im Gesetz nicht vorgesehenen Geringfügigkeitsgrenze erkennen lässt. Darüber hinaus hat es die Frage aufgeworfen, ob nicht bei einer entfernungsmäßig geringfügigen Verlagerung weitere Kriterien, wie der Wegfall eines kostenlosen Betriebsparkplatzes, die Maßnahme letztlich als nicht geringfügig erscheinen lassen. Das Arbeitsgericht Frankfurt hat bei einer zweigeteilten Verlegung für den Teil, der nur 400 m Distanz zum neuen Standort hatte, eine Betriebsänderung ebenfalls bejaht, nachdem „mit dem Umzug zwingend – jedenfalls nach dem Planungsstatus von Anfang September 2015 – die Umstellung von kleineren Büros auf Großraumbüros mit Open-Space-Konzept verbunden“ war.87
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Keine Verlegung des Betriebs im Sinne von § 111 Satz 3 Ziff. 2 BetrVG liegt vor, wenn der Ortswechsel des Betriebs bestimmungsgemäß ist, wie z.B. bei Zirkus- und Jahrmarktsunternehmen.88
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Beim sog. Offshoring, also der Verlagerung von Betrieben ins Ausland, kommt entgegen anderslautender Auffassung89 sehr wohl § 111 Satz 3 Nr. 2 in Betracht,90 wobei bei den Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan zu beachten wäre, dass nach dem Vollzug der Verlegung deutsches Recht nicht mehr Anwendung findet. Geht jedoch die Identität des Betriebs bei der Verlagerung verloren, etwa dadurch, dass ein erheblicher Teil der Arbeitnehmer sich weigert, am neuen Ort tätig zu sein, wird aus der versuchten Betriebsverlegung eine Betriebsstilllegung.91
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Für die Verlegung wesentlicher Betriebsteile gilt das vorgenannte entsprechend. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es hier zur Verwirklichung des Tatbestands des § 111 Satz 3 Ziff. 2 BetrVG auch genügt, wenn die Verlegung innerhalb des Betriebs erfolgt.92
d) Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder die Spaltung von
Betrieben (§ 111 Abs. 1 Satz 3 Ziff. 3 BetrVG)
aa) Zusammenschluss von Betrieben
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Der Zusammenschluss von Betrieben als Katalogtatbestand des § 111 BetrVG kann dadurch erfolgen, dass ein oder mehrere Betriebe in einem anderen aufgehen, oder dadurch, dass zwei oder mehr Betriebe ihre Identität jeweils verlieren und einen neuen Betrieb bilden.93 Gelegentlich wird hier etwas ungenau davon gesprochen, dass es sich um zwei Betriebe handeln müsse. Das ist zwar auch der Fall, es können aber auch mehrere Betriebe beteiligt sein. Die Frage, ob ein Betrieb andere aufnimmt oder ein ganz neuer entsteht, hat für die Frage des Vorliegens einer Betriebsänderung keine Bedeutung, jedoch gegebenenfalls für die Frage des Übergangsmandats nach § 21a Abs. 2 BetrVG und die Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen.
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Betriebe, die zusammengeschlossen werden können, sind sowohl originäre Betriebe als auch solche, welche nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG als solche gelten. Ob auch Betriebe nach § 3 Abs. 5 BetrVG dazu gehören, erscheint zweifelhaft (vgl. oben Rn. 92ff.).94
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Der Begriff des Zusammenschlusses ist betriebsverfassungsrechtlich zu sehen, nicht unternehmensrechtlich. So kann z.B. mit einer unternehmensrechtlichen Verschmelzung ein Betriebszusammenschluss einhergehen, muss es aber nicht. Andererseits kann auch der Zusammenschluss von Betrieben unterschiedlicher Unternehmen ohne unternehmensrechtlichen Übergang stattfinden. In diesen Fällen kommt dann ein Gemeinschaftsbetrieb zustande.
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Strittig ist, ob Betriebsteile oder zumindest wesentliche Betriebsteile, die zuvor womöglich abgespalten wurden, durch Zusammenschluss mit einem anderen Betrieb den Tatbestand des Betriebszusammenschlusses erfüllen. Däubler95 befürwortet im Falle wesentlicher Betriebsteile eine entsprechende Anwendung von Ziff. 3, Fitting verneint dies und verweist darauf, dass dann aber eine Änderung der Betriebsorganisation im Sinne von Satz 3 Ziff. 4 vorliegen könne oder aber die „Generalklausel des S. 1“.96 Es spricht indes einiges dafür, Ziff. 3 zumindest für solche Einheiten anzuwenden,