Rechtsgeschichte. Stephan Meder
nimmt [<<38] ihre materiale Zweckbestimmung – etwa Kaufpreiszahlung, Schenkung oder Darlehnsgewährung – ausdrücklich in das Versprechen auf. Sie ist nur dann wirksam, wenn ein gültiges Kausalverhältnis besteht. Ist eine Schuld, etwa aus Kauf, Schenkung oder Darlehn, nicht begründet worden, so wird die Klage abgewiesen. Dagegen verschweigt die abstrakte Stipulation ihre Zweckbestimmung. Eine Obligation entsteht auch dann, wenn deren Zweckbestimmung nicht gültig zustande gekommen oder weggefallen ist. Steht fest, dass der Beklagte in der vom Recht anerkannten Form Schuldner geworden war, dann ist ihm jede Möglichkeit genommen, durch anderweitig begründete oder unbegründete Behauptungen den Lauf des Prozesses zu hemmen. Es kann also selbst dann geklagt werden, wenn das Darlehn nicht ausbezahlt oder die zu bezahlende Ware nicht geliefert worden ist. Um 450 v. Chr. konnte der Schuldner derartige Mängel wohl überhaupt nicht geltend machen (s.a. S. 133). Erst in der klassischen Zeit wurde es möglich, in bestimmten Fällen Einwendungen auch gegenüber einer abstrakten Stipulation zu erheben. Im 19. Jahrhundert hat man in Anlehnung an die frührömische Stipulation das moderne Institut der abstrakten Verbindlichkeiten entwickelt (vgl. §§ 780, 783 BGB).
Familien- und Schuldrecht werden selten unter gemeinsamen Gesichtspunkten betrachtet. Der BGB-Gesetzgeber war der Ansicht, dass zwischen den Gebieten scharf zu trennen sei. Diese Annahme stößt heute zunehmend auf Widerspruch. Sie scheint durch neuere Tendenzen im Familienrecht überholt zu werden (vgl. 21. Kapitel 1.2.4, S. 471). Vor dem aktuellen Hintergrund interessieren die Verbindungen zwischen altrömischem Familien- und Vermögensrecht.
In altrömischer Zeit unterfiel die Ehefrau der Ehegewalt des Mannes (pater familias). In Anknüpfung an das Symbol der zugleich herrschenden und schützenden Hand hieß diese Ehegewalt manus. Der Übertritt der Frau in die manus des Mannes (conventio in manum) erfolgte in der Regel durch coemptio, einer Sonderform der mancipatio (zu den Verbindungen [<<39] von Manzipation und Emanzipation vgl. 2. Kapitel 1.2, S. 58). Danach tritt der pater familias der Braut in einem Libralakt vor fünf Zeugen und dem libripens seine Gewalt über diese für einen symbolischen Kaufpreis (nummo uno) dem Bräutigam ab. Eine besondere Formel, die der „Erwerber“ zu sprechen hat, soll dafür sorgen, dass der Unterschied zwischen der Gewalt über erworbene Sachen (res mancipi) und der Gewalt über die Frau (uxor in manu) gewahrt bleibt (vgl. Gaius I, 113, 123). Man vermutet, dass bei der coemptio (wie bei der mancipatio) einst auch wirkliches Geld zugewogen wurde. So könnte sie dem „Brautkauf“ gedient haben, den viele frühzeitliche Rechte kennen. Weiter wird vermutet, dass die Frau in Zeiten, als die coemptio noch nicht existierte, durch eine reguläre Manzipation in die manus des Mannes kam. Der für die mancipatio charakteristische Ergreifungsakt (manu capere) könnte so auch familienrechtsgeschichtliche Bedeutung haben. Sollte es nämlich zutreffen, dass dieser Ergreifungsakt ursprünglich auf einer realen Handlung beruhte und die Gewalttat Geltungsgrund für den Besitzwechsel war, so würde die bis heute umstrittene Frage, ob es in Roms Frühzeit eine „Raubehe“ gegeben habe, in neuem Licht erscheinen. Bislang hatte sich die rechtsgeschichtliche Forschung in dieser Frage vornehmlich auf die Sage vom Raub der Sabinerinnen gestützt (zu unterschiedlichen Formen der Raub- und Kaufehe vgl. G. Simmel, Philosophie des Geldes, 405).
Bekanntlich tritt die nichteheliche Lebensgemeinschaft (concubinatus) heute zunehmend in Konkurrenz zur Ehe. Daher mag interessieren, dass das alte römische Recht neben der coemptio noch eine weitere Möglichkeit zum Eintritt der Frau in die manus des Mannes kennt, und zwar durch bloßen usus: Dazu kommt es, wenn die Ehefrau ein Jahr mit dem Mann zusammengelebt hat, es sei denn, sie hat alljährlich drei aufeinanderfolgende Nächte außer Haus verbracht (trinoctium). In diesem Fall gilt die Jahresfrist als unterbrochen (Tafel VI, 4). Zugunsten von Frauen ist so die Möglichkeit eröffnet, eine gewaltfreie (manus-freie) Ehe zu führen. Manus-Ehen und manus-freie Ehen existierten also schon in der Zwölftafelzeit nebeneinander, wobei damals die manus-Ehe die Regel und die manus-freie Ehe die Ausnahme war. In der spätrepublikanischen Zeit wird die manus-freie Ehe zum Normalfall, der usus verschwindet aus der Rechtspraxis und mit ihm das trinoctium. Das Kernelement der [<<40] manus-freien Ehe ist die Willensübereinstimmung (consensus facit nuptias). Im Unterschied zur manus-freien Ehe ist die Frage nach der Rolle des Konsenses bei Schließung einer manus-Ehe noch kaum geklärt. Anders als in der christlichen Tradition erschöpft sich nach römischer Vorstellung der Konsens nicht in einer einmaligen Einigung zum Zeitpunkt der Eheschließung (initiale Konsensstruktur). Vielmehr muss er während des Zusammenlebens ständig aufs Neue bestätigt werden (kontinuative Konsensstruktur): „Die moderne Ehe wird geschlossen, die römische wurde gelebt“ (G. Pacchioni, Manuale del diritto romano, 320). Da nichteheliche Lebensgemeinschaften – früher wie heute – ebenfalls auf einer kontinuativen Konsensstruktur beruhen, ist im römischen Recht die Grenze zur Ehe nicht immer leicht zu ziehen. Die Römer sehen das Problem der Abgrenzung eher im Bereich der gesellschaftlichen Wertung als in der juristischen Begriffsbildung (dazu kritisch A. Bürge, Römisches Privatrecht, 161).
Frühe Rechtskulturen pflegen den Menschen noch nicht als Einzelwesen anzusehen, sondern als Glied der Verbände, in denen er steht.6 Einer der wichtigsten dieser Verbände ist die Familie. Die altrömische Familie bildet einen monokratisch aufgebauten Rechtsverband mit dem pater familias als Oberhaupt und den Personen, die seiner umfassenden Hausgewalt unterworfen sind. Der Hausgewalt unterstehen: die Ehefrau, die Kinder und Enkel des pater familias, deren Frauen, die an Kindes Statt angenommenen Personen sowie Hörige, Sklaven und Dienstpersonal. Ein besonderes Merkmal der altrömischen Familie ist das Agnationsprinzip. Danach gelten diejenigen Personen, die unter gleicher Hausgewalt stehen, als verwandt. Vom Agnationsprinzip zu unterscheiden ist das (jüngere) Kognationsprinzip, wonach sich die Zugehörigkeit zur Personengruppe durch Blutsverwandtschaft ergibt.
Ursprünglich hieß die Hausgewalt in allen ihren Anwendungsfällen manus. Später jedoch verstand man darunter nur noch die Gewalt über die Ehefrau, während man hinsichtlich der Kinder und Enkel von väterlicher [<<41] Gewalt (patria potestas) sprach. Die Herrschaft des pater familias war rechtlich nahezu unbeschränkt (ius vitae ac necis). Der Inhalt der ehelichen und väterlichen Gewalt umfasste auch die Befugnis, Strafen zu verhängen sowie das Recht, seine Kinder zu verkaufen, zu verheiraten und ihre Ehen zu scheiden (Tafel IV, 1). Ähnlich dominierend war die Stellung des pater familias in anderen frühen Rechtsordnungen, z. B. im Codex Hammurabi (ca. 1750 v. Chr.) oder im altjüdischen Recht. Es wäre allerdings falsch, diese Herrschaft für eine „totale“ zu halten. Der pater familias konnte von der ihm rechtlich zustehenden Vollgewalt aufgrund des geltenden Sakralrechts und den von der Sitte geschaffenen Bindungen nur in eingeschränktem Maße Gebrauch machen. Schwere Verfehlungen blieben daher die Ausnahme.
In vermögensrechtlicher Hinsicht beinhaltete die Familiengewalt des pater familias das ausschließliche Verwaltungs- und Verfügungsrecht über das gesamte Hausvermögen. Die Gewaltunterworfenen – sogar erwachsene Haussöhne, die selbst bereits verheiratet waren und Kinder hatten – konnten selbständige Rechte im zivilrechtlichen Sinne nicht wahrnehmen; sie waren unfähig, eigenes Vermögen zu haben. Vermögensfähigkeit erlangten sowohl Söhne als auch Töchter erst, wenn die patria potestas durch den Tod des Vaters oder durch Emanzipation (2. Kapitel 1.1, S. 57) erloschen war. Während der erwachsene Sohn dadurch völlig gewaltfrei (sui iuris) wurde, blieben die Frauen unselbständig: Die Ehefrau in manu des Verstorbenen und seine Töchter kamen unter die Vormundschaft der nächsten männlichen Verwandten. Diese Geschlechtsvormundschaft (tutela mulierum) gab dem Vormund (tutor) zwar nur noch eine begrenzte Gewalt über die Frau, berührte auch ihre Rechtsfähigkeit nicht mehr, schränkte sie aber weiterhin in ihrer Handlungsfähigkeit ein (7. Kapitel 2.2, S. 180). Zur Wirksamkeit der von ihr abgeschlossenen Geschäfte bedurfte es nun der Zustimmung des Vormunds (tutor), so wie es früher der Zustimmung des pater familias bedurft hatte.
Der Status der Frau war in der altrömischen Periode also durch lebenslange Gewaltunterworfenheit gekennzeichnet. Mit der fortschreitenden Verselbständigung der Frau im sozialen Leben kam es jedoch schon bald zu frauenfreundlichen Rechtsänderungen. Seit