Rechtsgeschichte. Stephan Meder

Rechtsgeschichte - Stephan Meder


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ihrer privatrechtlichen Rechts- und Handlungsfähigkeit eine fast völlige Gleichstellung mit dem Mann (3. Kapitel 4.1, S. 90).

      Das Zwölftafelgesetz regelt Straf- und Deliktsrecht vor allem in der VIII. Tafel, in der sein kulturgeschichtlicher Standort besonders deutlich hervortritt. Archaische und in die Zukunft weisende Regelungen liegen dicht beieinander. Im Mittelpunkt steht das Prinzip privater Rache. Eine öffentliche Strafverfolgung ist noch kaum entwickelt, sie beschränkt sich auf einige gegen das Gemeinwohl gerichtete Delikte. Sogar die Bestrafung des Mörders bleibt der privaten Initiative der Agnaten [<<43] des Getöteten überlassen. Das Gesetz enthält aber auch Regeln, die der Rache Grenzen setzen, vgl. etwa Tafel VIII, 2:

      Wenn jemand [einem anderen] ein Glied verstümmelt, soll [der Täter] das Gleiche erleiden, wenn er sich nicht [mit dem Verletzten] gütlich einigt (si membrum rup(s)it, ni cum eo pacit, talio esto).

      Die physische Vergeltung mit dem gleichen Übel gestatten die Zwölf Tafeln aber nur bei schweren Körperverletzungen. Bei leichteren Verletzungen ordnen sie Geldbußen an. So hat der Täter für den Knochenbruch (os fractum) 300 As zu entrichten, wenn der Verletzte ein Freier, 150 wenn er ein Sklave ist, für geringere Verletzungen sogar nur 25 As (Tafel VIII, 3, 4). Einschränkungen des Talionsprinzips finden sich auch im Diebstahlsrecht (Tafel VIII, 12 ff.). Die Zwölf Tafeln unterscheiden danach, ob der Dieb auf frischer Tat ertappt wurde oder nicht. Im zweiten Fall darf der Bestohlene nur eine Geldbuße fordern, die meistens nach dem [<<44] doppelten Wert der gestohlenen Sache bemessen wird. Typisches Kennzeichen von Privatstrafen sind Bußen, die höher sind als der Schaden. Die Zwölf Tafeln gehen hier die ersten Schritte in eine Richtung, an deren Ende die privatrechtliche Regelung von Eigentumsverletzungen steht (vgl. § 823 Abs. 1 BGB). Den auf frischer Tat ertappten Dieb darf der Bestohlene dagegen eigenmächtig töten. Er muss ihn allerdings bei Nacht erwischt haben. Bei am Tag gefassten Dieben ergeben sich zusätzliche Einschränkungen. Insgesamt wird deutlich, dass das Gesetz die Möglichkeiten der Selbsthilfetötung zu beschränken sucht.

      Der Gedanke der Wiedervergeltung kommt auch in Bereichen zum Tragen, in denen das Zwölftafelrecht die Todesstrafe verhängt. So heißt es etwa in Tafel VIII, 10:

      Wer ein Haus oder einen neben das Haus gesetzten Getreidehaufen niederbrannte, soll, wenn er wissentlich und vorsätzlich gehandelt hat, in Ketten gelegt, verprügelt oder gegeißelt und durchs Feuer hingerichtet werden. Geschah die Tat aber mehr zufällig, d.h. infolge Fahrlässigkeit, so soll der Täter entweder den Schaden wiedergutmachen oder, wenn er weniger leistungsfähig ist, leichter bestraft werden (qui aedes acervumve frumenti iuxta domum positum combusserit, vinctus verberatus igni necari iubetur, si modo sciens prudensque id commiserit; si vero casu, id est negligentia, aut noxiam sarcire iubetur, aut, si minus idoneus sit, levius castigatur).

      Die Hinrichtung spiegelt die Begehung des Verbrechens, was an den Talionsgedanken erinnert. Ferner fällt auf, dass unabsichtliches Verhalten bei der Bemessung der Strafe zugunsten des Verursachers berücksichtigt werden soll. An anderer Stelle sagen die Zwölf Tafeln, dass den Agnaten des Getöteten ein Schafbock zu stellen sei, „wenn der Speer mehr aus der Hand geflogen als geworfen ist“ (Tafel VIII, 24). Das Ziel einer Beschränkung der Rache kann also auch über ein stellvertretendes Objekt erreicht werden. Daneben wurden auch minderjährige Täter privilegiert. So zieht sich von Vorschriften der alten Zwöltafelgesetzgebung (z. B. Tafel VIII, 9, 14) eine Linie über die Constitutio Criminalis Carolina von 1532 bis zum Reichsstrafgesetzbuch von 1871, das Kinder unter 12 Jahren für strafunmündig erklärte und für jugendliche Straftäter zwischen 12 und 18 Jahren eine obligatorische Strafmilderung vorsah. Dies bedarf in [<<45] Zeiten, in denen Fragen der Kinderdelinquenz und Herabsetzung von Strafbarkeitsgrenzen wieder in den Fokus öffentlicher Wahrnehmung gerückt sind, besonderer Hervorhebung.

      Zusammenfassend und mit Blick auf die weitere Entwicklung lässt sich feststellen: Der älteste Zweck, der mit einer Vergeltung verfolgt wird, ist die Sühne für eine Unrechtstat (delictum), die jemand einer anderen Person gegenüber begangen hat. Auf diesen Zweck lässt sich auch die persönliche Haftung beim nexum zurückführen, wonach der Gäubiger auf den Körper des Haftenden greifen darf, wenn dieser nicht durch Rückzahlung des Darlehns gelöst wird. Ein Privatunrecht wird nach altem Recht durch die Rache des Verletzten gesühnt. Das Ziel dieser Rache ist ursprünglich auf die Tötung des Täters gerichtet. Das Zwölftafelgesetz sucht nun die Befugnisse des Verletzten einzuschränken, um den Täter vor unberechtigter Verfolgung zu schützen. Eine erste Einschränkung bildet die Talion. Hinzu kommt die Privilegierung unabsichtlichen Handelns bei der Strafbemessung. Weitere Einschränkungen ergeben sich aus den gesetzlich fixierten Bußtaxen, etwa im Fall von Körperverletzungen oder Diebstahl. Die Bußtaxen bilden den Ausgangspunkt für die spätere Entwicklung des Privatstrafrechts, aus dem das moderne Recht der Unerlaubten Handlungen hervorgegangen ist. Im 3. Jahrhundert v. Chr. werden die Schadensersatzbestimmungen der Zwölf Tafeln durch eine zusammenfassende Regelung in der lex Aquilia (vermutlich 286 v. Chr.) ersetzt. Betrachtet man die einzelnen Haftungsvoraussetzungen der lex Aquilia, so lässt sich der moderne Begriff der Unerlaubten Handlung in Umrissen erkennen. Kausalität, Rechtswidrigkeit und Verschulden sind als Merkmale der Haftung auf Schadensersatz bereits ausgeprägt. Es ist daher kein Zufall, dass der Name des Gesetzes in Italien und Frankreich in den Ausdrücken responsabilitá Aquiliana und responsabilité Aquilienné noch fortlebt.

      Der in der Folgezeit weiter ausgebaute Schutz des Täters vor unberechtigter Verfolgung hat zu einer Funktionsteilung von Privat- und Strafrecht geführt. Heute steht die Fachliteratur der Frage, ob das Zivilrecht unter bestimmten Umständen auch strafrechtliche Funktionen ausüben könne, überwiegend ablehnend gegenüber. Dabei glaubt man, sich auf folgende Argumente berufen zu können: Pönale Elemente seien [<<46] im Zivilrecht ein Fremdkörper, jede Form der Bestrafung müsse hier als unzulässiger, systemwidriger Übergriff in die Kompetenz des Strafrechts missbilligt werden. Schadensersatz könne keine Straffunktionen ausüben, weil das private Haftungsrecht lediglich den Ausgleich der gestörten Vermögensverhältnisse bezwecke. Die öffentliche Strafe sei dagegen keineswegs auf die Vermögenseinbuße


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