Gesellschaftsrecht II. Recht der Kapitalgesellschaften. Ulrich Wackerbarth
Mehrheitsherrschaft. Davon handeln insbesondere unten §§ 10 und 11.
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Lösung zu Fall 2:
Klausurhinweise:
Bei Satzungsangaben im Sachverhalt stellen sich immer zwei Probleme: (1) Ist die entsprechende Satzungsklausel wirksam (Zustandekommen/Inhalt)? (2) Wie ist sie auszulegen?
Finden sich keine Satzungsangaben im Sachverhalt, so hat man für die Lösung grundsätzlich von der gesetzlichen Ausgangslage auszugehen, man darf also nicht irgendwelche Gesellschaftsvertragsklauseln unterstellen. Es ist z.B. mangels Sachverhaltsangaben von gleichen Anteilen der Gesellschafter an der Gesellschaft (jeder 33 %) auszugehen und von gleichen Gewinnanteilen (§ 29 Abs. 3 GmbHG), und vom sogenannten Vollausschüttungsgebot (§ 29 Abs. 1 GmbHG).
1. Rechtslage bei der GmbH
Hier findet sich eine Angabe zum Gesellschaftsvertrag im Sachverhalt, die fragliche Klausel ist angegeben. Offensichtlich haben sich die Gesellschafter nach dem Ablauf des ersten Jahres den Gewinn nicht vollständig auszahlen lassen, es hat also ein Beschluss nach § 29 Abs. 2 GmbHG stattgefunden (sonst könnte die Gesellschaft nicht mehr als das Anfangskapital von 50.000 € auf ihrem Konto haben).
Wichtig ist es ferner, die einzelnen Rechtsbeziehungen auseinanderzuhalten: Geht es um das Verhältnis zwischen A und G? Nein, sondern um das Verhältnis von A zu X, für die wiederum G als gesetzlicher Vertreter handelt. Wenn G den Betrag nicht an A auszahlt, sondern seine Weigerung erklärt, dann hat er insoweit wirksam für X gehandelt, weil der Geschäftsführer nach außen unbeschränkte Vertretungsmacht hat. Wegen der gültigen Satzung stellt diese Weigerung aber eine Pflichtverletzung im Verhältnis der Gesellschaft X zu ihrem Gesellschafter A dar: Die Satzung hat den Anspruch des A auf Herausgabe des Geldes gegen X begründet und konnte das wegen der §§ 29, 30, 45 GmbHG auch wirksam tun (Gewinnentnahmen sind zulässig, solange damit nicht in das Stammkapital der GmbH eingegriffen wird). Die Weigerung war rechtswidrig. A kann daher von X 80 € Schadensersatz aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. der Satzung der X-GmbH verlangen. Die Pflichtverletzung hat die X-GmbH gegenüber A gem. § 278 BGB zu vertreten, weil ihr gesetzlicher Vertreter G zumindest fahrlässig gehandelt hat, indem er grundlos auf die Rückkehr von B und C gewartet hat.
Im Endergebnis haftet freilich die Gesellschaft nicht endgültig. An der Entstehung des Schadensersatzanspruchs des A ist letztlich G schuld, weil er sich entgegen § 37 Abs. 1 GmbHG nicht an die Satzung (den Gesellschaftsvertrag der GmbH) gehalten hat. Deshalb hat die X-GmbH ihrerseits einen Schadensersatzanspruch gegen G auf 80 € wegen Verletzung seiner Pflichten als Geschäftsführer (§ 43 Abs. 2 GmbHG i.V.m. § 37 Abs. 1 GmbHG).
2. Rechtslage bei der Aktiengesellschaft
Von diesem Ergebnis weicht die Rechtslage in der AG deutlich ab: In der AG herrscht grundsätzlich keine Satzungsfreiheit, sondern das Prinzip der sog. Satzungsstrenge gem. § 23 Abs. 5 AktG[3]. Ist die Satzungsklausel also unwirksam, weil sie von der Regel des § 57 Abs. 1, 3 AktG abweicht? Nein, so schnell ist man mit der Prüfung nicht am Ende, man lese § 23 Abs. 5 AktG genau: das Gesetz kann selbst Abweichungen durch die Satzung zulassen und hat das in § 59 AktG auch getan. Aber: nach § 59 AktG kann eine Abschlagszahlung nicht ohne Zustimmung von Vorstand und Aufsichtsrat erfolgen (§ 59 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 AktG), außerdem darf der Vorstand nicht zur Zahlung verpflichtet werden, sondern nur ermächtigt werden. Also kann die Satzung auch nicht einen Anspruch des A gegen X begründen, sondern allenfalls dem G eine Ermächtigung zur Zahlung geben. Daran scheitert im Ergebnis ein Schadensersatzanspruch des A gegen X.
Anmerkungen
Übersicht bei Eisenhardt/Wackerbarth, GesR I Rn. 20 ff.
Siehe bereits Eisenhardt/Wackerbarth, GesR I Rn. 814 ff.
Dazu bereits Eisenhardt/Wackerbarth, GesR I, Rn. 582.
Teil 2 Die Organisation der Kapitalgesellschaft › § 3 AktG und GmbHG
§ 3 AktG und GmbHG
Inhaltsverzeichnis
I. Zweck der folgenden Darstellung
II. Die Orientierung der beiden Gesetze am „Lebenszyklus“
III. Die wichtigsten beteiligten Personen (Organe)
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Fall 3:
Der Vorstand der M-AG, die Motorräder herstellt, beschließt einstimmig, dass das langjährige Modell M-1 ohne grundsätzliche Neuerungen weitergebaut werden soll. Demgegenüber steht der Aufsichtsrat geschlossen auf dem Standpunkt, die M-AG solle ein zukunftsweisendes Modell mit einem umweltfreundlichen Aggregat entwickeln. Wer entscheidet diese Frage oder wirkt an der Entscheidung mit? Rn. 62
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Fall 4:
Die M-AG erhält von dem lateinamerikanischen Staat S einen Großauftrag über eine Sonderanfertigung. Die Zahlung soll einen Monat nach Eintreffen der Schiffsladung auf ein deutsches Konto erfolgen. Der Vorstand der M akzeptiert diese Bedingungen einstimmig, obwohl der Aufsichtsrat seine nach der Satzung erforderliche Zustimmung verweigert und auch keine Hauptversammlung einberufen wird.
a) | Hat S einen Anspruch auf Lieferung gegen die M-AG? |
b) | Wie ist die Frage zu entscheiden, wenn es sich bei M um eine GmbH handelt und statt eines Aufsichtsrats die Gesellschafterversammlung ihre Zustimmung verweigert hat? Rn. 63 |
Teil 2 Die Organisation der Kapitalgesellschaft › § 3 AktG und GmbHG › I. Zweck der folgenden Darstellung
I. Zweck der folgenden Darstellung
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Im Mittelpunkt der folgenden Darstellung stehen das AktG und das GmbHG. Die Regeln und der Aufbau der beiden Gesetze ähneln sich. Die folgende Übersicht soll daher einen Überblick verschaffen und ein „Gefühl“ für die Fragen vermitteln, die der Gesetzgeber für regelungsbedürftig erachtet hat. Sie orientiert sich an dem „Lebenszyklus“ einer Gesellschaft. Um sich der Gesellschaftswirklichkeit weiter anzunähern, werden anschließend die Personen betrachtet, die an einer lebenden Kapitalgesellschaft, die ein Unternehmen betreibt, beteiligt sind. Auch hier gibt es viele Ähnlichkeiten zwischen den Gesetzen, so dass sich die Unterschiede zwischen einer GmbH und einer Aktiengesellschaft auf wenige zentrale Punkte beschränken (dazu schon Rn.