Gesellschaftsrecht II. Recht der Kapitalgesellschaften. Ulrich Wackerbarth
betreibt einen Versandhandel von Software. Geschäftsführer (Vorstand) ist G. Die Geschäfte gehen gut, die Gesellschaft hat keine Verbindlichkeiten, sondern ein über das Stammkapital (Grundkapital) von 50.000 € deutlich hinausgehendes Nettovermögen von 200.000 €. Als A im Juni 2000 dringend Geld braucht, weigert sich G auf dessen schriftlichen Wunsch hin jedoch, 7.000 € von dem Konto der X als „Gewinnvorschuss“ an A zu überweisen, weil B und C im Ausland sind. Daraufhin leiht sich A das Geld kurzfristig von einer Bank und muss dafür insgesamt 80 € Zinsen zahlen. Der Gesellschaftsvertrag (die Satzung) von X enthält folgende Klausel: „Im Laufe jedes Geschäftsjahres hat jeder Gesellschafter das Recht, bis zu 15 % des auf ihn entfallenden Gewinnes, höchstens jedoch 15.000 € aus der Gesellschaftskasse zu entnehmen. Der Betrag ist jedem Gesellschafter auf sein erstes schriftliches Verlangen von der Gesellschaft auszuzahlen.“
A verlangt nunmehr Schadensersatz in Höhe von 80 € von der X (!). Rn. 51
Teil 2 Die Organisation der Kapitalgesellschaft › § 2 Übersicht über das Recht der Kapitalgesellschaften und Rechtstatsachen › I. Typen der Unternehmensträger
1. Typenvielfalt im Gesellschaftsrecht
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„Träger“, d.h. Inhaber, eines Unternehmens können nicht nur eine Einzelperson (Kaufmann), sondern auch Gesellschaften sein. Im deutschen Recht gibt es eine Vielzahl von rechtlich vertypten Verbänden, die sämtlich als Träger eines Unternehmens in Betracht kommen, wenn auch bei manchen (etwa Stiftung oder Verein) ihre Befugnis, unternehmerisch tätig zu werden, fraglich ist. Es gibt die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die Kommanditgesellschaft (KG), die offene Handelsgesellschaft (oHG), die Aktiengesellschaft (AG), die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), möglicherweise auch die Stiftung, der Verein, die Genossenschaft, der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, sowie vielfältige Mischformen (GmbH & Co KG, AG & Co KG a.A., Stiftung & Co. KG) usw. Diese Vielfalt[1] bedarf einer Ordnung.
2. Einzelkaufmann <=> Gesellschaft
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Unternehmensträger können im Ausgangspunkt nur entweder eine Einzelperson oder eine Mehrheit von Personen, also eine Gesellschaft sein. Da eine Gesellschaft aus mindestens zwei Personen besteht, können sich gesellschaftsrechtliche Fragen nicht stellen, wenn man es nur mit einer Person zu tun hat. Warum dieser banale Satz hier so betont wird, wird im Folgenden deutlich.
3. Unternehmensträger mit Haftungsbeschränkung <=> ohne Haftungsbeschränkung
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Wenn dieses Werk Kapital„gesellschafts“recht heißt, so ist das letztlich ungenau. Denn letztlich werden nur die beiden wichtigsten Organisationsformen für unternehmerisches Tätigwerden mit Haftungsbeschränkung behandelt, die AG und die GmbH. Sowohl eine Personenmehrheit (Verband, Gesellschaft) als auch eine Einzelperson können ihr Unternehmen mit oder ohne Haftungsbeschränkung führen. Ursprünglich waren zwar die Rechtsformen für haftungsbeschränktes Unternehmertum den Personenmehrheiten vorbehalten. Da die Kapitalgesellschaft aber zugleich eine von ihren Gesellschaftern abstrahierte „juristische Person“ war, stellte sich bald die Frage, ob diese juristische Person unterging oder aber fortbestand, wenn das vorletzte Mitglied ausgeschieden war. Die Rechtsprechung sah auch den Fortbestand mit nur einem Mitglied als zulässig an. Von daher war es nur ein kleiner Schritt, auch die Gründung einer Kapital„gesellschaft“ durch nur eine natürliche Person zuzulassen und dieser Person so zu ermöglichen, als Einmann-Kapitalgesellschaft[2] die Haftung für ihr unternehmerisches Tätigwerden zu beschränken. Ein wesentlicher Teil dieses Werkes beschäftigt sich mit den Voraussetzungen und Wirkungen der Haftungsbeschränkung. In diesem Sinne ist das Recht der AG und der GmbH kein „Gesellschaftsrecht“, vielmehr enthält es lediglich die Bedingungen (Kautelen), unter denen die Haftung für unternehmerische Tätigkeit beschränkt werden kann.
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Für das unternehmerische Handeln stellt die Rechtsordnung den Einzelpersonen und Verbänden verschiedene Rechtsformen (sozusagen Kleider) zur Verfügung, unter denen sie im Rechtsverkehr auftreten können. Rechtsformen ohne Haftungsbeschränkung sind die Personengesellschaften (GbR, oHG, KG, KG a.A., zu ihnen näher bereits das Werk „Gesellschaftsrecht“) oder aber der eingetragene Kaufmann. Rechtsformen mit Haftungsbeschränkung sind die sog. Kapitalgesellschaften, d.h. die AG, die GmbH, oder aber auch Mischformen, d.h. Personengesellschaften, bei denen persönlich haftende Gesellschafter ihrerseits Rechtsträger mit Haftungsbeschränkung sind, also etwa eine nur aus verschiedenen GmbH bestehende OHG, die GmbH & Co KG, oder allgemein die „Juristische Person & Co KG“.
4. Die Reihenfolge der Darstellung
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Hinter der Rechtsform der AG oder GmbH kann sich also sowohl eine Einzelperson als auch eine echte Gesellschaft aus mehreren Gesellschaftern verbergen. Daraus resultiert folgende Leitlinie für den hier verfolgten Weg der Darstellung:
Es gibt im Kapitalgesellschaftsrecht zum einen Fragen, die allein aus der Besonderheit der Haftungsbeschränkung folgen. Diese Fragen stellen sich sowohl für die Einzelperson, die in Form der AG oder GmbH auftritt, als auch für eine Personenmehrheit, die diese Rechtsform gewählt hat. Aus Vereinfachungsgründen kann man die sachlichen Fragen, die das Rechtsinstitut der Haftungsbeschränkung aufwirft, im Wesentlichen anhand der Einpersonen-Gesellschaft erörtern. Wenn man die Rechtsfragen des AktG und des GmbHG für diese Sonderkonstellation verstanden hat, ist die Übertragung auf echte Gesellschaften (d.h. Rechtsträgermit mehreren, mindestens 2 Gesellschaftern) in der Form von AG oder GmbH einfach: Grundsätzlich gilt für sie nämlich dasselbe wie für die Einpersonen„gesellschaft“ bis auf einige wenige zu erörternde Besonderheiten, die sich ergeben, weil man es auf der Seite der Gesellschafter eben nicht mit einer, sondern mit mehreren Personen zu tun hat.
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Nachfolgend wird also in zwei Schritten vorgegangen: In Teil 3 wird das Recht der Haftungsbeschränkung abgehandelt. Anschließend geht es in den Teilen 4 und 5 um die Fragen, die sich in der AG und in der GmbH im Hinblick auf den Zusammenschluss mehrerer Personen zu einer Gesellschaft ergeben und die nichts mit der Haftungsbeschränkung zu tun haben. Diese Abschnitte beinhalten die Beschlussfassung, den Minderheitenschutz, zu dem auch das Konzernrecht gehört und die Probleme der quasi-autonomen Geschäftsleitung. Der letzte Teil behandelt die börsennotierte AG. Fragen der Corporate Governance werden einerseits im Zusammenhang mit der Geschäftsleitung in den ersten beiden Teilen erörtert, tauchen aber auch später bei den börsennotierten Gesellschaften noch einmal auf.
Teil 2 Die Organisation der Kapitalgesellschaft › § 2 Übersicht über das Recht der Kapitalgesellschaften und Rechtstatsachen › II. Warum die Unterscheidung zwischen AG und GmbH?
1. Kein Unterschied im Wesen
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Sucht man nach den Unterschieden zwischen den zwei Hauptrechtsformen für das Betreiben eines Unternehmens mit Haftungsbeschränkung, so wird man nicht so leicht fündig. Betrachten wir zunächst die gesetzlichen Definitionen der beiden Formen.