Gesellschaftsrecht II. Recht der Kapitalgesellschaften. Ulrich Wackerbarth

Gesellschaftsrecht II. Recht der Kapitalgesellschaften - Ulrich Wackerbarth


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Lager ( 50.000 €) (Bilanzverlust) ( 70.000 €) Fehlbetrag ( 5.000 €)

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      Beispiel einer Bilanz, die das Jahr 1 (Bilanzgewinn) widerspiegelt:

Aktiva Passiva
(Stammkapital) ( 70.000 €)
Immobilien (320.000 €) kurzfristige Verbindlichkeiten (150.000 €)
Forderungen ( 95.000 €) Bankdarlehen (255.000 €)
Lager ( 80.000 €)
(Bilanzgewinn) ( 20.000 €)
3. Bedeutung und Zweck des gesetzlichen Mindestkapitalerfordernisses

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      Bevor die Regeln der Kapitalerhaltung im Detail dargestellt werden, ist zunächst kurz zur Funktion des Erfordernisses eines Mindestkapitals (vgl. § 5 Abs. 1 GmbHG, § 7 AktG) im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht Stellung zu nehmen. Einigen Analysen, die den Vorschriften über das Mindestkapital heute weitgehende Funktionslosigkeit bescheinigen, kann nämlich nicht gefolgt werden. Dabei ist zwischen Vorschriften über die Pflicht zur Aufbringung und Erhaltung eines Mindestkapitals und denjenigen über die Erhaltung einer satzungsmäßigen Ausstattung mit Kapital zu unterscheiden.

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      Nach der gesetzlichen Regelung unterliegt nicht nur das gesetzliche Mindestkapital der Kapitalerhaltung, sondern das gesamte (möglicherweise höhere) satzungsmäßige Kapital (§§ 57 ff. AktG, §§ 30 ff. GmbHG). „Erhalten“ wird also nicht nur das Mindestkapital. Dennoch besitzt dieses aus Sicht der Gläubiger besondere Bedeutung: Die Gesellschafter können durch eine Kapitalherabsetzung die gesetzliche Kapitalerhaltung auf das Mindestkapital begrenzen, vgl. §§ 222 ff. AktG, §§ 58 ff. GmbHG. Andererseits können sie in der Satzung das Kapital nicht unter den Betrag des gesetzlichen Mindestkapitals festlegen. Daher gewährleistet vor allem die Erhaltung des gesetzlichen Mindestkapitals echten Gläubigerschutz, weil das Kapital nicht durch Gesellschafterentscheidungen auf Null reduziert werden kann.

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      Das gesetzliche Konzept des Mindestkapitalerfordernisses und der Kapitalerhaltung wird von den meisten Studierenden (und auch von anderen) nicht richtig verstanden. So herrscht z.B. die Vorstellung, Leitgedanke des Mindestkapitals sei es, dass vorneweg eine bestimmte Haftungssumme festgelegt wird und dieses Kapital der Gesellschaft als „Startkapital“ zur Verfügung gestellt werde. In dieser Sicht ist das Mindestkapital nur eine Eintrittskarte (Seriositätsschwelle), um die Haftungsbeschränkung erlangen zu können. Ferner herrscht die Vorstellung, das Mindestkapital solle den Gläubigern als Haftungsfonds oder -reserve gewährleistet werden, also als Geldbetrag, auf dessen Vorhandensein die Gläubiger vertrauen können. In dieser fehlgeleiteten Vorstellung ist das Mindestkapital nichts anderes als ein „Sack Geld“, der irgendwo in den Geschäftsräumen der Gesellschaft herumsteht und aus dem sich die Gläubiger befriedigen können sollen, wenn die Kapitalgesellschaft insolvent ist. Beide Vorstellungen gehen fehl.

      Sähe man die Funktion des Mindestkapitalerfordernisses darin, nur ein bestimmtes Startkapital vorzugeben, dann könnte angesichts der unterschiedlichsten möglichen Gesellschaftszwecke und -umsätze (Tante Emma-Laden einerseits oder Luftverkehrsunternehmen andererseits) kein einheitlicher, fester Mindestbetrag gewählt sein. Vielmehr müsste der zu verlangende Betrag dann dem Gegenstand der unternehmerischen Tätigkeit und ihren Risiken angepasst werden (sog. Erfordernis ausreichender materieller Kapitalisierung). Das ist in der Tat die Sichtweise einer (abzulehnenden) Strömung in der Literatur, dazu näher unten Rn. 308 ff. (sog. Unterkapitalisierungshaftung).

      Auch kann man sich das Kapital nicht wie den eben angesprochenen „Sack Geld“ vorstellen, der ständig in den Geschäftsräumen der Gesellschaft herumsteht und völlig unabhängig von dem sonstigen Vermögen und den Schulden der Gesellschaft ist: Das Gesetz verlangt vielmehr zwar, dass die Gesellschafter zu Beginn einen solchen „Sack Geld“ mit in das Unternehmen einbringen. Dieser ist aber gegen eine Aufzehr durch Verluste aus der unternehmerischen Tätigkeit am Markt nicht geschützt und kann dementsprechend auch den Gläubigern einen solchen Schutz nicht vermitteln.

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      Das Gesetz verlangt (nur), dass die Gesellschafter das ursprünglich in die Gesellschaft eingezahlte Geld als Investment dort auch (dem wirtschaftlichen Werte nach) belassen und es nicht durch Gewinnauszahlungen wieder entnehmen. Gewinnauszahlungen sollen nur unter der Bedingung möglich sein, dass auch nach der Auszahlung noch das zu Beginn eingezahlte Kapital wirtschaftlich in Form des Überschusses der Aktiva über die Passiva noch vorhanden ist (zur bilanziellen Betrachtungsweise siehe Rn. 159 ff.).

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      Kommt es in der Folge zu Verlusten und schließlich der Insolvenz der Kapitalgesellschaft, so hat das Gesetz auf diese Weise sichergestellt, dass diese Verluste zuerst die Investoren tatsächlich-wirtschaftlich treffen, indem sie diesen Überschuss der Aktiva über die Passiva (ihr Investment) eben verlieren.

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      Daher darf das Mindestkapital nicht (nur) als Seriositätsschwelle verstanden werden, die von den Gesellschaftern bei der Gründung überschritten werden muss. Vielmehr gibt das satzungsmäßige Kapital den Betrag an, dessen Verlust die Investoren in der Insolvenz der Kapitalgesellschaft hinzunehmen haben. Und die Regelung über das gesetzliche Mindestkapital benennt dann nur die Höhe des Geldbetrags, dessen potentiellen Verlust der Gesetzgeber als ausreichend ansieht, um die Gesellschafter von einem Zugrunderichten ihrer Gesellschaft durch schlechte Unternehmensführung abzuhalten. Freilich setzt die (psychologische) Wirksamkeit dieser Überlegung voraus, dass die Gesellschafter tatsächlich etwas „zu verlieren haben“ und das ist nur solange der Fall, wie bei einer gedachten Liquidation der Gesellschaft tatsächlich noch etwas für sie übrig bliebe.

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      Die Funktionalität des gesetzlichen Mindestkapitalerfordernisses beruht nach diesem Verständnis


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