Gesellschaftsrecht II. Recht der Kapitalgesellschaften. Ulrich Wackerbarth
wirtschaftlichen Ergebnis dürften die unterschiedlichen Auffassungen aber nur wenig voneinander abweichen.
a) Antragspflicht
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Der Grundsatz der Kapitalerhaltung wird unterstützt und abgesichert durch die Pflicht der Geschäftsleiter, im Falle des vollständigen Verbrauchs des Gesellschaftsvermögens (= Überschuldung) oder bei Zahlungsunfähigkeit die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu beantragen. Eine solche Pflicht ergibt sich nunmehr aus § 15a InsO. Während sich solche Pflichten früher in den einzelnen Rechtsformregeln, also im GmbHG und im AktG fanden (nach altem Recht folgte dies aus § 64 Abs. 1 GmbHG, in der AG aus § 92 Abs. 2 AktG) und daher von der h.M. als Gesellschaftsrecht angesehen wurden, steht nun eine rechtsformunabhängige Regelung in der InsO. Danach sind bei sämtlichen Gesellschaften mit Haftungsbeschränkung das „Vertretungsorgan“ oder „die Abwickler“ verpflichtet, innerhalb von 3 Wochen den entsprechenden Antrag zu stellen. Die Neuregelung dürfte durch die jüngere Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit veranlasst sein. Nach dieser EuGH-Rechtsprechung darf (grob zusammengefasst[16]) deutsches Recht zwar nicht in fremdes „Gesellschaftsrecht“ eingreifen, wohl aber das eigene Insolvenzrecht auf in Deutschland tätige ausländische Gesellschaften angewendet werden. Da nicht die Gesellschaft selbst zur Antragstellung verpflichtet wird, sondern bestimmten Organen der Gesellschaft eine Pflicht auferlegt wird, ist dennoch fraglich, ob der EuGH darin nicht einen Eingriff in fremdes Gesellschaftsrecht (das ja auch die Pflichten der Organe einer Gesellschaft regelt) und damit einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit sehen wird. Das wird aber erst die Zukunft zeigen.
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Diese Pflicht entsteht im Zeitpunkt Z3. Dieser Zeitpunkt kann nicht nach hinten verlegt werden, der Geschäftsführer hat lediglich 3 Wochen Zeit zur Antragstellung und kann in dieser Zeit versuchen, die Überschuldung zu beseitigen, etwa indem er die Gesellschafter dazu gewinnt, der Gesellschaft weiteres Eigenkapital zur Verfügung zu stellen (Zu den Auswirkungen des aktuellen Überschuldungsbegriff gem. § 19 Abs. 2 InsO vgl. Rn. 285 ff; 293).
b) Rechtsfolgen bei Verstoß
aa) Strafrecht
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Die Pflicht zur Antragstellung ist strafbewehrt nach § 15a Abs. 4 und 5 InsO, womit der Gesetzgeber ihr Nachdruck verleihen will. In Betracht kommen auch die Straftatbestände des Betrugs (§ 263 StGB) und der Untreue (§ 266 StGB) sowie die Insolvenzstraftatbestände der §§ 283 ff. StGB.
bb) Insolvenzverschleppungshaftung
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§ 15a InsO ist, wie die Regelung des § 64 Abs. 1 GmbHG, eine Schutzvorschrift im Interesse der Gläubiger. Stellt der Geschäftsführer den Insolvenzantrag zu spät, so ist er deshalb den Gläubigern nach § 15a InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB zum Schadensersatz verpflichtet.[17] In der AG bestand eine entsprechende Haftung des Vorstands gem. § 92 Abs. 2 AktG a.F. i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB.[18] Diese Haftung entspricht den von der Rechtsprechung entwickelten Regeln der Insolvenzverschleppung zu § 64 Abs. 1 GmbHG a.F., der wie die entsprechende Regelung im AktG § 92 Abs. 2 AktG a.F. ersatzlos aufgehoben wurde.
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Dieser Schadensersatzanspruch ist kompliziert, und zwar erstens deshalb, weil der klagende Gläubiger den Zeitpunkt beweisen muss, in dem der Geschäftsleiter den Insolvenzantrag rechtzeitig hätte stellen müssen (zu den Schwierigkeiten, die Überschuldung der GmbH praktisch festzustellen, siehe Rn. 267 ff.); und ferner, weil dem Gläubiger ja auch bei rechtzeitiger (d.h. früherer) Antragstellung nur ein Teil seiner Forderungen (die sog. Insolvenzquote) bezahlt worden wäre. Der Geschäftsführer haftet nur auf den Unterschied zwischen der tatsächlichen und der hypothetischen Quote (sog. Quotenschaden) und diese lässt sich kaum jemals verlässlich berechnen. Zum anderen zeigt die Praxis, dass die komplexe Differenzierung zwischen sogenannten Alt- und Neugläubigern die Haftung häufig nur schwer beweisbar macht. Sie steht mehr auf dem Papier, als dass sie in der Praxis zur Anwendung kommt.[19] Wir sehen daher hier davon ab, die Haftung in allen ihren Details darzustellen.
cc) Haftung wegen Masseschmälerung gem. § 64 GmbHG
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Nach § 64 S. 1, 2 GmbHG müssen die Geschäftsführer einer GmbH der Gesellschaft Zahlungen ersetzen, die sie nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder nach Feststellung der Überschuldung geleistet haben, es sei denn, diese Zahlungen sind mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar. Eine ähnliche Regelung für die AG findet sich in §§ 92 Abs. 2, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG. Da der Anspruch gegenüber der Gesellschaft besteht, wird er im Falle der Insolvenz vom Insolvenzverwalter geltend gemacht. Auch diese Anspruchsnorm zielt darauf ab, den Geschäftsleiter zur rechtzeitigen Antragstellung anzuhalten, indem sie ihn für sämtliche sorgfaltswidrigen Zahlungen nach Feststellung ihrer Überschuldung haften lässt. Diese Anspruchsnorm lässt sich in der Praxis offenbar deutlich einfacher durchsetzen als die Haftung wegen Insolvenzverschleppung.[20] Es fragt sich allerdings, welche Zahlungen „sorgfaltswidrig“ sind, und was geschieht, wenn der Geschäftsleiter die Überschuldung gar nicht „festgestellt“ hatte.
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Neueingefügt durch das MoMiG wurde § 64 S. 3 GmbHG, demzufolge die Geschäftsführer auch für Zahlungen an Gesellschafter ersatzpflichtig sind, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit führen mussten, es sei denn, dies war unter Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns nicht erkennbar. Diese Norm greift bereits im Vorfeld der Insolvenz ein und weist Parallelen zu bereits bestehenden Schutzmechanismen gegen Vermögensverschiebungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern. Zum einen erweitert die Norm das Zahlungsverbot des § 30 GmbHG, in dem sie auch Zahlungen verbietet, die zwar das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen nicht tangieren, aber die Zahlungsunfähigkeit herbeiführen. Zum anderen überschneidet sie sich teils mit der sog. „Existenzvernichtungshaftung“, da die Vorschrift den Abzug von Vermögenswerten verhindern will, die die Gesellschaft zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten benötigt. Anders als diese sieht sie aber eine Haftung des Geschäftsführers (nicht des Gesellschafters) vor. Laut Regierungsbegründung sollen damit die Rechtssprechungsregeln zur Existenzvernichtungshaftung (Rn. 314 ff.) nicht verdrängt werden. Für die AG findet sich eine entsprechende Vorschrift in § 92 Abs. 2 S. 3 AktG.
c) Bedeutung für den Gläubigerschutz
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Die Gläubiger sollten sich von der eben dargestellten Haftung der Geschäftsleiter freilich nicht zu viel versprechen. Denn es ist häufig rein wirtschaftlich gesehen unwahrscheinlich, dass der Geschäftsführer aus seinem eigenen, oft nur sehr begrenzten Vermögen ihre Ansprüche wird vollständig befriedigen können. Die Bedeutung der Insolvenzantragspflicht und der daraus folgenden Haftung liegt denn auch weniger in dem Element der Kompensation des einmal angerichteten Schadens als vielmehr in ihrer präventiven Wirkung.
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Warum