Gesellschaftsrecht II. Recht der Kapitalgesellschaften. Ulrich Wackerbarth

Gesellschaftsrecht II. Recht der Kapitalgesellschaften - Ulrich Wackerbarth


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aus der Hand genommen und in die Hände des Insolvenzverwalters gelegt wird? Ganz einfach: weil die verhaltenssteuernde Wirkung der Kapitalerhaltungsregeln ab diesem Moment endet. Denn ab dem Zeitpunkt der Überschuldung haben die Gesellschafter nichts mehr zu verlieren, sie arbeiten nur noch mit dem Geld der Gläubiger und sind daher bereit, auch unsinnige Risiken einzugehen.[21]

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      Noch einmal zur Erinnerung: „Endgültiger Verbrauch“ des Kapitals bzw. „Überschuldung“ heißt nicht, dass die Gesellschaft kein Geld mehr in der Kasse hat, sondern nur, dass ihre Verbindlichkeiten ihr Vermögen überschreiten.

3. Die Grundidee des Gläubigerschutzsystems

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      Nimmt man die oben 1. und 2. beschriebenen Grundregeln zusammen, so ergibt sich die Grundidee des Gläubigerschutzes bei Kapitalgesellschaften: Eine finanzielle Betrachtung der Entwicklung des Vermögens der Gesellschaft während ihrer unternehmerischen Tätigkeit reicht für den Gläubigerschutz aus. Wenn der Zeitpunkt Z3 korrekt bestimmt wird, sind die Ansprüche der Gläubiger nur insoweit gefährdet, als ein bestimmtes diskretes Ereignis die Gesellschaft in die Überschuldung treibt.

      Beispiel:

      Gesellschaft hat aktives Vermögen in Form von 50 Mio. in Grundstücken + 50 Mio. in Forderungen, dagegen stehen Verbindlichkeiten in Form von 50 Mio. langfristiger Kredite + 50 Mio. Schulden aus Lieferungen und Leistungen. Nunmehr wird ein Schuldner der Gesellschaft zahlungsunfähig, der ihr 5 Mio. schuldete. Die Gesellschaft ist überschuldet. Im Insolvenzverfahren erhalten die Gläubiger (Forderungen gesamt = 100 Mio.) nur 95 Mio. (50 Mio. aus der Verwertung der Grundstücke, 45 Mio. aus den noch verwertbaren Forderungen der Gesellschaft), also jeder Gläubiger eine Quote von 95 % auf seine Forderungen).

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      Die damit verbundene – in der Theorie nur sehr begrenzte – Einschränkung der Befriedigung der Gläubiger ist vom Gesetz gewollt, indem es das Institut der Haftungsbeschränkung eingeführt hat. Insoweit findet bei Kapitalgesellschaften eine beschränkte Verlagerung des unternehmerischen Risikos von den Gesellschaftern auf die Gläubiger statt. Das beinhaltet aber – jedenfalls in der Theorie – gerade keine Möglichkeit für die Gesellschafter, auf Kosten der Gläubiger zu wirtschaften oder zu deren Lasten unsorgfältig mit dem eigenen Unternehmen umzugehen. Denn wenn die Gesellschafter sich nur so lange Geld aus der Kasse der Gesellschaft nehmen können, als auch nach der Entnahme bei einer gedachten Liquidation ein Plus für die Gesellschafter in Höhe des Stamm-/Grundkapitals herauskommt, wirtschaften sie stets noch „mit eigenem Geld“ (und daher genügend sorgfältig, da auf eigenes Risiko). Sobald die gedachte Liquidation aber ein Minus ergibt und die Gesellschafter deshalb allein auf das Risiko der Gläubiger wirtschaften, wird die unternehmerische Tätigkeit – wegen der Insolvenzantragspflicht: zwangsweise – beendet und die Gläubiger sind dann über ein Insolvenzverfahren geschützt.

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      Nochmals die Grundidee des Gläubigerschutzes nach dem Gesetz: Eine finanzielle Betrachtung reicht aus, eine Beurteilung der unternehmerischen Leistung der Handelnden oder der unternehmerischen Fähigkeiten der Gesellschafter oder Geschäftsführer ist nicht erforderlich für einen funktionierenden Gläubigerschutz. Der Gesetzgeber verlangt, dass die Kapitalgesellschaft ständig „im Plus wirtschaftet“, andernfalls muss sie Insolvenz anmelden.

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      Anderer Auffassung ist freilich der BGH: das gesetzliche System funktioniere nicht gut genug, man brauche daneben noch eine qualitative Betrachtung der „Leistungsfähigkeit“ der Gesellschaft, nämlich eine Prognose, ob sie im weiteren zeitlichen Verlauf ihre Schulden wird bezahlen können (Fortbestehensprognose). Diese Betrachtung ergibt sich aus der Rechtsprechung zu der Frage, wann genau die Überschuldung der Gesellschaft anzunehmen ist (dazu Rn. 267 ff.) sowie aus der Rechtsprechung zum sog. existenzvernichtenden Eingriff (dazu Rn. 314 ff.). Wenn man eine solche Prognose aber tatsächlich „wagt“, überfrachtet man die Gerichte mit der unmöglichen Aufgabe, die Funktionsfähigkeit einer unternehmerischen Idee auf ihre künftigen Erfolgsaussichten zu überprüfen.

      Wie mehrfach betont, kommt der Gläubigerschutz durch Kapitalerhaltung dagegen ohne diese Überprüfung unternehmerischer Erfolgsaussichten mit einer rein finanziellen Betrachtung aus. Solange der Überschuldungszeitpunkt Z3 korrekt bestimmt ist, und die Gesellschaft rechtzeitig den Insolvenzantrag stellt, sind die Ansprüche der Gläubiger nur insoweit gefährdet, als ein diskretes Ereignis (z.B. ein überraschender Ausfall von Forderungen) die Gesellschaft in die Überschuldung stürzt. Nur dieses Risiko aber hat der Gesetzgeber den Gesellschaftern mit der Möglichkeit der Haftungsbeschränkung auch abnehmen wollen.

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      Nach dem Gesagten gilt es, unter psychologischen Aspekten zwei Dinge im Kopf zu behalten:

      aa) Ab dem Zeitpunkt Z3 sind die Anreize für die Geschäftsführer (und die Gesellschafter), unangemessen riskante Geschäfte durchzuführen, am größten, weil sie ab diesem Zeitpunkt de facto nur noch mit dem Geld der Gläubiger wirtschaften (denn bei einer Liquidation stünde ihnen ja nichts mehr zu). Wenn man so will, „gehört“ ab diesem Zeitpunkt das Unternehmen wirtschaftlich bereits den Gläubigern. Sie sind jetzt die alleinigen „Kapitalgeber“, da die Passiva die Aktiva übersteigen und nicht umgekehrt.

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      bb) Wenn der Zeitpunkt Z3 wirklich eingehalten wird und in diesem Moment das Insolvenzverfahren beginnt, dann wirkt das auf die Überlegungen der Gesellschafter zurück, wieviel Eigenkapital sie in der Satzung als Grund- oder Stammkapital festlegen und demzufolge in die Gesellschaft investieren. Der Grundsatz der Eigenkapitalerhaltung stellt sicher, dass die Gesellschafter im Zeitpunkt Z3 tatsächlich Geld verloren haben. Denn was sie sich zuvor während einer Unterbilanz herausgenommen haben, müssen sie ja zurückzahlen.

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      Lösung zu Fall 11: I – G auf Zahlung von 10.000 € aus § 31 Abs. 1 GmbHG

      Voraussetzung dafür ist zunächst, dass eine Zahlung an G in Höhe von 10.000 € vorliegt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nicht allein auf die Geldzahlungen von 2 mal 5.000 € abgestellt werden kann, sondern die Beratungsleistung aus dem Beratungsvertrag mit in den Blick zu nehmen ist. Eine „Zahlung“ liegt im Falle eines Austauschvertrags nur dann vor, wenn Leistung und Gegenleistung sich wirtschaftlich nicht entsprechen. Das ist hier allerdings der Fall, da G für die 10.000 € keine nennenswerte Leistung erbracht hat.

      Diese Zuwendung ist nur dann den „Vorschriften des § 30 zuwider geleistet“, wenn sich die GmbH zum Zeitpunkt der Zuwendung in der Unterbilanz befunden hat. Auch dies ist nach dem Sachverhalt anzunehmen, da die Unterbilanz erst nach den Zahlungen beseitigt wurde. Selbst wenn die Unterbilanz aber bereits Ende des Jahres 2004 beseitigt worden wäre, könnte ein Verstoß gegen § 30 GmbHG mit der Begründung bejaht werden, dass bereits mit Abschluss des Vertrags ein zivilrechtlich (nicht: kapitalerhaltungsrechtlich) wirksamer Anspruch des G gegen die X-GmbH entstanden war, der – weil ihm kein wirtschaftlich wertentsprechender Gegenanspruch der GmbH gegenüberstand – das Vermögen der GmbH um 10.000 € minderte.

      Der Anspruch aus § 31 GmbHG könnte jedoch am Ende des Jahres 2005 (mit der Beseitigung der Unterbilanz)


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