Wirtschaftsvölkerrecht. Markus Krajewski
alle internationalen Organisationen Entscheidungen treffen, die im organisationsinternen Bereich Rechtswirkung entfalten. So kann eine internationale Organisation z.B. entscheiden, ob Beobachter an den Sitzungen ihrer Organe teilnehmen können oder nicht.
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Entscheidungen mit Rechtswirkung nach außen können internationale Organisationen grundsätzlich nur dann fällen, wenn sie dazu ausdrücklich ermächtigt wurden, wie z.B. der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gem. Art. 25 UN-Charta oder die Organe der Europäischen Union gem. Art. 288 AEUV. Eine solche Befugnis ist allerdings eher selten im Völkerrecht. Typischerweise sind die Resolutionen und Entscheidungen internationaler Organisationen unverbindlich (vgl. z.B. Art. 10, 11 UN-Charta für die Generalversammlung der Vereinten Nationen).
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Trotz ihrer Unverbindlichkeit sind Entscheidungen internationaler Organisationen praktisch nicht unbedeutend. So können z.B. einstimmig verabschiedete Erklärungen der UN-Generalversammlung oder Abschlusserklärungen von internationalen Konferenzen als Ausdruck eines gemeinsamen und einheitlichen Willens der internationalen Gemeinschaft angesehen werden. Insofern können sie u.U. auch als Ausdruck einer allgemeinen Rechtsüberzeugung für den Nachweis von Völkergewohnheitsrecht verstanden werden oder von Gerichten als Auslegungshilfe von förmlichen Rechtsquellen herangezogen werden. Um diese faktischen Wirkungen von formell unverbindlichen Erklärungen zu beschreiben, wird teilweise der Begriff „soft law“ verwandt. Damit soll deutlich gemacht werden, dass es sich um Normen handelt, die zwar nicht rechtlich verbindlich sind, denen aber gleichwohl ein hoher moralischer Verbindlichkeitsgrad zukommt. Ein wichtiges Beispiel hierfür ist die Erklärung über die völkerrechtlichen Grundsätze für freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten der Generalversammlung vom 24.10.1970 (Friendly Relations Declaration).[1]
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Ist abzusehen, dass sich eine noch nicht verbindliche Regel zu einer rechtsverbindlichen Regel verfestigt, z.B. bei einem völkerrechtlichen Vertrag, dessen Inkrafttreten noch aussteht, aber absehbar ist, kann auch von Völkerrecht in statu nascendi (Völkerrecht „vor der Geburt“) gesprochen werden. Von einer derartigen Norm kann vor allem die Verpflichtung ausgehen, die Entstehung der Norm nicht zu vereiteln.
Anmerkungen
Res. 2625 (XXV) = Sartorius II, Nr. 4.
Teil 1 Grundlagen › II. Völkerrechtliche Grundlagen des Wirtschaftsvölkerrechts › 3. Grundprinzipien des Völkerrechts
a) Souveräne Gleichheit
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Grundlage des gegenwärtigen Völkerrechts ist die souveräne Gleichheit aller Staaten (Art. 2 Abs. 1 UN-Charta). Hieraus ergibt sich zunächst das Recht der Staaten, ihre inneren Angelegenheiten ohne Einmischung von außen zu gestalten und damit der Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten. Die staatliche Souveränität wird heute jedoch durch international geltende Menschenrechte eingeschränkt. Insbesondere Menschenrechtsverletzungen sind keine innere Angelegenheit der Staaten mehr.
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Die staatliche Souveränität äußert sich auch in der Territorial- und Personalhoheit der Staaten, d.h. in dem Recht, Sachverhalte auf dem eigenen Territorium bzw. das Verhalten der eigenen Staatsangehörigen zu regeln. Unter bestimmten Umständen dürfen die Staaten auch Hoheitsakte erlassen, die über die Territorial- und Personalhoheit hinausgehen (extraterritoriale Wirkung). So ist z.B. im internationalen Kartellrecht anerkannt, dass Kartellbehörden wettbewerbswidriges Verhalten ausländischer Unternehmen im Ausland überprüfen dürfen, wenn sich das Verhalten auf den Wettbewerb auf dem inländischen Markt bzw. im Fall der EU auf dem europäischen Binnenmarkt auswirkt.[1]
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Aus der souveränen Gleichheit der Staaten folgt auch der Grundsatz der Staatenimmunität.[2] Dazu zählt das Recht eines Staates, sich nicht der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates unterordnen zu müssen, d.h. ein Staat kann nicht gegen seinen Willen vor fremden Gerichten verklagt werden oder Vollstreckungsmaßnahmen hinnehmen zu müssen (par in parem non habet jurisdictionem). Nach gegenwärtigen Völkergewohnheitsrecht gilt die Immunität im Erkenntnisverfahren jedoch nur für hoheitliche Akte (acta iure imperii). Handelt der Staat wirtschaftlich (acta iure gestiones), z.B. bei der Beschaffung von Gütern und Leistungen, kann er sich nicht auf seine Immunität berufen. Im Vollstreckungsverfahren werden solche Vermögensgegenstände von der Staatenimmunität erfasst, die hoheitlichen Zwecken, insbesondere dem diplomatischen Verkehr und den Außenbeziehungen dienen (wie z.B. Botschaften).
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In wirtschaftlicher Hinsicht drückt sich die staatliche Souveränität vor allem in der wirtschaftlichen Souveränität aus. Dieser Grundsatz und weitere Prinzipien wurden in der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten vom 12.12.1974 von der UN-Generalversammlung ausformuliert. Die wirtschaftliche Souveränität umfasst das Recht, das nationale Wirtschaftssystem frei zu bestimmen. Das allgemeine Völkerrecht enthält keine Vorgaben darüber, ob eine Wirtschaft markt- oder planwirtschaftlichen Prinzipien folgen soll. Außerdem hat jeder Staat das souveräne Recht zur Ausbeutung der natürlichen Rohstoffe auf dem eigenen Territorium. Dazu gehört auch das Recht zur Enteignung und Verstaatlichung, das aber durch Entschädigungsverpflichtungen faktisch erheblich eingeschränkt wird.[3]
Anmerkungen
Dazu Teil 4 Rn. 722 ff.
Grundlegend dazu IGH, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy), Urteil vom 3. Februar 2012, ICJ Reports 2012, 99.
Dazu Teil 3 Rn. 622.
b) Friedliche Streitbeilegung
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Im Völkerrecht gilt der Grundsatz der Streitbeilegung mit friedlichen Mitteln (Art. 2 (3) UN-Charta). Die Mittel der Streitbeilegung können in diplomatische und institutionalisierte Verfahren unterteilt werden. Sie sind beispielhaft in Art. 33 Abs. 1 UN-Charta aufgezählt: Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung und Vergleich zählen zu den diplomatischen Verfahren. Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung und die Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen sind institutionalisierte Verfahren.
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Aus rechtlicher Sicht kommt vor allem den schiedsgerichtlichen und gerichtlichen Entscheidungen eine erhebliche Bedeutung zu. Allerdings besteht auf globaler Ebene keine obligatorische Gerichtsbarkeit. Der Internationale Gerichtshof (IGH) ist zwar das oberste Rechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen und kann jede Art von Rechtsstreitigkeiten zwischen Staaten verbindlich entscheiden. Die Zuständigkeit des IGH ist jedoch nur gegeben, wenn die streitbeteiligten Staaten