Wirtschaftsvölkerrecht. Markus Krajewski
ihrer tatsächlichen Bedeutung für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen und das Wirtschaftsvölkerrecht ist die rechtliche Qualifizierung von multinationalen Unternehmen aus völkerrechtlicher Sicht, insbesondere die Frage einer Völkerrechtssubjektivität, hochumstritten.[2] Nach überwiegender Auffassung sind multinationale Unternehmen keine Völkerrechtssubjekte, da es (derzeit noch) keine unmittelbar geltenden Völkerrechtsregeln gibt, durch die multinationalen Unternehmen direkte Rechte und Pflichten übertragen werden.
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Die Frage der Völkerrechtssubjektivität transnationaler Unternehmen ist jedoch nicht pauschal zu beantworten. Vielmehr ist zu prüfen, ob transnationalen Unternehmen im Einzelfall durch völkerrechtliche Normen Rechte oder Pflichten übertragen wurden. In Investitionsschutzverträgen kann multinationalen Unternehmen z.B. das Recht eingeräumt werden, Streitigkeiten im Rahmen einer Investor-Staat-Streitschlichtung[3] zu lösen. Wenn dieses Recht unabhängig von der Zustimmung des Sitzstaats ausgeübt werden kann, begründet der Vertrag für multinationale Unternehmen eine völkerrechtliche Rechtsposition. In einem solchen Fall ist auch eine partielle Völkerrechtssubjektivität multinationaler Unternehmen anzunehmen.
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In gleicher Weise ist denkbar, dass durch eine völkerrechtliche Norm Pflichten für transnationale Unternehmen begründet werden.[4] Allerdings sind die Kodizes für das Verhalten transnationaler Unternehmen, die in internationalen Organisationen bisher entwickelt wurden, stets unverbindliche Richtlinien geblieben. Dies gilt sowohl für die von der ILO 1977 angenommene und 2017 zuletzt geänderte „Tripartite Declaration of Principles Concerning Multinational Enterprises“[5] als auch für die von der OECD 1976 erlassenen und zuletzt 2011 überarbeiteten „OECD Guidelines for Multinational Enterprises“.[6]
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Da diese Richtlinien nur Erwartungen der Staaten gegenüber transnationalen Unternehmen enthalten, begründen sie keine völkerrechtlichen Pflichten. Ein Verstoß gegen sie führt nicht zu einer Völkerrechtsverletzung. Da das Völkerrecht multinationalen Unternehmen somit Rechte, aber (noch) keine Pflichten überträgt, kann man von einer asymmetrischen, partiellen Völkerrechtssubjektivität dieser Unternehmen ausgehen. Die Asymmetrie zwischen Rechten und Pflichten ist nicht ungewöhnlich: Auch die Rechtsstellung von Individuen enthielt zunächst nur völkerrechtliche Rechte. Erst später wurden auch Pflichten begründet.
Anmerkungen
Dazu Teil 2 Rn. 434, 496.
Nowrot, Nun sag, wie hast du‘s mit den Global Players? Die Friedenswarte 2004, 119.
Dazu Teil 3 Rn. 656 ff.
Dazu Teil 3 Rn. 691 ff.
Dazu Teil 3 Rn. 708 ff.
Dazu Teil 3 Rn. 705 ff.
e) Nichtregierungsorganisationen
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Nationale und internationale Nichtregierungsorganisationen (Non-governmental organisations, NGOs) spielen in den internationalen Beziehungen eine zunehmende Rolle. Dies gilt vor allem für den internationalen Menschenrechtsschutz (z.B. Amnesty International) und den Umweltschutz (z.B. Greenpeace, WWF). In den internationalen Wirtschaftsbeziehungen sind vor allem Unternehmensverbände und -zusammenschlüsse (z.B. die internationale Handelskammer, ICC oder der Dachverband der europäischen Industrie, UNICE) und zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich kritisch mit dem gegenwärtigen Weltwirtschaftssystem auseinandersetzen (z.B. ATTAC) von praktischer Bedeutung.
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Von wenigen Ausnahmen vor allem in regionalen Menschenrechtskonventionen abgesehen begründet das Völkerrecht keine Rechte und Pflichten für Nichtregierungsorganisationen.[1] Gleichwohl unterhalten einige internationale Organisationen förmliche Kontakte zu diesen Organisationen. So werden z.B. NGOs im Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) verschiedene Beteiligungsrechte eingeräumt. Andere internationale Organisationen, wie etwa die WTO, verstehen sich in erster Linie als Organisation von Staaten und lehnen förmliche Beziehungen zu NGOs ab.
Anmerkungen
Hobe, Die Völkerrechtssubjektivität internationaler nichtstaatlicher Organisationen, AVR 37 (1999), 152.
Teil 1 Grundlagen › II. Völkerrechtliche Grundlagen des Wirtschaftsvölkerrechts › 2. Rechtsquellen des Völkerrechts
2. Rechtsquellen des Völkerrechts
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Die allgemein anerkannten Rechtsquellen des Völkerrechts werden in Art. 38 Abs. 1 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs (IGH-Statut)[1] aufgeführt.
Wichtige Norm: Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut
1. | Der Gerichtshof, dessen Aufgabe es ist, die ihm unterbreiteten Streitigkeiten nach dem Völkerrecht zu entscheiden, wendet an (a) internationale Übereinkünfte allgemeiner oder besonderer Natur, in denen von den streitenden Staaten ausdrücklich anerkannte Regeln festgelegt sind; (b) das internationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung; (c) die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze; (d) vorbehaltlich des Artikels 59 richterliche Entscheidungen und die Lehrmeinung der fähigsten Völkerrechtler der verschiedenen Nationen als Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsnormen. |
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Die Rechtsquellen des Völkerrechts sind demnach völkerrechtliche Verträge (Art. 38 Abs. 1 lit. a) IGH Statut), Völkergewohnheitsrecht (Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH Statut) und die allgemeinen Rechtsgrundsätze (Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH Statut). Keine Völkerrechtsquellen sind Gerichtsentscheidungen (z.B. des IGH oder des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte). Sie können jedoch – ebenso wie bedeutsame und international anerkannte völkerrechtliche Lehrmeinungen – als Rechtserkenntnisquellen oder Hilfsquellen zur Ermittlung völkerrechtlicher Normen herangezogen werden.
Merke:
Völkerrechtsquellen sind völkerrechtliche Verträge, Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze.
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