Klausurenkurs im Arbeitsrecht II. Matthias Jacobs
die Monate August bis Dezember 2006 jeweils die gesamten Mietkosten erstattet und damit eine wiederholte, gleichförmige Leistung erbracht. Da die Kosten erhebliche Höhe hatten, ihre Erstattung also von gehobener Bedeutung war, und gleichzeitig als Gegenleistung für die erbrachte Arbeit erfolgte,[59] genügt die fünfmalige Leistungserbringung gegenüber A, um berechtigtes Vertrauen oder den Rückschluss auf einen entsprechenden Verpflichtungswillen zu begründen.
3. Kollektiver Bezug
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Weiterhin bedarf es zur Begründung berechtigten Vertrauens oder zur Annahme eines Verpflichtungswillens des Arbeitgebers eines kollektiven Bezugs des arbeitgeberseitigen Verhaltens.[60] Die in Rede stehende Leistung muss also gegenüber allen Arbeitnehmern oder zumindest einer hinreichend großen Gruppe erbracht werden. Es bestand eine allgemeine Üblichkeit bei P gegenüber sämtlichen Arbeitnehmern, dass Mietkosten bei Auslandsaufenthalten erstattet werden. Ein kollektiver Bezug ist somit ebenfalls gegeben.
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Wiederholung und Vertiefung:
Wird eine Leistung nur an einen einzelnen Arbeitnehmer erbracht, fehlt es dagegen am kollektiven Bezug. In Betracht kommt in diesem Fall aber eine individuelle, konkludente Abrede,[61] aus der andere Arbeitnehmer ggf. über den Gleichbehandlungsgrundsatz Ansprüche herleiten können.
4. Vorbehaltlose Leistung
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Schließlich hat P eine Bindung für die Zukunft auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen, sondern die Kostenerstattung stets vorbehaltlos erbracht.[62]
5. Zwischenergebnis
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Damit sind die Voraussetzungen einer betrieblichen Übung bzgl. der Erstattung der Mietkosten grundsätzlich erfüllt.[63]
II. Keine Formnichtigkeit
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Möglicherweise liegt jedoch ein Verstoß gegen das Schriftformerfordernis aus § 22 des Arbeitsvertrages mit C vor. Sieht man die betriebliche Übung als Vertragsabrede, ist sie in diesem Fall nach § 125 S. 2 BGB nichtig; ordnet man sie als Fall der Vertrauenshaftung ein, kann ohne Wahrung der Schriftform kein berechtigtes Vertrauen auf zukünftige Leistungsgewährung entstehen. Das setzt voraus, dass das Schriftformerfordernis Vertragsbestandteil geworden ist, auf den Erstattungsanspruch Anwendung findet und wirksam ist.
1. Einbeziehung in den Vertrag
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Bei § 22 handelt es sich um eine vorformulierte Klausel, die P regelmäßig verwendet, mithin um eine Allgemeine Geschäftsbedingung i.S.d. § 305 I 1 BGB.[64] Mangels Anwendbarkeit der in § 305 II BGB geregelten Einbeziehungskontrolle gem. § 310 IV 2 Hs. 2 BGB ist sie durch bloßen Konsens der Vertragsparteien Bestandteil des Arbeitsvertrags geworden.
2. Vorrangige Individualabrede
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In Betracht kommt jedoch, dass die Einräumung eines Anspruchs auf Mietkostenerstattung gem. § 305b BGB dem vertraglichen Schriftformerfordernis vorgeht. Dafür müssen C und P eine Individualabrede getroffen haben. Eine ausdrückliche, arbeitsvertragliche Vereinbarung besteht nicht. Vielmehr ergibt sich der Erstattungsanspruch aus betrieblicher Übung. Diese ist jedoch keine Individualabrede, sondern kommt durch ein arbeitgeberseitiges Verhalten gegenüber einer Vielzahl von Arbeitnehmern zustande.[65] Eine Individualabrede erfordert außerdem, dass ihr Inhalt nicht gestellt, sondern ausgehandelt wurde, vgl. § 305 I 3 BGB.[66] Der Inhalt der betrieblichen Übung wird jedoch nicht ausgehandelt, sondern einseitig durch das Verhalten des Arbeitgebers bestimmt.[67] Eine dem vertraglichen Schriftformerfordernis vorrangige Individualvereinbarung liegt folglich nicht vor.
3. Unwirksamkeit nach § 307 I 1 BGB
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Allerdings ist die Klausel in § 22 nach § 307 I 1 BGB unwirksam, wenn sie C unangemessen benachteiligt.
a) Verstoß gegen § 307 II Nr. 1 BGB
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Teilweise wird angenommen, dass doppelte Schriftformklauseln gem. § 307 II Nr. 1 BGB stets unwirksam sind, weil sie vom gesetzlichen Grundgedanken abweichen, dass ein Formzwang jederzeit formfrei aufgehoben werden kann.[68]
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Zwar gibt es grds. kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers, sich vor der Wirksamkeit nach Vertragsabschluss getroffener Vereinbarungen zu schützen.[69] Eine Ausnahme gilt jedoch für den Sonderfall der betrieblichen Übung, zumal eine Schriftformklausel im Ergebnis die gleiche Wirkung zeitigt wie die (ebenfalls zulässige) Aufnahme eines Freiwilligkeitsvorbehalts.[70]
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Systematisch spricht gegen eine generelle Unwirksamkeit nach § 307 II Nr. 1 BGB weiterhin, dass nach § 309 Nr. 13 BGB nur Klauseln unwirksam sind, wenn sie für Erklärungen des Vertragspartners eine strengere Form als die Schriftform einfordern. Das legt nahe, dass eine Klausel, die für Erklärungen (beider Parteien) lediglich die Schriftform vorsieht, jedenfalls nicht generell mit §§ 307 ff. BGB unvereinbar sein kann.[71]
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Zu berücksichtigen sind darüber hinaus gem. § 310 IV 2 Hs. 1 BGB die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten.[72] An § 2 I NachwG zeigt sich aber, dass der Gesetzgeber im Arbeitsrecht der Rechtsklarheit erhöhte Bedeutung beimisst; eben diesem Ziel dient auch das Schriftformerfordernis. Die ständige Dynamik und Veränderung des Arbeitsverhältnisses verlangt einen gewissen Schutz vor schleichender Veränderung.[73]
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Schließlich zeitigt eine Schriftformklausel nicht zwingend nachteilige Wirkungen allein für den Arbeitnehmer, wenn man beispielsweise bedenkt, dass durch (gegenläufige) betriebliche Übung[74] ein Anspruch des Arbeitnehmers auch wieder beseitigt werden kann.[75] Die doppelte Schriftformklausel in § 22 des Arbeitsvertrags verstößt somit nicht gegen § 307 II Nr. 1 BGB.
b) Verstoß gegen § 307 I 2 BGB
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Die Unangemessenheit von § 22 des Arbeitsvertrags könnte jedoch daraus folgen, dass dieser nicht klar und verständlich i.S.d. § 307 I 2 BGB ist (sog. Transparenzgebot). Eine Klausel muss danach im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Zumutbaren die Rechte und Pflichten des Vertragspartners so klar und präzise wie möglich umschreiben; sie verletzt das Bestimmtheitsgebot, wenn sie vermeidbare Unklarheiten und Spielräume enthält.[76] § 22 stellt nicht klar, dass Individualvereinbarungen weiterhin wirksam getroffen werden können und damit der Schriftformklausel vorgehen. Insoweit ist die Klausel geeignet, den Vertragspartner von der Durchsetzung der ihm zustehenden Rechte abzuhalten. Sie ist daher intransparent i.S.d. § 307 I 2 BGB und folglich gem. § 307 I 1 BGB unangemessen.[77]
4. Rechtsfolge
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Unangemessene Klauseln sind gem. § 307 I 1 BGB unwirksam. Eine geltungserhaltende Reduktion ist nach § 306 II BGB ausgeschlossen, so dass § 22 nicht mit dem Inhalt aufrechterhalten werden kann, dass zwar keine Individualvereinbarungen,