Klausurenkurs im Arbeitsrecht II. Matthias Jacobs
Wiederholung und Vertiefung:
Die herrschende Meinung in der Methodenlehre definiert eine Lücke als Voraussetzung richterlicher Rechtsfortbildung im Anschluss an Canaris als planwidrige Unvollständigkeit.[8] In der Praxis, aber auch in der universitären Lehre ist dagegen häufig von einer „planwidrigen Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage“ die Rede.[9] Das ist aus mehreren Gründen ungenau: Erstens ist die Wendung „planwidrige Lücke“ eine Tautologie, zweitens ist die Begrenzung auf Regelungslücken[10] zu eng und drittens ist die Vergleichbarkeit der Interessenlage bei näherem Hinsehen zwar der wichtigste, aber doch nur ein Unterfall der Planwidrigkeit. Im Methodenschrifttum hat sich diese Definition daher zu Recht nicht durchgesetzt.
Gleichwohl wird die Wendung von vielen Prüfern und Korrektoren erwartet. Es bietet sich daher an, sie aus taktischen Gründen in der Klausur zu bringen, sodann aber im Einklang mit der ganz herrschenden Lehre zu prüfen, ob eine Unvollständigkeit („Regelungslücke“) vorliegt und ob sie planwidrig ist (was u.a. dann der Fall ist, wenn eine „vergleichbare Interessenlage“ gegeben ist). Formulieren lässt sich bspw. wie folgt: „Voraussetzung einer Analogie ist eine planwidrige Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage. Erforderlich ist mithin eine Unvollständigkeit im positiven Recht, die sich gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung als planwidrig erweist.“
Sofern Anhaltspunkte hierfür ersichtlich sind, ist abschließend zu prüfen, ob ihre Ausfüllung noch innerhalb der Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung möglich ist, ob also der Analogie oder Reduktion ggf. eine vorrangige Wertung des Gesetzgebers entgegensteht (vgl. ausführlich Klausur 5, Rn. 485).
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Eine Rechtsfolge für eine fehlerhafte Anhörung des Betriebsrats zu einer beabsichtigten Kündigung sieht das positive Recht nicht vor, so dass eine Unvollständigkeit zu bejahen ist. Planwidrig ist diese Unvollständigkeit u.a., wenn die ratio von § 102 I 3 BetrVG in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz die Erstreckung der Unwirksamkeitsfolge auch für fehlerhafte Anhörungen verlangt, weil eine vergleichbare Interessenlage vorliegt. Zweck des Anhörungsverfahrens ist es, dem Betriebsrat zumindest die Möglichkeit zu geben, auf die Willensbildung des Arbeitgebers (auf fundierter Basis) Einfluss zu nehmen, um ihn ggf. von seinem Kündigungsentschluss abzubringen. Dieser Zweck wird aber auch bei unrichtiger Anhörung verfehlt. Der Gleichheitssatz gebietet somit, dass eine Kündigung nicht nur dann unwirksam ist, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat überhaupt anzuhören, sondern auch dann, wenn er ihn nicht richtig beteiligt hat,[11] v.a. wenn er seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 I 2 BetrVG nicht ausführlich genug nachgekommen ist.
2. Fehlerhaftigkeit wegen Angabe einer falschen Kündigungsfrist
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Die Anhörung könnte deshalb fehlerhaft gewesen sein, weil P dem Betriebsrat eine zu lange Kündigungsfrist mitgeteilt hat. Fraglich ist allerdings, ob durch Angabe einer falschen Kündigungsfrist das Anhörungserfordernis des § 102 I 1 BetrVG verfehlt wird.
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Das BAG zählt Kündigungsfrist und Beendigungstermin zwar grundsätzlich zu den notwendigen Anhörungspunkten i.S.d. § 102 I 1 BetrVG.[12] Die versehentliche Angabe nicht einschlägiger Kündigungsfristen oder Beendigungstermine führe jedoch nicht zu einer fehlerhaften Anhörung, da ohnehin unsicher sei, zu welchem Zeitpunkt die beabsichtigte Kündigung dem Arbeitnehmer später zugehe und damit nach § 130 I 1 BGB wirksam werde. Damit sei der Kündigungstermin selbst bei Angabe der korrekten Kündigungsfrist i.d.R. noch nicht absehbar oder gar genau berechenbar.[13] Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass sich durch eine Verzögerung der Abgabe oder des Zugangs der Kündigungserklärung der Beendigungstermin zeitlich allenfalls nach hinten verlagern kann. Der Betriebsrat weiß also bei Angabe der korrekten Kündigungsfrist, wann die Kündigung frühestens wirken kann. P hat dem Betriebsrat eine zu lange Kündigungsfrist mitgeteilt; der wirkliche Beendigungstermin lag damit zeitlich vor dem aus Sicht des Betriebsrats frühest möglichen Beendigungstermin.
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Allerdings ist zweifelhaft, ob die Angabe von Kündigungsfrist und Beendigungstermin stets zum Inhalt einer ordnungsgemäßen Mitteilung nach § 102 I 2 BetrVG zählt.[14] Dagegen spricht zunächst, dass diese Angaben nicht zu den „Gründen für die Kündigung“ rechnen.[15] Außerdem muss der Arbeitgeber nach § 102 I 2 BetrVG nur seine subjektiven Vorstellungen bezüglich der beabsichtigten Kündigung mitteilen.[16] Entsprechen diese Vorstellungen nicht der objektiven Rechtslage, so mag die beabsichtigte Kündigung aus anderen Gründen nicht in der vorgesehenen Form wirksam sein; zur Fehlerhaftigkeit des Anhörungsverfahrens führt dies jedoch nicht.[17] Auch für die Einwirkung auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers ist die Länge der Kündigungsfrist somit ohne Belang. Schließlich hat die Länge der Kündigungsfrist auch keinerlei Bedeutung für die sonstige Rechtewahrnehmung des Betriebsrats: Anders als bei der Unterscheidung zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung (Abgrenzung zu § 102 II 3 BetrVG) hängt der Umfang des Beteiligungsrechts des Betriebsrats aus § 102 BetrVG nicht von der Länge der Kündigungsfrist ab.
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Nach alledem führt die versehentliche[18] Falschinformation über die für A einschlägige Kündigungsfrist nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung analog § 102 I 3 BetrVG.
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Hinweis zur Klausurtechnik:
Dass die Kündigung wegen fehlerhafter Anhörung zur Kündigungsfrist unwirksam ist, lässt sich mit entsprechender Argumentation ebenso vertreten. In diesem Fall ist nicht im Hilfsgutachten weiter zu prüfen, da es anschließend um gleichrangige Unwirksamkeitsgründe geht, die nicht in einem logischen Abhängigkeitsverhältnis zum vorhergehenden Prüfungspunkt stehen (vgl. noch ausführlich Rn. 94).
3. Fehlerhaftigkeit wegen mangelhafter Besetzung
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Die Anhörung könnte aber fehlerhaft gewesen sein und damit zur Unwirksamkeit der Kündigung führen, weil der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß besetzt war.
a) Mangelhafte Besetzung
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Gem. § 33 II Hs. 1 BetrVG hat für die Beschlussfähigkeit des Betriebsrats mindestens die Hälfte der Betriebsratsmitglieder an der Beschlussfassung teilzunehmen, wobei Stellvertretung durch Ersatzmitglieder zulässig ist. Der bei 56 Arbeitnehmern gem. § 9 S. 1 BetrVG fünf Mitglieder umfassende Betriebsrat hat auf seiner Sitzung am 5. März 2007 jedoch nur mit zwei Mitgliedern einen Beschluss gefasst. Damit liegt kein wirksamer Beschluss des Betriebsratsgremiums, sondern – allenfalls – eine „Stellungnahme“ der zwei anwesenden Mitglieder vor. Eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats als Gremium ist damit nicht erfolgt.
b) Beachtlichkeit im Außenverhältnis
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Möglicherweise ist die nur im Innenverhältnis bestehende Fehlerhaftigkeit gegenüber P jedoch unbeachtlich, weil der Betriebsrat von seinem Vorsitzenden im Außenverhältnis wirksam vertreten worden ist.[19] Nach § 26 II 1 BetrVG vertritt der Betriebsratsvorsitzende