Bankrott und strafrechtliche Organhaftung. Jörg Habetha
Kündigung häufig erst erwogen, wenn erkennbar wird, dass der Bankkunde wirtschaftlich außer Stande ist, den Nachbesicherungsanspruch in angemessener Frist zu erfüllen.[52]
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Neben § 490 BGB bleibt das Recht, Dauerschuldverhältnisse aus „wichtigem Grund“ nach § 314 BGB außerordentlich zu kündigen, unberührt (§ 490 Abs. 3 BGB). Nach § 314 Abs. 1 S. 2 BGB liegt ein wichtiger Grund vor, „wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann“.[53] Besteht der Kündigungsgrund in der Verletzung einer Vertragspflicht, ist die Kündigung grundsätzlich erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist bzw. nach erfolgloser Abmahnung zulässig (§ 314 Abs. 2 S. 1 BGB).[54] Ein Rückgriff auf § 314 BGB ist nur statthaft, wenn die außerordentliche Kündigung aus Gründen erfolgen soll, die von § 490 Abs. 1 BGB nicht erfasst werden.[55] Ist dagegen § 490 Abs. 1 BGB einschlägig, geht diese Vorschrift als lex specialis vor.[56] Eine Kündigung durch Bankverantwortliche auf Grundlage der §§ 490 Abs. 3, 314 BGB erfolgt insbesondere in Fällen anhaltenden Schuldnerverzugs.[57] Erforderlich ist Verzug mit (wenigstens) zwei vollen, aufeinander folgenden Zins- und Tilgungsraten.[58] Die nur einmalige Nichtzahlung berechtigt nur in Ausnahmefällen zu außerordentlicher Kündigung.[59] Ein wichtiger Grund liegt auch im Falle (drohender) Zahlungsunfähigkeit[60] des Darlehensnehmers oder bei falscher Darstellung wesentlicher Tatsachen zwischen Vertragsschluss und Valutierung des Darlehens durch den Bankkunden vor.[61]
2. Kündigungsrecht nach den AGB-Banken
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Das gesetzliche Recht, Kredite außerordentlich zu kündigen, ist ebenfalls dispositiv. Es kann durch Individualvereinbarung oder Allgemeine Geschäftsbedingungen modifiziert werden.[62] Soweit abweichende individualvertragliche Vereinbarungen zwischen Bank und Bankkunden fehlen, sind in der Regel die AGB-Banken[63] wirksam einbezogen. Nr. 19 Abs. 3 AGB-Banken beinhaltet das Recht der Banken, die gesamte Geschäftsverbindung oder einzelne Geschäftsbeziehungen aus „wichtigem Grund“ ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen. Ein wichtiger Grund liegt danach vor, wenn „der Bank, auch unter Berücksichtigung der berechtigten Belange des Kunden“ eine Fortsetzung etwa des Kreditvertrags „unzumutbar“ ist.[64] Nr. 19 Abs. 3 S. 2 AGB-Banken enthält eine näher konkretisierende, exemplarische Aufzählung entsprechender, praktisch bedeutsamer Fallbeispiele.[65] Danach besteht ein Kündigungsrecht, „wenn eine wesentliche Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Kunden oder der Werthaltigkeit einer Sicherheit eintritt oder einzutreten droht und dadurch die Rückzahlung des Darlehens […] – auch unter Verwertung einer hierfür bestehenden Sicherheit – gefährdet ist, oder wenn der Kunde seiner Verpflichtung zur Bestellung oder Verstärkung von Sicherheiten nach Nr. 13 Abs. 2 dieser Geschäftsbedingungen oder aufgrund einer sonstigen Vereinbarung nicht innerhalb der von der Bank gesetzten angemessenen Frist nachkommt“.[66]
3. Restriktion durch die wirtschaftliche Krise
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Sowohl das (dispositive) Bürgerliche Recht als auch die AGB-Banken bestimmen ein außerordentliches Kündigungsrecht der Bank, wenn eine wesentliche Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Bankkunden oder der Werthaltigkeit einer Sicherheit eintritt (bzw. einzutreten droht) und dadurch die Rückzahlung des Darlehens (unter Berücksichtigung bestehender Kreditsicherheiten) gefährdet ist.[67] Es liegt deutlich zu Tage, dass diese Voraussetzungen regelmäßig in einer wirtschaftlichen Krisensituation des Bankkunden vorliegen. Dieser Umstand belegt und untermauert das Ergebnis, dass jedenfalls eine generelle Kündigungsbeschränkung in der wirtschaftlichen Krise des Bankkunden nicht besteht.[68]
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Der BGH in Zivilsachen nimmt ergänzend eine Interessenabwägung vor, um die Berücksichtigung besonderer Umstände des Einzelfalls zu ermöglichen. Danach sei erforderlich, dass (entsprechend dem Rechtsgedanken des § 626 BGB) Tatsachen vorliegen, die eine Fortsetzung des Vertrags selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist (bzw. bis zum vereinbarten Vertragsende) für den Kündigenden unzumutbar machen. Diese ergänzende Prüfung soll in erster Linie die besondere Bedeutung einer „Hausbank“ sowie der Kreditentscheidung für die weitere Entwicklung der wirtschaftlichen Krise des Bankkunden berücksichtigen und gewichten.[69] In den Fällen des § 490 Abs. 1 BGB bzw. Nr. 19 Abs. 3 AGB-Banken ist der Bank die Fortsetzung der Geschäftsverbindung allerdings bereits wegen der Gefährdung der Kreditrückzahlung regelmäßig unzumutbar.[70] Eine Restriktion des außerordentlichen Kündigungsrechts scheidet häufig ebenfalls aus, da dem Bankkunden in aller Regel eine Vertragspflichtverletzung (etwa Zahlungsverzug[71] oder unrichtige Angaben über dessen Vermögensverhältnisse[72]) zur Last liegt, so dass die Grundsätze von Treu und Glauben nicht eingreifen, das Kündigungsrecht daher nicht beschränken.[73] Ein unbeschränktes Kündigungsrecht besteht grundsätzlich auch, wenn durch die fristlose Kündigung „besondere Härten“ eintreten. Das Kündigungsrecht wird dementsprechend nicht durch den Umstand eingeschränkt, dass ein Verlust der wirtschaftlichen Existenz des Bankkunden droht. Diese für den Betroffenen „schmerzhafte“ Folge beruht zudem nur prima facie auf der Kündigung. Regelmäßig ist die Kündigung Konsequenz des zwischenzeitlich eingetretenen Verlusts der Kreditwürdigkeit des Bankkunden, den nicht die Bankverantwortlichen zu vertreten haben.[74] Das Festhalten an einem derartigen Engagement, verbunden mit einer weitgehenden Übernahme des wirtschaftlichen Risikos des Bankkunden, ist dem betroffenen Kreditinstitut vielmehr nicht zumutbar. Die Bank ist in dieser Situation ebenfalls nicht verpflichtet, mit der außerordentlichen Kündigung i. S. eines Kündigungsaufschubs zuzuwarten.[75]
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III. Kündigung im Insolvenzverfahren
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Im Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Bankkunden findet § 41 Abs. 1 InsO Anwendung. Danach gelten (noch) nicht fällige Forderungen als fällig. Die Fälligkeit (§ 271 BGB) wird damit qua gesetzlicher Fiktion auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 35 InsO) „vorverlegt“.[76] Folge ist eine vollständige quotenmäßige Berücksichtigung an sich nicht fälliger Forderungen.[77] § 41 Abs. 1 InsO betrifft sämtliche (vor- und nachrangigen) Insolvenzforderungen.[78] Der Anspruch des Darlehensgebers auf Rückerstattung des Darlehens entsteht, wie gezeigt, bereits mit Abschluss des Darlehensvertrags und wird daher vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst.[79] Unabhängig davon bedarf es eines Rückgriffs auf die Fiktion des § 41 Abs. 1 InsO nicht, wenn sich die Fälligkeit des Rückerstattungsanspruchs bereits aus einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung für den Fall der Insolvenzverfahrenseröffnung ergibt.[80]
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In dem Zeitraum zwischen Eingang des Insolvenzantrags beim Insolvenzgericht und der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann das Gericht zur Massesicherung dienende einstweilige Anordnungen treffen, um nachteilige Veränderungen in der Vermögenslage des Schuldners zu vermeiden (§ 21 InsO).[81] Bestehende Kredite werden allerdings ohne weiteres weder durch die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots noch durch die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters beendet oder vorzeitig fällig.[82] Das Kündigungsrecht bleibt von diesen vorläufigen Maßnahmen unberührt.[83] Die Anordnung eines vorläufigen Verfügungsverbots berechtigt das Kreditinstitut allerdings nach § 490 Abs. 1 BGB bzw. auf Grundlage von Nr. 19 Abs. 3 AGB-Banken[84] zu einer außerordentlichen Kündigung.[85]
Teil 2 Bankgeschäft und Insolvenz – zivil- und insolvenzrechtliche