Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden. Kurt E. Böhme
wenn die Eltern sich über das Tun und Treiben in groben Zügen einen Überblick verschaffen.[521] Ein Kind im Alter von 5 ½ Jahren muss auf einem Spielplatz in regelmäßigen Abständen von höchstens 30 Minuten kontrolliert werden.[522] Nach LG Lüneburg verletzen Eltern ihre Aufsichtspflicht, wenn sie ihr vierjähriges Kind, das auf einer öffentlichen Straße spielt, nur aus der Wohnung heraus und teilweise mit Unterbrechung von fünf Minuten beobachten und dadurch nicht verhindern, dass das Kind den Lack eines geparkten Kfz mit einem Stein zerkratzt.[523] Die Eigenhaftung des Kindes von Vollendung des siebenten bis zum 10. Lebensjahr ist in derartigen Fällen auch nicht nach dem 2. SchadÄndG ausgeschlossen, weil der Unfallbegriff (Plötzlichkeit) nicht erfüllt ist. Es kommt dann darauf an, ob das Kind die erforderliche Einsichtsfähigkeit in sein Tun hatte.
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Hat jemand die Aufsicht aus Gefälligkeit übernommen, so haftet er dem verletzten Kind nach § 823 BGB.[524] Ein geschädigter Dritter muss den vollen Beweis für ein Verschulden des Aufsichtspflichtigen führen.[525]
Ein nicht deliktsfähiges Kind braucht sich weder sein eigenes Verhalten noch das seiner Begleitperson im Verhältnis zum unfallbeteiligten Fahrer anrechnen lassen.
1. Kapitel Die Haftung des Kraftfahrzeughalters und -führers › V. Verhalten im Straßenverkehr › 21. Unterlassene Verwendung von Sicherungseinrichtungen und Mitverschulden des Verletzten (§§ 9 StVG, 254 BGB)
a) Grundsätze
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Gelingt es dem Kfz-Halter nicht, ein unabwendbares Ereignis i.S.v. § 7 Abs. 2 StVG a.F. bzw. für Schadenfälle ab 1.8.2002 höhere Gewalt nach § 7 Abs. 2 StVG nachzuweisen, so ist eine Haftung damit grundsätzlich gegeben. Ausnahmsweise kann, wenn kein unabwendbares Ereignis bzw. höhere Gewalt vorliegt, die Betriebsgefahr bei grob fahrlässigem Verhalten des anderen Beteiligten als Unfallursache ganz zurücktreten.[526] Die Haftung wird eingeschränkt, wenn der Verletzte den Unfall mitverschuldet hat. Bei der Abwägung nach § 254 BGB ist in erster Linie von dem Maß der Verursachung des Unfallbeitrags auszugehen, mit dem die Beteiligten zur Entstehung des Schadens beigetragen haben. Das Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung.[527] Jugendliche, die das zehnte Lebensjahr vollendet haben, können alleine haften, wenn ihr Verschulden im Einzelfall objektiv und subjektiv so erheblich ist, dass die Betriebsgefahr des Kfz als völlig untergeordnet zurücktritt.[528]
b) Schutzhelm, Sicherheitsgurt
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Nach § 21a StVO sind Fahrer von Krafträdern und ihre Beifahrer sowie Mopedfahrer[529] verpflichtet, während der Fahrt amtlich genehmigte Schutzhelme zu tragen.[530] Fahrer und Insassen eines Kfz müssen während der Fahrt vorgeschriebene Sicherheitsgurte anlegen. Das gilt auch, wenn das Fahrzeug kurzfristig verkehrsbedingt anhalten muss.[531] Keine Gurtanlegepflicht besteht bei Vorliegen einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5b StVO bzw. wenn bei Antragstellung eine solche Ausnahmegenehmigung hätte erteilt werden müssen. Voraussetzung für Erteilung der Ausnahmegenehmigung ist, dass infolge des Gurtanlegens für den Betroffenen konkret ernsthafte Gesundheitsschäden zu befürchten sind, denen auf anderem Wege nicht vorgebeugt werden kann.[532] Die Pflicht, einen Sturzhelm zu tragen oder einen Sicherheitsgurt anzulegen, verstößt nicht gegen das Grundgesetz.[533]
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Erleidet ein Kradfahrer Kopfverletzungen, weil er keinen Schutzhelm getragen hatte, trifft ihn ein Mitverschulden[534] Dafür spricht der Anscheinsbeweis.[535] Verrutscht dem Kradfahrer der Sturzhelm, trifft ihn bei Nachweis der Kausalität für die Verletzungen ein Mitverschulden.[536] Obwohl keine gesetzliche Verpflichtung zum Tragen von Schutzkleidung besteht, kann ein Mitverschulden eines Motorradfahrers schmerzensgeldmindernd zu berücksichtigen sein, wenn er keine geeignete Schutzkleidung trägt und dies ursächlich für die Verletzung war.[537]
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Nichtanschnallen führt „grundsätzlich“ zu Mitverschulden.[538] Dies auch dann, wenn sich der Beifahrer während der Fahrt auf der Liegefläche eines Wohnmobils zum Schlafen legt.[539] Ausnahmsweise kann jedoch bei Abwägung der Verursachungsbeiträge das Verhalten des Geschädigten außer Acht bleiben.[540] Der Gurtanlegepflicht ist nur dann Genüge getan, wenn er so angelegt wird, dass dessen Schutzzweck erfüllt wird.[541] „Rückwärtsfahren“ und „Fahren auf Parkplätzen“ sind Beispiele für Befreiung von der Gurtpflicht bei Fahren mit Schrittgeschwindigkeit. Dies gilt jedoch nicht beim Suchen nach einer Parklücke.[542] Erleidet ein Kfz einen Unfall und kommt es deswegen zum Stehen, endet die Anschnallpflicht, damit die Insassen das Fahrzeug verlassen und sich in Sicherheit bringen können. Auch muss der Fahrer nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 StVO die Unfallstelle sichern. Kommt es zu diesem Zeitpunkt zu einem Zweitunfall kann ein Mitverschulden wegen nichtangelegten Sicherheitsgurts Insassen des erstverunfallten Fahrzeugs nicht angelastet werden.[543]
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Es dürfen nur die Ersatzansprüche gemindert werden, für die das Nichtangurten ursächlich war.[544]
Der für den Unfall Verantwortliche muss beweisen, dass der Verletzte nicht angeschnallt war und dieses Versäumnis die Verletzungen ganz oder zum Teil verursacht hat. Der Nachweis wird bei typischen Gruppen von Unfallverläufen durch den Anschein erleichtert. Der Anscheinsbeweis entfällt, wenn der Geschädigte eine ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs dargetan und die Tatsachen, die einen solchen atypischen Ablauf möglich erscheinen lassen, voll bewiesen hat.[545]
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Der Anscheinsbeweis lässt sich führen,[546] wenn i.d.R. folgende Voraussetzungen vorliegen (vgl. 16. Verkehrsgerichtstag 1978, S. 7):
1. | Unfallmechanismen, bei denen der Gurt eine Rückhaltewirkung entfalten kann, in erster Linie Frontalzusammenstöße, mit voller oder teilweiser Überdeckung. Sekundärkollisionen nach Auffahrunfällen sowie Unfälle, bei denen der Fahrer und andere Insassen hinausgeschleudert wurden, und |
2. | keine wesentliche Deformierung des vom Verletzten benutzten Teils der Fahrzeugzelle gegeben ist, und |
3. | Verletzungen des Kopfes und der oberen und unteren Extremitäten vorliegen. |
Trotz Verstoßes gegen die Anschnallpflicht aus § 21a Abs. 1 StVO kann im Rahmen der Abwägung der Unfallbeiträge nach § 254 Abs. 1 BGB das Mitverschulden des Geschädigten entfallen. So z.B., wenn ein angetrunkener Fahrer (BAK von 1,83 ‰) auf die Gegenfahrbahn gerät und dort mit dem entgegenkommenden Pkw zusammenstößt und der Geschädigte sich in halb liegender Position auf der Rückbank des angefahrenen Pkws befand.[547]
c) Kindersicherungspflicht
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Nach § 21 StVO dürfen Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr, die kleiner als 150 cm sind, im Kfz nur mitgenommen werden, wenn amtlich genehmigte, für Kinder geeignete Rückhalteeinrichtungen benutzt werden.[548]
Bei einem für die Verletzungen ursächlichen Verstoß gegen diese Sicherungspflicht haftet der Halter dem Kinde nach § 7 Abs. 1 StVG, der Fahrer nach § 823 Abs. 2 BGB.
d) Mobiltelefone