Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden. Kurt E. Böhme
an Haltestellen darf, auch im Gegenverkehr, nur vorsichtig vorbeigefahren werden.[378] Wenn Fahrgäste auf der Fahrbahn ein- oder aussteigen, darf rechts nur mit Schrittgeschwindigkeit und solchem Abstand vorbeigefahren werden, dass eine Gefährdung von Fahrgästen ausgeschlossen ist. Bei Schulbussen ist i.d.R. ein Anhalten geboten, § 20 StVO.
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§ 20 Abs. 1 StVO ist ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB für alle Fußgänger, die im räumlichen Bereich eines an einer Haltestelle haltenden Linienbusses, einer Straßenbahn oder eines gekennzeichneten Schulbusses unachtsam die Fahrbahn überqueren. Es kommt nicht darauf an, ob sie als Fahrgäste ein- oder aussteigen. Kraftfahrer, auch solche im Gegenverkehr zur Bushaltestelle, müssen deshalb bei hinreichenden Anzeichen, dass ein Fußgänger die Fahrbahn überqueren will, ihre Geschwindigkeit so stark reduzieren, dass die Gefahr eines Zusammenstoßes weitestgehend vermieden wird.[379]
Die besonderen Pflichten des Kraftfahrzeugführers aus § 20 StVO ergeben sich jedoch nur, wenn Omnibusse sich einer Haltestelle nähern, dort halten oder abfahren.[380]
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Der Abstand beim Vorbeifahren an einem in Gegenrichtung haltenden Bus muss mindestens 2 m betragen, ggf. ist mit Anhaltegeschwindigkeit vorbeizufahren.[381] Der Fahrer kann davon ausgehen, dass ausgestiegene Fahrgäste seinen Vorrang beachten, wenn der Bus/die Bahn vor einem Fußgängerüberweg hält und die ihn sichernde Bedarfsampel für Fußgänger Rot zeigt. Dies gilt aber nicht, wenn ein links neben ihm in der linken Spur Fahrender trotz Grünlichts aus nicht erkennbaren Gründen anhält.[382]
1. Kapitel Die Haftung des Kraftfahrzeughalters und -führers › V. Verhalten im Straßenverkehr › 17. Fußgänger
a) Einleitung
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Der Fahrer kann darauf vertrauen (s. Rn. 133), dass sich erwachsene Fußgänger verkehrsgerecht verhalten. Er ist jedoch auch bei breiten Straßen verpflichtet, die gesamte vor ihm liegende Fahrbahn, das Gelände neben der Fahrbahn, insbesondere den an der Fahrbahn gelegenen Teil des Gehwegs, zu beachten, soweit dies nach der Lage des einzelnen Falles möglich und zumutbar ist. Weisen besondere Umstände auf ein unvorschriftsmäßiges Verhalten eines Fußgängers hin, so muss er sich auf dieses einstellen.[383]
Bleibt ein Erwachsener beim Herannahen eines Fahrzeugs neben der Fahrbahn stehen, kann der Kraftfahrer i.d.R. darauf vertrauen, dass diese Person das Fahrzeug bemerkt hat und nicht die Fahrbahn betritt. Dies gilt aber dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte darauf hindeuten, dass sich der Fußgänger nicht zuverlässig verkehrsgerecht verhält. So z.B., wenn ein Fußgänger außerorts auf einer Bundesstraße auf der Mitte der linken Fahrbahn stehen bleibt, obwohl ihm ausreichend Zeit verblieb, die Straße zu überqueren. Der Kraftfahrer muss dann seine Geschwindigkeit deutlich herabsetzen (§ 3 Abs. 1 StVO).[384]
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Nach § 3 Abs. 2a StVO besteht eine besondere Sorgfaltspflicht des Fahrers gegenüber Kindern, erkennbar Hilfsbedürftigen und älteren Menschen.
Hilfsbedürftige sind nicht nur Gehbehinderte und Blinde[385], sondern auch Betrunkene. Mit diesen muss der Fahrer zur Nachtzeit bei Vorliegen besonderer Umstände rechnen.[386] Wird ein betrunkener Fußgänger zur Nachtzeit auf der rechten Fahrbahnseite einer Landstraße vom Kfz erfasst, kann ein Verschulden des Fahrers nicht aufgrund des ersten Anscheins (s. Rn. 127) angenommen werden. Ein Fußgänger, der schwankend und winkend auf der Fahrbahn läuft und erkennbar alkoholisiert ist, ist als hilfsbedürftig gemäß § 3 Abs. 2a StVO anzusehen.[387] Einen angetrunkenen Fußgänger wird oft ein Mitverschulden treffen.[388] Liegt ein Fußgänger in stark angetrunkenem Zustand nachts bäuchlings auf einer Straße und wird dort von einem Autofahrer erfasst, kann im Rahmen der nach § 9 StVG gebotenen Abwägung ein – unterstelltes – geringfügiges Verschulden des Autofahrers und die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs hinter dem erheblichen Verursachungs- und Verschuldensanteil des Fußgängers gänzlich zurücktreten.[389]
Bei erkennbar älteren Menschen greift die Schutzvorschrift des § 3 Abs. 2a StVO schon dann ein, wenn diese sich in einer Verkehrssituation befinden, in der nach der Lebenserfahrung damit gerechnet werden muss, dass sie aufgrund ihres Alters das Geschehen nicht mehr voll übersehen und meistern können. Für eine Verkehrsunsicherheit dieser Personen bedarf es keiner konkreten Anhaltspunkte.[390] Erforderlich ist jedoch, dass eine Person aufgrund äußerlich erkennbarer Merkmale für den Kraftfahrer als älterer Mensch zu erkennen ist. Die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt diese Person. Ist eine Person als älterer Mensch erkennbar, muss sie nicht, um dem besonderen Schutz des § 3 Abs. 2a StVO zu unterfallen, zusätzlich erkennbar hilfsbedürftig sein.[391]
Zum Vorbeifahren an einem Gehweg s. Rn. 157, an Omnibussen und Haltestellen s. Rn. 249.
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Ein Fahrer, der absolut fahruntauglich unter Alkoholeinfluss (1,63 ‰) mit überhöhter Geschwindigkeit und unter Verstoß gegen ein Überholverbot einen auf der Fahrbahnmitte stehenden Fußgänger anfährt, haftet trotz mitwirkenden Verschuldens des Fußgängers diesem zu 100 %. Ebenso, wenn ein Fahrer mit 1,72 ‰ beim Umschalten der Ampel auf „Grün“ verkehrswidrig rechts an den noch stehenden Fahrzeugen vorbeifährt und hierbei einen Fußgänger anfährt.[392]
b) Innerhalb geschlossener Ortschaften
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Fußgänger müssen die Gehwege benutzen; dies gilt nicht, wenn diese unbegehbar sind.[393] Bei fehlendem Gehweg oder Seitenstreifen haben sie den linken oder rechten Fahrbahnrand einzuhalten (§ 25 Abs. 1 S. 3 StVO).
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Der Fußgänger sollte die Fahrbahn an den dafür gekennzeichneten Stellen (Zebrastreifen) überqueren.[394] An Kreuzungen und Einmündungen sind stets die Fußgängerüberwege oder Markierungen an Lichtzeichenanlagen zu benutzen (§ 25 Abs. 3 StVO).[395] Hält sich der Fußgänger nicht daran und überquert die Straße 100 m von einer Ampel oder vom Fußgängerüberweg entfernt, trifft ihn ein Verschulden an einem von ihm erlittenen Unfall.[396] Benutzt er den Überweg bei “Rot“, trifft ihn ein eigenes Verschulden.[397] Fußgänger, die eine Fahrbahn überqueren wollen, haben sich stets sorgfältig davon zu überzeugen, dass die Fahrbahn frei ist. Sie dürfen nicht versuchen, noch kurz vor einem herannahenden Kraftfahrzeug die Fahrbahn zu überqueren. Ereignet sich ein Verkehrsunfall in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Überqueren der Fahrbahn, so spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Fußgänger entgegen § 25 Abs. 3 StVO ohne hinreichende Beachtung des Fahrzeugverkehrs auf die Fahrbahn getreten ist. Kommt es zu einem Zusammenstoß des querenden Fußgängers mit einem Kraftfahrzeug, indiziert dies ein Verschulden des Fußgängers.[398] Anders kann dies sein, wenn der Fußgänger im Schutze gleichgerichteten Verkehrs die Kreuzung überquert und bis zur Straßenmitte gelangt ist.[399]
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Ein Fußgänger muss sich auch an einem durch Ampeln geschützten Übergang durch einen Blick nach den Seiten vergewissern, ob er die Fahrbahn gefahrlos überschreiten kann.[400] Während des Überschreitens der Fahrbahn muss er auf herannahende Kfz achten, u.U. stehen bleiben.[401]