Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden. Kurt E. Böhme
die Ampelanlage aus, dann erfordert es die Verkehrslage zumeist, dass die Kraftfahrer auf ihr Vorrecht „phasenweise“ verzichten.[351]
Steht der Wechsel auf Rot bevor, so muss nur derjenige Fahrer anhalten, der dies noch mit einer mittleren, d.h. normalen Betriebsbremsung kann.[352] Reicht dagegen der Bremsweg bei mittlerem Bremsen nicht aus, ist vielmehr starkes oder gewaltsames Bremsen nötig, entfällt grundsätzlich die Wartepflicht. Die Weiterfahrt begründet in diesem Fall nicht den Vorwurf des Verschuldens.[353] Eine (gelb) blinkende Vorampel (§ 37 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StVO) verpflichtet den Fahrer nicht, seine Geschwindigkeit unter die zulässige Höchstgeschwindigkeit zu reduzieren. Er darf vielmehr unter Beibehaltung derselben weiter auf die (normale) Ampel zufahren und muss erst bei deren Phasenwechsel auf Gelb und auch nur dann anhalten, wenn ihm dies mit normaler Betriebsbremsung noch möglich ist.[354] Auf das Farbzeichen „Gelb“ darf der in der vorher freien Richtung fahrende Kfz-Führer vor der Kreuzung anhalten, ohne zuvor den Abstand des nächsten ihm folgenden Fahrzeugs zu prüfen.[355]
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Grundsätzlich braucht ein Kfz-Führer bei „Grün“ seine zulässige Fahrgeschwindigkeit nicht zu vermindern.[356] Das Einsetzen des grünen Lichtes berechtigt allein nicht zum Einfahren in eine Kreuzung mit hoher Geschwindigkeit. So ist bei erlaubten 50 km/h etwa 41-42 m vor der Verkehrsampel abzubremsen, wenn das Ampellicht wechselt.[357] Im Übrigen kann der Verkehrsteilnehmer jedoch darauf vertrauen, dass er vom Seitenverkehr abgeschirmt ist.[358] Die Betriebsgefahr des bei „Grün“ die Kreuzung passierenden Pkw tritt gegenüber dem bei Rotlicht Einfahrenden zurück.[359] Stockt der Verkehr, so darf trotz grünen Lichtzeichens niemand in die Kreuzung einfahren, wenn er auf ihr warten müsste.[360]
Auch grünes Ampellicht entbindet nicht von der Pflicht, auf der Kreuzung verbliebene Nachzügler des Querverkehrs vorrangig räumen zu lassen.[361] Bei einer Kollision mit einem Kreuzungsräumer haftet der in der folgenden Ampelphase bei Grünlicht einfahrende Teilnehmer des Querverkehrs überwiegend, i.d.R. zu zwei Dritteln.[362] Die Haftungsverteilung kann sich in beide Richtungen verschieben. Je länger der Nachzügler auf der Kreuzung verharrt, desto höher werden die Anforderungen an seine Sorgfalt. Er wird beachten müssen, dass der übrige Verkehr daraus schließen kann, er werde nicht weiterfahren. Fährt der Kreuzungsräumer in dieser Situation dennoch unbedacht an, kann dies zu einer Abweichung von der genannten Regelhaftung führen.[363] Kommt ein Fahrer außerhalb des Kreuzungskerns zum Stehen, ist er in dieser Position kein bevorrechtigter Kreuzungsräumer, sog. „unechter Nachzügler“. Er ist gegenüber dem Querverkehr wartepflichtig, wenn die Lichtzeichenanlage für diesen auf Grün umspringt. Der Kreuzungskern wird von den Fluchtlinien der Fahrbahnränder gebildet.[364] Zu Lasten des Nachzüglers kann sich daher eine längere zeitliche Verweildauer und/oder eine größere räumliche Entfernung zum Kollisionsort auswirken. Wenn andererseits der bei Grünlicht in die Kreuzung Einfahrende das Anfahren eines Kreuzungsräumers tatsächlich erkannt hat und er gleichwohl unter Berufung auf sein grünes Ampellicht selbst anfährt, kann ihn im Falle der Kollision die volle Haftung treffen.[365] Das Einfahren mit „fliegendem Start“ in der frühen Grünphase erhöht die Betriebsgefahr und ist ebenfalls zu Lasten des später Einfahrenden zu berücksichtigen.[366]
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Auch ein Kraftfahrer, dem ein grüner Pfeil links das Abbiegen gestattet, darf darauf vertrauen, dass ankommender Gegenverkehr durch Rotlicht gesperrt ist und Fahrzeuge aus der Gegenrichtung das für sie geltende Haltegebot beachten. Bleibt die Ampelschaltung bezüglich des Abbiegepfeils ungeklärt, so stehen sich die Haftungsanteile des Geradeausfahrers und des Linksabbiegers bei gleicher Betriebsgefahr gleichwertig gegenüber.[367]
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Nach dem Anhalten ist das Abbiegen nach rechts auch bei Rot erlaubt, wenn rechts neben dem Lichtzeichen Rot ein Schild mit grünem Pfeil auf schwarzem Grund (Grünpfeil) angebracht ist (§ 37 Abs. 2 StVO). Der Fahrzeugführer darf jedoch nur aus dem rechten Fahrzeugstreifen abbiegen und muss sich so verhalten, dass eine Behinderung oder Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, insbesondere des Fußgänger- und Fahrzeugverkehrs der freigegebenen Verkehrsrichtung, ausgeschlossen ist.
Zur Haftung der Straßenverkehrsbehörde wegen fehlerhafter Ampelschaltung siehe Kap. 3 Rn. 57.
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Die von Polizeibeamten zur Regelung des Verkehrs gegebenen Zeichen und Weisungen sind zu befolgen. Sie gehen allen anderen Regeln vor, entbinden jedoch den Verkehrsteilnehmer nicht von seiner Sorgfaltspflicht (§ 36 StVO). Letzteres insbesondere, wenn ein Polizist nur zur Sicherung des Verkehrs den Fahrer zur Weiterfahrt auffordert.[368]
1. Kapitel Die Haftung des Kraftfahrzeughalters und -führers › V. Verhalten im Straßenverkehr › 16. Linien- und Schulbusse
16. Linien- und Schulbusse[369]
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Linienbusse müssen bei Anfahrt zu einer Haltestelle am Fahrbahnrand entlang fahren. Daher trifft den Busfahrer bei Berührung mit einem nur 20 cm von der Gehwegkante stehenden Fußgänger nur eine geringfügige Haftung.[370]
Der Fahrer eines Schulbusses muss beim Anfahren einer Haltestelle mit „schiebenden“ Kindern rechnen. Beim Anfahren eines Kindes im Bereich einer Schulbushaltestelle kann es gerechtfertigt sein, ein Mitverschulden des Kindes völlig zurücktreten zu lassen.[371] Das von einem Schulbus erfasste Kind erleidet einen „Schulunfall“, der unter die gesetzliche Unfallversicherung fällt (§ 2 Abs. 1 Nr. 8 SGB VII). Fahrer und Halter können sich i.d.R. nicht auf den Ausschluss nach § 636 RVO/§ 104 f. SGB VII berufen, da sie nicht in den Gesamt-Betrieb Schule eingegliedert sind.[372]
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Stürzt ein Omnibusfahrgast beim Ein- oder Aussteigen, ist zu prüfen, ob der Unfall auf eine mit dem Bus als Verkehrsmittel verbundene oder eine hiervon unabhängige, ggf. in der Person des Geschädigten begründete Gefahr zurückzuführen ist.[373]
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Grundsätzlich obliegt es dem Fahrgast, für seine Standsicherheit und Standvermögen beim Einsteigen in den Bus und bei der Fahrt selbst zu sorgen. Daher braucht der Busfahrer vor dem Anfahren sich nur zu vergewissern, ob ein Fahrgast Platz oder Halt im Wagen gefunden hat, wenn nicht eine erkennbar schwere Behinderung des Fahrgastes ihm die Überlegung aufdrängt, dass dieser andernfalls beim Anfahren stürzen werde.[374] Wenn ein gebrechlicher und/oder gehbehinderter Fahrgast sich nicht sofort nach dem Einsteigen einen festen Halt verschafft, so könnte dies als ein „haftungsausschließendes Mitverschulden“ anzusehen sein.[375]
Verkehrsgerechtes Verhalten des Fahrers schließt seine eigene Haftung aus, § 18 StVG. Der Halter muss den Beweis dafür erbringen, dass der Unfall für den Fahrer durch höhere Gewalt verursacht wurde (§ 7 Abs. 2 StVG). Höhere Gewalt liegt gegenüber Insassen regelmäßig nicht vor, insbesondere dann nicht, wenn der Fahrer möglicherweise den Gegenverkehr nicht vorausschauend beobachtet und wegen eines abbiegenden Kfz den Bus stark abgebremst hat. Stürzt deshalb ein Fahrgast, der wegen Annäherung an eine Haltestelle seinen Sitzplatz verließ, so haftet der Halter ihm unter Berücksichtigung des Mitverschuldens im Rahmen des StVG zu 50 %.[376]
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Nach § 20 Abs. 5 StVO ist Linien- und Schulbussen das Abfahren von gekennzeichneten Haltestellen zu ermöglichen. Der Vorrang eines vom rechten Seitenstreifen anfahrenden Busses bei Abgabe von Lichtzeichen besteht auch dann, wenn der Bus infolge eines auf der rechten Fahrspur vor ihm befindlichen Hindernisses genötigt ist, auf die linke neben ihm befindliche zweite Fahrspur auszuscheren.[377]