Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden. Kurt E. Böhme
auf einen Mittelstreifen zwischen zwei getrennten Fahrbahnen gelten die erhöhten Sorgfaltspflichten entsprechend.[257] Maßgeblich für § 9 Abs. 5 StVO – korrespondierend zu den sich aus § 10 StVO ergebenden Pflichten – ist, dass das Fahrzeug den fließenden Verkehr verlässt.[258]
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Der im Gegenverkehr herannahende Verkehrsteilnehmer darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass sein Vorrecht auf ungehinderte Vorfahrt beachtet wird.
Kommt es zwischen einem Linksabbieger und einem in Gegenrichtung geradeaus fahrenden Kraftfahrzeug zu einem Zusammenstoß, spricht für das Verschulden des Abbiegenden der Anscheinsbeweis.[259] Erschwerte Sichtverhältnisse auf den Gegenverkehr entlasten den Linksabbieger grundsätzlich nicht, er muss sich dann vorsichtig in die Gegenfahrbahn hineintasten. Sie führen zu einer weiteren Erhöhung der von ihm zu vertretenden Betriebsgefahr.[260] Im Einzelfall kann den Entgegenkommenden aber ein Mitverschulden treffen. Dies z.B. dann, wenn er das sog. „Vortastrecht“ des Linksabbiegers, dessen Sicht eingeschränkt ist, missachtet.[261] Ein Verstoß gegen die Beleuchtungspflicht kann zur überwiegenden Haftung des entgegenkommenden Verkehrs führen.[262] Überquert ein Inlineskater die Fahrbahn, obwohl er erkennen kann, dass ein entgegenkommender Pkw beim Linksabbiegen sein Vorrecht missachten wird, trifft ihn eine Mithaftung von 15 %.[263] Der nach links Einbiegende braucht im Allgemeinen nicht damit zu rechnen, dass ein entgegenkommender Kraftfahrer ohne erkennbaren Grund die Straßenmitte benutzt.[264] Biegt ein Fahrer nach links ab, weil er wegen fehlerhaften Blinkens davon ausgeht, dass der Entgegenkommende nach rechts abbiegt, so trifft u.U. beide Fahrer ein gleich hohes Verschulden an dem Zusammenstoß.[265]
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Abbieger haben alle entgegenkommenden Fahrzeuge auf oder neben der Fahrbahn durchfahren zu lassen. Sie müssen Schienenfahrzeuge, Fahrräder mit Hilfsmotor und Radfahrer auch dann durchfahren lassen, wenn sie neben der Fahrbahn in der gleichen oder entgegengesetzten Richtung fahren (§ 9 Abs. 3 StVO).[266] Auf Fußgänger muss der Abbieger besondere Rücksicht nehmen, wenn nötig, muss er warten. Verstößt ein Linksabbieger gegen seine Wartepflicht aus § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO und kommt es deswegen zu einem Unfall, hat er i.d.R., wenn nicht im Einzelfall Besonderheiten vorliegen, in vollem Umfang oder doch zum größten Teil für eingetretene Unfallfolgen zu haften.[267]
Unterbricht der Linksabbieger den Vorgang so rechtzeitig, dass der Entgegenkommende gefahrlos passieren könnte, dann überwiegt bei dem infolge Vollbremsung des Vorfahrtsberechtigten entstehenden Unfall dessen Verschulden (80 : 20).[268] Ein Verkehrsteilnehmer kann i.d.R. einen Mitverschuldenseinwand gegenüber einem auf sein verkehrsgerechtes Verhalten Vertrauenden nicht aus dem Vorwurf herleiten, dieser habe mit seinem (des Einwendenden) groben vorsätzlichen Verkehrsverstoß vorsorglich rechnen müssen.[269] Der entgegenkommende Fahrer braucht deshalb seine Fahrgeschwindigkeit grundsätzlich nicht zu mindern.[270] Linksabbiegen vor einem in schneller Fahrt entgegenkommenden Fahrzeug ist derart grob schuldhaft, dass die Betriebsgefahr des entgegenkommenden Fahrzeuges und selbst das in einer leichten Geschwindigkeitsüberschreitung liegende Verschulden unberücksichtigt bleiben können.[271] Überschreitet der Geradeausfahrer jedoch die zulässige Geschwindigkeit erheblich, so trifft ihn ein überwiegendes oder sogar alleiniges Verschulden bei einem Zusammenstoß mit einem Linksabbieger.[272] Er darf sein Vorrecht nicht erzwingen, wenn er erkannt hat oder hätte erkennen können, dass es missachtet wird.[273] Kommt er durch Bremsen wegen eines Linksabbiegers ins Rutschen, trifft ihn eine 40 %ige Mithaftung.[274]
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Die Wartepflicht des Linksabbiegers gegenüber dem auf derselben Straße Weiterfahrenden kann entgegen dem natürlichen Verlauf der Straße durch vorfahrtregelnde Beschilderung geändert werden. Wer nach links abbiegen will, muss entgegenkommende Fahrzeuge, die ihrerseits nach rechts abbiegen wollen, durchfahren lassen (§ 9 Abs. 4 StVO).[275] Nach § 9 Abs. 4 S. 2 StVO müssen Kfz, die sich entgegenkommen und beide nach links abbiegen wollen, voreinander abbiegen, es sei denn, die Verkehrslage oder die Gestaltung der Kreuzung erfordern, erst dann abzubiegen, wenn die Fahrzeuge aneinander vorbeigefahren sind.
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Beim Einbiegen in eine trichterförmige Straßeneinmündung ist der Mittelpunkt der Trichterbreite rechts zu umfahren.[276] Das Gleiche gilt für das Linksabbiegen aus einer nach beiden Seiten trichterförmig erweiterten Straßeneinmündung. Bei einer trichterförmig erweiterten, vorfahrtsberechtigten Einmündung hat der Linksabbieger Vorfahrt auf der gesamten Trichterfläche.[277]
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Mehrspuriges paralleles Abbiegen ist im Großstadtverkehr zulässig und im Interesse des Verkehrsflusses auch gewünscht. Es folgt schon aus § 9 Abs. 1 StVO, dass derjenige Vorrang genießt, der sich der Abbiegerichtung entsprechend eingeordnet hat und anschließend in engem Bogen abbiegt. Der in einem weiten Bogen Abbiegende darf dabei den Nebenmann nicht einengen, schneiden oder in irgendeiner Form behindern.[278] Bei mehrspurigem parallelen Abbiegen nach rechts auf mit Richtungspfeilen entsprechend gekennzeichneten Fahrbahnen (Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO, Abschnitt 9 Nr. 69) muss der links Fahrende den Bogen so weit nehmen, dass er die in der rechten Spur fahrenden Fahrzeuge nicht in Bedrängnis bringt und umgekehrt. Es besteht in diesen Fällen grundsätzlich kein Vorrang des am weitesten rechts eingeordneten Fahrzeugs, sondern die Pflicht zum Spurhalten.[279] Beim Linksabbiegen gilt dies gleichermaßen und selbstverständlich auch, wenn die Fahrspurmarkierungen über die Haltelinien hinaus im Kreuzungsbereich fortgeführt werden.
1. Kapitel Die Haftung des Kraftfahrzeughalters und -führers › V. Verhalten im Straßenverkehr › 14. Wenden/Rückwärtsfahren (§ 9 Abs. 5 StVO)
14. Wenden/Rückwärtsfahren (§ 9 Abs. 5 StVO)
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Wenden eines Kfz auf der Autobahn[280] oder auf Kraftfahrstraßen ist unzulässig, § 18 Abs. 7 StVO.
Beim Wenden auf sonstigen Straßen muss sich der Fahrer, also auch ein Radfahrer,[281] so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.[282] Es gelten vergleichbare Pflichten wie beim Abbiegen in ein Grundstück gegenüber dem Längs- und Gegenverkehr. Anders als beim Abbiegen in eine Straße können andere Verkehrsteilnehmer schwerer erkennen, an welcher Stelle das Manöver ausgeführt wird.
Dies gilt auch für Wendemanöver, die an Kreuzungen durch Inanspruchnahme eines Teils der Seitenstraße oder eines Teils einer Grundstückseinfahrt ausgeführt werden.[283] § 9 Abs. 5 StVO dient nicht nur dem Schutz des fließenden Verkehrs. Vielmehr soll jeder Verkehrsteilnehmer geschützt werden, also auch ein Fußgänger[284] oder ein aus einem Grundstück auf die Straße Einfahrender.[285]
Bei einem Unfall spricht der Anschein gegen den Wendenden. Er wird erschüttert, wenn der Beteiligte die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten hat.[286] Den Nachfolgenden kann u.U. ein Mitverschulden treffen.[287] Den Wendenden kann im Einzelfall sogar eine untergeordnete Mithaftung treffen, wenn sein Wendemanöver für den nachfolgenden überholenden Motorradfahrer vorhersehbar war.[288] Beim Wenden eines Bergepanzers ist umfangreiche Absicherung geboten.[289]
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Rückwärtsfahren über eine längere Strecke (5 m) ist unstatthaft.[290] Rückwärtsfahren ist z.B. erlaubt zum Rangieren, Einfahren in eine Parklücke oder in ein Grundstück. Biegt ein Lastzug bei Dunkelheit und Regen rückwärts in eine auf seiner linken Seite befindliche Grundstückseinfahrt ab und kollidiert er mit einem entgegenkommenden Pkw, so kann den Lkw-Fahrer die volle Haftung treffen.[291] Der Anschein spricht für ein Verschulden des Rückwärtsfahrenden.[292] Die Vorfahrtsberechtigung des von rechts Kommenden wird jedoch nicht dadurch aufgehoben, dass er rückwärts fährt.[293] Auch