Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden. Kurt E. Böhme
muss er sich darauf einstellen, dass ein Vorausfahrender die Herrschaft über sein Kfz verliert.[189]
195
Die Betätigung der Bremsen beim ersten Auftreten von Glatteis und beim Rutschen des Fahrzeugs infolge der Fahrbahnglätte ist unsachgemäß.[190] Es ist eine Erfahrungstatsache, dass Bremsbetätigung auf vereister Fahrbahn zu einem Schleudern und damit zu einer Gefährdung des Straßenverkehrs führen kann.[191] Setzt ein auf der Straßenmitte fahrender Lastzugfahrer im Begegnungsverkehr auf vereister und gewölbter Straße die Geschwindigkeit ohne Notwendigkeit herab, so bedeutet dies infolge der damit verbundenen Gefahr des Abrutschens i.d.R. eine Sorgfaltspflichtverletzung.[192]
196
Wenn ein Fahrer auf regennasser Straße rutscht oder schleudert, so zeigt das, dass er es an der erforderlichen gesteigerten Sorgfaltspflicht hat fehlen lassen.[193] Bei einer infolge einsetzenden Regens entstehenden Schmierfilmbildung auf der Straße darf der Fahrer nicht warten, bis er eine Beeinträchtigung der Spurhaltung feststellen kann, sondern er muss rechtzeitig vorher seine Geschwindigkeit herabsetzen. Dies gilt insbesondere für Kradfahrer.[194]
Verliert der Fahrer bei Windböen die Herrschaft über sein Fahrzeug, so spricht der Anscheinsbeweis für ein Verschulden.[195]
197
Bei Fahrbahnverschmutzungen ist der Vorwurf, eine Kurve mit unangepasster Geschwindigkeit durchfahren zu haben, nicht gerechtfertigt, wenn der Kurvenverlauf die gefahrene Geschwindigkeit ohne weiteres zuließ und die durch die Verschmutzung entstandene Fahrbahnglätte wegen Dunkelheit für den Fahrer möglicherweise nicht zu erkennen war.[196]
e) Kettenunfälle
198
Bei Serienunfällen[197], insbesondere auf der Autobahn, ist die Haftungsverteilung schwierig, insbesondere dann, wenn Fahrzeuge ineinander verkeilt und einige rundum beschädigt sind. Der Ansicht,[198] bei einem Kettenauffahrunfall könne der Schuldlose des vordersten Kfz von jedem Halter/Fahrer der nachfolgenden Unfallbeteiligten seinen vollen Schaden ersetzt verlangen, soweit sie nicht ein unabwendbares Ereignis bzw. höhere Gewalt nachweisen, kann nicht zugestimmt werden. Eine solche Zurechnung erscheint nur dann möglich, wenn der Verunglückte durch die nachfolgenden Unfallbeiträge betroffen wurde.[199] Nur dann wäre der Haftungs-/Zurechnungszusammenhang gegeben[200] (s. auch Rn. 109). Bei Kettenauffahrunfällen versagt jedenfalls hinsichtlich der Verursachung des Frontschadens an dem Fahrzeug, auf das das Fahrzeug des Hintermanns aufgefahren ist, der für ein Verschulden des Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis i.d.R., weil regelmäßig gerade kein ausreichend typischer Geschehensablauf feststellbar ist.[201]
199
Der Halter des Kfz, das auf einen Vorderwagen aufgefahren ist und auf das andererseits ein weiteres Kfz auffährt, hat i.d.R. seinen Schaden am Vorderwagen selbst zu tragen,[202] hinsichtlich des Heckschadens steht ihm gegen den Auffahrenden ein Anspruch zu.[203] Wegen Verkürzung des Sicherheitsabstandes infolge des eigenen Auffahrens muss er u.U. eine Kürzung seines Anspruchs hinnehmen.[204] Wegen seines Frontschadens kann er u.U. gegen den von ihm angefahrenen mit gleicher Begründung Teilersatz begehren. Bei Serienauffahrunfällen wird daher regelmäßig die Differenzierung zwischen Front- und Heckschaden zur substantiierten Darlegung des Anspruchs erforderlich sein.
200
Bleibt bei einem Kettenunfall ungewiss, ob der Vordermann selbst aufgefahren oder vom Nachfolgenden aufgeschoben worden ist, so bestehen hinsichtlich des Frontschadens drei Entscheidungsmöglichkeiten:
aa) | Wenn ursächliche Beteiligung des Nachfolgenden an dem Frontschaden zumindest deutlich wahrscheinlicher ist als das Gegenteil, haftet er für den Front- und Heckschaden. |
bb) | Wenn die Verursachung des Frontschadens durch den Nachfolgenden lediglich wahrscheinlicher ist als das Gegenteil, so haftet dieser nur für einen Teil des Gesamtschadens. Dabei wird der Haftungsbetrag nach dem Verhältnis der rechnerischen Reparaturkosten für den Heckschaden zu den übrigen Schäden bestimmt.[205] |
cc) | Ist die ursächliche Beteiligung des Nachfolgenden an dem Frontschaden weniger wahrscheinlich, so haftet der Nachfolgende nur für den ihm sicher zurechenbaren Heckschaden.[206] |
Sind drei Fahrzeuge an einer Aufschiebekollision beteiligt und behauptet der Aufgeschobene, er wäre rechtzeitig vor einer Kollision mit dem vorderen Fahrzeug zum Stehen gekommen, so muss er dies beweisen. I.d.R. ist eine Aufschiebekollision für den Fahrer des aufgeschobenen Fahrzeugs nur dann im Sine von § 17 Abs. 3 StVG unabwendbar, wenn dieser den Beweis dafür führen kann, dass sein Fahrzeug ohne den Anstoß nicht auf das vordere Fahrzeug aufgefahren wäre.[207]
201
Für Massenunfälle haben die Autoversicherer ein Regulierungssystem entwickelt, s. Rn. 408.
1. Kapitel Die Haftung des Kraftfahrzeughalters und -führers › V. Verhalten im Straßenverkehr › 12. Autobahn
12. Autobahn
202
Auf der BAB ist das Halten, Wenden und Rückwärtsfahren verboten, ebenso das Parken außerhalb der hierfür bestimmten Plätze, § 18 Abs. 7 und 8 StVO.
Wird ein Fahrer, der sich nach einem Auffahrunfall für kurze Zeit auf dem Grünstreifen aufhält, durch einen weiteren Unfall verletzt, braucht er sich insoweit ein Mitverschulden nicht anrechnen zu lassen.[208]
Halten und Aussteigen auf der Standspur ist nur in Notfällen, z.B. bei Pannenhilfe, gestattet.[209]
Beim Anhalten auf der BAB sind Folgeunfälle keine untypischen Folgen der Betriebsgefahr des anhaltenden Kfz.[210]
Mit Geisterfahrern und Anhaltern braucht der Fahrer nicht zu rechnen.[211]
203
Der in die BAB Einfahrende oder aus einem Parkplatz Ausfahrende hat die Vorfahrt des fließenden Verkehrs unbedingt zu beachten, § 18 Abs. 3 StVO. Er muss warten, bis das Einfädeln gefahrlos möglich ist. Er kann sich nicht darauf verlassen, dass der auf der BAB Fahrende auf die freie Überholspur ausweicht. Ereignet sich dann im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang ein Unfall, spricht der Anschein für ein Verschulden des auf die BAB Einfahrenden[212]. Das Reißverschlussverfahren gilt auch nicht bei zähfließendem Verkehr.[213]
204
Die Beschleunigungsspur dient ausschließlich dem zügigen Einfädeln in den fließenden Verkehr. Wer auf der Beschleunigungsspur fährt, darf nicht in „einem Zug“ auf die Überholspur wechseln, sondern muss sich erst dem Verkehrsfluss auf der Normalspur einfügen.[214] Herabsetzung der Geschwindigkeit, um den Auffahrenden dies zu erleichtern, ist nicht zu beanstanden. Ein plötzliches Bremsen bis zum Stillstand ist verboten, es sei denn, die Verkehrssituation (z.B. Stau) gebietet dies.[215]