Ius Publicum Europaeum. Paul Craig
geklärten Rechtsproblemen (Privatisierungsfolgenrecht).[175] Dabei besteht weitgehende Einigkeit, dass die Verknüpfung der Liberalisierung der Märkte mit der staatlichen Ergebnisverantwortung nur herstellbar ist, wenn der Staat, dem die Mittel der Erfüllung durch eigenes Personal und eigene Sachmittel aus der Hand genommen sind, der also nicht mehr die Erfüllungsverantwortung trägt, auf die Handlungsrationalität privater Wirtschaftsunternehmen weiterhin einwirkt, um als „Gewährleistungsstaat“[176] seiner Gewährleistungsverantwortung gerecht zu werden, einschließlich einer „Auffangverantwortung“[177], also der Pflicht, im Falle des Versagens der Privaten gegebenenfalls wieder selbst „in die Bresche zu springen“ und die Aufgabe zurückzuholen. Um diese Zusammenhänge im Einzelnen näher zu erforschen, hat sich mit dem Gewährleistungsverwaltungsrecht zwischenzeitlich eine neue, eigenständige Teildisziplin des (im Schwerpunkt) Öffentlichen Rechts etabliert.[178]
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Die Gewährleistungsverwaltung[179] setzt vor allem auf das Instrument der Regulierung,[180] also die Schaffung eines rechtlichen Rahmens dynamischer, gemeinwohlsichernder Regelungsstrukturen sowie die eingreifende Reglementierung der tatsächlichen Bedingungen gemeinwohlverträglicher Marktteilnahme im Einzelfall.[181] Sie trägt damit der gesicherten Erkenntnis Rechnung, dass zwischen Privatisierung (Selbstregulierung) und Regulierung ein – je nach Gebiet unterschiedlich enger – sachlicher Zusammenhang („regulierte Selbstregulierung“) besteht.[182]
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Vor diesem Hintergrund hat sich mit der Regulierungsverwaltung ein neuer Verwaltungstypus entwickelt, dessen Neuartigkeit sich sowohl auf die Regelungsstrukturen wie auch auf ihre Organisation bezieht.[183] Dem Regulierungsverwaltungsrecht geht es vor allem „um die Überführung vormals staatlich betriebener Infrastrukturen in die Wettbewerbsordnung bei gleichzeitiger Erhaltung eines allgemein erreichbaren Standards, daneben aber auch um die technologieneutrale Erweiterung oder Neuschaffung von innovativen Infrastrukturen (Bahn, Post, Energie, Telekommunikation, zukünftig eventuell Wasser)“[184].
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Zwar dient die Regulierung als Hebel zur Ermöglichung privater Wirtschaftsteilnahme auf durch frühere Staatsmonopole geprägten Märkten und erweist sich somit in finaler Perspektive als freiheitsförderlich. Auch bei dem Prozess der Regulierung besteht jedoch die Gefahr, dass es modal zu freiheitsgefährdenden Effekten durch ein „zu viel“ an Eingriffen und Planung kommt. Daher sind die Vorgaben des Rechtsstaatsprinzips (insbesondere Verhältnismäßigkeit, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes) genau zu beachten.[185] Da die Regulierungsbehörden staatliche Gewalt vorrangig gegenüber privaten Leistungserbringern, mittelbar aber auch gegenüber Dritten (Wettbewerbern, Endkunden) ausüben, gilt für sie überdies das Erfordernis einer hinreichenden demokratischen Einbindung (Art. 20 Abs. 2 GG).[186]
cc) Unabhängige Agenturen
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Der Trend zur Pluralisierung der Verwaltung wird durch eine jüngere Entwicklung nicht nur auf der EU-Ebene[187], sondern auch im Bereich der unmittelbaren Bundesverwaltung noch verstärkt: Immer mehr Verwaltungsaufgaben werden seit einigen Jahren von selbständigen Bundesoberbehörden wahrgenommen, also von Stellen, die einer obersten Bundesbehörde (Ministerium) unmittelbar nachgeordnet sind, aber keinen Unterbau haben, sondern für das ganze Bundesgebiet zuständig sind (vgl. Art. 87 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. GG).[188] Es handelt sich um Behörden, die für besondere, aus technischen oder sonstigen Gründen komplexe Aufgaben eingerichtet und hierfür mit Sachverständigen für das jeweilige Gebiet besetzt wurden. Dabei gehört die Weisungsfreiheit grundsätzlich nicht bereits zu den verfassungsrechtlichen Begriffsmerkmalen einer „selbständigen“ Bundesoberbehörde.[189] Es ist aber stets die jeweilige einfach-gesetzliche Rechtsgrundlage zu beachten, die regelmäßig spezielle Vorschriften über die (Fach-)Aufsicht enthält.
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Ein wichtiges Beispiel[190] für die Neueinrichtung[191] einer selbständigen Bundesoberbehörde (mit gewisser Sonderstellung) ist die Bundesnetzagentur (BNetzA) für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahn im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die Behörde mit Sitz in Bonn ist aus der am 1.1.1998 gegründeten Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) und dem Eisenbahnbundesamt hervorgegangen und wurde am 13.7.2005 in Bundesnetzagentur umbenannt. Die verfassungsrechtliche Grundlage für die erweiterte Aufgabenzuweisung folgt aus Art. 87e Abs. 1 GG bzw. Art. 87 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG. Die Organisationsvorschriften sind in dem Gesetz über die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (BNetzAG) vom 7.7.2005[192] geregelt. Die BNetzA hat zehn Außenstellen und den jeweiligen Außenstellen zugeordnete Standorte. Im Energiewirtschaftsrecht sind bestimmte Aufgaben den Landesregulierungsbehörden vorbehalten. Ihnen obliegt die Regulierung der Energieversorgungsunternehmen, an deren Elektrizitäts- oder Gasnetz jeweils weniger als 100.000 Kunden angeschlossen sind und deren Verteilernetz nicht über das Gebiet eines Bundeslandes hinausreicht.[193]
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Die Regulierungsbehörde ist „das institutionelle Gegenstück der regulatorischen Marktbegleitung“[194]. Ihre Hauptaufgabe ist es, für einen diskriminierungsfreien Netzzugang und effiziente Netznutzungsentgelte, mithin für Liberalisierung und Deregulierung auf den Netzmärkten zu sorgen. Ihr ist die Durchsetzung der jeweiligen bereichsspezifischen Regulierungsziele, insbesondere die Marktbeobachtung und Evaluierung des Regulierungsrahmens unter Nutzung wissenschaftlicher Beratung, aufgegeben. Hierfür ist sie mit wirksamen Verfahren und Instrumenten ausgestattet worden, die auch Informations- und Untersuchungsrechte sowie abgestufte Sanktionsbefugnisse einschließen. Darüber hinaus wird sie durch einen (politisch besetzten) Beirat unterstützt.[195] In neuerer Zeit verschwimmt dieses zunächst relativ klare Aufgabenprofil jedoch zunehmend. Grund hierfür ist das dem „more economic approach“[196] der Europäischen Kommission zugrunde liegende, weit in den Bereich der Konsumentenwohlfahrt (sogenannter Verbraucherschutz) ausgreifende, diffuse Zielbündel und die damit verbundene Umstellung von einem – zutreffenden – ergebnisoffenen auf ein – abzulehnendes – ergebnisorientiertes Wettbewerbskonzept, das die Schwelle für wohlfahrtsökonomisch bzw. sozial motivierte Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Wettbewerbsfreiheit Privater deutlich herabsetzt.[197]
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Die verselbständigte Stellung der BNetzA[198] entspricht dem unions- und verfassungsrechtlichen Gebot der Unabhängigkeit: Die funktionelle Unabhängigkeit[199] der Regulierungsbehörde wird durch Art. 87f, 87 Abs. 3 GG umgesetzt. Die von der EU-Telekommunikationsrahmenrichtlinie geforderte politische Unabhängigkeit beschränkt sich auf die unparteiische und transparente Ausübung der Befugnisse. Der BNetzA soll hiermit die Verwirklichung einer eigenen Regulierungspolitik in gewisser Distanzierung von der politischen Ministerialverwaltung ermöglicht werden. Daher ist sie aus der unmittelbaren Ministerialverwaltung ausgegliedert und besitzt zwar keine Rechtsfähigkeit, aber eigene Organisations-, Personal- und Finanzhoheit.[200]
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Mit politischer Unabhängigkeit war bislang keine Weisungsfreiheit (Unzulässigkeit von Einzelweisungen) nach dem Vorbild der US-amerikanischen regulatory agencies[201] gemeint.[202] Dies änderte sich infolge des sogenannten Dritten Binnenmarktpakets der EU[203]: Die nationale Regulierungsbehörde hat danach nicht nur von Marktinteressen, sondern auch von Regierungsinteressen personell und funktionell unabhängig zu sein. „Direkte Weisungen“ sind unzulässig; die Behörde muss „selbständige Entscheidungen“ treffen können.[204] Hierin liegt ein Verstoß gegen das Prinzip der Sicherung des deutschen Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 2 GG) als Teil der „jeweiligen nationalen Identität“, zu deren Achtung die EU gemäß Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV verpflichtet ist; dieser Verstoß führt zur – teilweisen – Unionsrechtswidrigkeit der beiden genannten Richtlinien.[205] Das grundgesetzliche Demokratieprinzip (sachlich-inhaltliche Legitimation der Verwaltung) verlangt nämlich grundsätzlich zwingend eine Weisungsunterworfenheit auch von Agenturen, solange es – wie im Falle der Bundesnetzagentur – an einer verfassungsrechtlichen