Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn
Single Spots zukünftig grundsätzlich zulässig.
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Qualitative Werbebestimmungen:
Die KOM-Vorschläge hinsichtlich der Verhaltenskodizes in den Bereichen Alkohol- und HFSS-Lebensmittelwerbung sollen gestrichen werden. Dies würde zu einem Wegfall der strengen Vorgaben aus dem KOM-Vorschlag für die Ausgestaltung des Kodizes bei Lebensmittel- und Alkoholwerbung führen.
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Änderungen bei der Behandlung von Video-Sharing-Plattformen und UGC:
Der Entwurf sieht in diesem Bereich im Vergleich zum KOM-Vorschlag eine Neustrukturierung vor, die für alle AV-Dienste gelten soll. Es sollen sowohl eine Absicherung der Jugendschutzstandards und der Menschenwürde erfolgen als auch die Werbevorgaben aus dem heutigen Art. 9 AVMD-RL (Grundsätze für die Werbung wie Erkennbarkeitsgrundsatz, Anti-Diskriminierungsgebot, Verbot der Werbung für Tabakprodukte und verschreibungspflichtige Medikamente, keine an Kinder gerichtete Alkoholwerbung, Verhaltenskodizes etc.) sowie die Vorgaben zum Sponsoring (Art. 10 AVMD-RL) und der Produktplatzierung (Art. 11 AVMD-RL) für Video Sharing-Plattformen und UGC gelten. Bei der Produktplatzierung wird das Verbot der übermäßigen Herausstellung erneut aufgenommen.[96]
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Der Entwurf schlägt zudem die Schaffung eines Artikels zur Auffindbarkeit und Signalintegrität vor. Hinsichtlich der Förderung europäischer Werke ist eine Erhöhung der Quote für europäische Werke bei On-Demand-Diensten auf 30 % intendiert.[97]
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Zudem wird die Wiederaufnahme von Regelungen zur Barrierefreiheit vorgeschlagen. Der geänderte Wortlaut stellt dabei im Vergleich zur bisherigen Regelung eine Verschärfung dar. Gleichwohl soll über den Weg der Selbst- und Ko-Regulierung eine fast vollständige Barrierefreiheit bis 2027 erzielt werden.[98]
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Rat
Für qualitative Werbebestimmungen (Art. 9 AVMD-RL) sind keine Verschärfungen vorgesehen. Im Bereich der Produktplatzierung (Art. 11 AVMD-RL) enthalten die wesentlichen Änderungen eine Wiederaufnahme der KOM-Formulierung „programmes with a significant childrenʼs audience“ sowie die PP-Kennzeichnungsausnahme für Lizenzware, die grundsätzlich – und nicht wie nach derzeitiger Richtlinie nur in Ausnahmefällen – für die Mitgliedstaaten möglich sein soll. Das Verbot der „zu starken Herausstellung“ ist weiterhin gestrichen.[99] Lineare Vorgaben (Art. 19, 20, 23 AVMD-RL): Der Text sieht keine grundsätzliche Zulässigkeit von Single Spots vor. Die Unterbrechervorgaben werden auf den status quo (alle 30 Minuten) zurückgeführt und der Vorschlag zur zeitlichen Begrenzung sieht die Rückkehr zu 12-Minuten-Regelung im Zweitraum zwischen 7:00 – 19:00 Uhr vor; gleichzeitig wird das PT-Fenster, in dem der 20 %ige Werbeanteil flexibel verteilt werden kann, auf fünf Stunden erweitert (19:00 – 24:00 Uhr). Schwarzblenden sollen nicht auf die Werbezeit angerechnet werden.[100]
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Im deutschen Recht ist die AVMD-Richtlinie in ihrer damaligen Fassung im 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag umgesetzt und ein neuer einfachgesetzlicher Rundfunkbegriff geschaffen worden. Nach wie vor ist die einfachgesetzliche Einordnung nach den neuen Abgrenzungskriterien indes nicht immer eindeutig. Insoweit muss stets die Frage beantwortet werden, ob es sich bei oben genannten Erscheinungsformen um Rundfunk oder um sog. Telemedien handelt, die lediglich anzeige- und nicht zulassungspflichtig[101] sind. In der Praxis besonders bedeutsam und zugleich schwierig ist diese Unterscheidung, wenn es um Online-Angebote von Nichtrundfunkveranstaltern geht.[102] Handelt es sich bei diesen Erscheinungsformen um Rundfunk mit der Konsequenz, dass das rundfunkrechtliche Regime mit Lizenzerfordernis, rundfunkrechtlichen Werberegeln und Jugendschutzvorgaben gilt oder kann die Verbreitung dieser Inhalte über das Internet gar nicht oder nur speziell reguliert erfolgen?
2.2.2.1 Verfassungsrechtliche Einordnung
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Zwar kennt das GG neben der in diesem Zusammenhang weniger relevanten Filmfreiheit nur Rundfunk und Presse. Verfassungsrechtlich unterfallen jedoch auch telemediale Abrufdienste nach herrschender Meinung[103] dem weiten verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff.[104] Es werden Text-, Ton- oder Bilddateien mittels elektromagnetischer Schwingungen verbreitet. Eine nicht näher begrenzte Anzahl von Personen kann diese Dateien abrufen. Es fehlt an einer Möglichkeit auf den dargebotenen Inhalt Einfluss zu nehmen. Der Nutzer rezipiert eine redaktionell aufbereitete, planmäßige Darbietung mit publizistischer Relevanz. Dieses weite Verständnis des Rundfunkbegriffs eröffnet einen breiten Anwendungsbereich der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG und entspricht damit dem Postulat des BVerfG nach Offenheit für Neuerungen.[105] „Abruf-Applikationen“ sind somit bei verfassungsrechtlicher Betrachtung als Rundfunk zu klassifizieren. Dass eine solche Subsumtion angesichts der zunehmenden Digitalisierung und Konvergenz mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist, zeigt sich bereits daran, dass Presse, Rundfunk sowie alle neuen medialen Angebote die meisten Nutzer nicht mehr auf getrennten Wegen erreichen. Aufgrund neuer Endgeräte wie Hybrid-Fernseher, Apple-TV, Amazon Fire TV, Tablets oder Smartphones, können sämtliche Angebote auf sämtlichen Verbreitungswegen empfangen werden.[106] Aufgrund dieser Endgerätekonvergenz, die die Unterscheidbarkeit der medialen Angebotsgattungen weitgehend entfallen lässt,[107] ist eine rechtssichere Einordnung in die herkömmlichen Kategorien des Grundgesetzes nicht immer möglich.[108] Auch der Nutzer differenziert regelmäßig nicht zwischen den unterschiedlichen Gattungen, sondern erwartet einen möglichst schnellen und unkomplizierten Zugang zu den für ihn relevanten Inhalten.[109] Diesen, seit Entstehung des Grundgesetzes erheblich veränderten Gegebenheiten, könnte mit einem gattungsübergreifenden Grundrecht der Medienfreiheit Rechnung getragen werden.[110] Einer solchen Konstruktion stünde auch das europäische Recht nicht entgegen, welches weder in Art. 10 Abs. 1 EMRK noch in Art. 11 Abs. 2 Grundrechtecharta nach medialen Gattungen differenziert.[111] Der bisherige Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG mit seiner Differenzierung zwischen Rundfunk-, Presse- und der insoweit weniger relevanten Filmfreiheit könnte dafür im Sinne eines klassischen Freiheitsrechts weiterentwickelt werden.[112] Dies erscheint weitaus praktikabler als die zusätzliche Schaffung einer eigenständigen Internetdienstefreiheit auf Grundlage und in Ausgestaltung des Art. 5 GG. Wollte man dann den Rundfunkbegriff auf diejenigen Verteil- und Abrufdienste anwenden, die eine hinreichende Suggestivkraft, Aktualität und Breitenwirkung aufweisen und alle übrigen elektronisch verbreiteten Kommunikationsinhalte der Internetdienstefreiheit unterwerfen,[113] böte dies gegenüber der geltenden Rechtslage keine erkennbaren Vorteil. Schließlich werden verfassungsrechtlich als Rundfunk eingeordnete Internetdienste auch heute nicht mehr den scharfen Regulierungsanforderungen des klassischen Rundfunks unterworfen.[114] Es sprechen daher gute Gründe dafür die Medienfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG nicht kleinteilig zu erweitern, sondern vielmehr für die neuen Medien im Ganzen zu öffnen.[115]
2.2.2.2 Einfachgesetzliche Einordnung
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Der Gesetzgeber kann einzelne Bereiche innerhalb des weiten verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriffs abweichend enger regeln. Dies kann geschehen, um Erscheinungsformen, die zwar den verfassungsrechtlichen Schutz des weiten Rundfunkbegriffs genießen, aber z.B. nicht oder nicht in gleichem Maße meinungsrelevant sind, weniger streng zu regulieren. Um ein solches „liberaler“ reguliertes Angebot handelt es sich bei den Telemedien. § 1 Abs. 1 TMG (Bundesgesetzgeber) und § 2 Abs. 1 S. 3 RStV (Landesgesetzgeber) definieren ein Telemedium dementsprechend in negativer Abgrenzung zum Rundfunk faustformelartig und gleich lautend als einen elektronischen Informations- und Kommunikationsdienst, der weder Telekommunikation noch Rundfunk ist. Beim Rundfunk reduzieren sich die Möglichkeiten des Rezipienten auf das Ein- oder Ausschalten eines Angebots. Auf den Zeitpunkt des Empfangs kann der Nutzer keinen Einfluss nehmen, weshalb das Merkmal der Linearität erfüllt ist. Für redaktionell gestaltete Online-Angebote ist indes eine („nicht-lineare“) On-Demand-Nutzung charakteristisch. Hier werden Text-, Ton- und Bilddarbietungen auf einer Datenbank zum Abruf bereitgehalten, damit