Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn
zulässiger Satire und unzulässiger Schmähkritik veranschaulichen wolle. In diesem Gedicht beleidigte der Moderator den türkischen Staatspräsidenten drastisch und offen, unter anderem mit Witzen über Sodomieverhalten. Strafrechtlich sah die Staatsanwaltschaft hierin keine Beleidigung, weder gegenüber Erdoǧan als Privatperson (§ 185 StGB) noch als Staatsoberhaupt (§ 103 StGB) und stellte das Verfahren ein, im Wesentlichen weil es an einer ernst gemeinten Herabwürdigung fehle; jedenfalls seien die Aussagen durch die Meinungs- und Kunstfreiheit gerechtfertigt.[140] Die zivilrechtliche Unterlassungsklage führte demgegenüber in erster Instanz zu einem Verbot zur Äußerung des Gedichts in wesentlichen Teilen. Auch wenn die Beschreibungen des Sexuallebens von Erdogan keinen realen Bezug hätten und nicht ernst gemeint seien, müsse der Betroffene sie nicht hinnehmen.[141] Die Entscheidung ist zutreffend, weil es dem Moderator im Rahmen einer Gesamtabwägung auch im Ergebnis erkennbar um eine tiefgreifende Ehrverletzung ohne Sachbezug zum Verhalten des Politikers geht. Demgegenüber hat das LG Hamburg im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens die „politisch unkorrekte“ Bezeichnung einer AfD-Politikerin als „Nazi-Schlampe“ unbeanstandet gelassen, nachdem diese auf einem Parteitag gefordert hatte, „die Political Correctness gehöre auf den Müllhaufen der Geschichte“. Diese Entscheidung über einen Witz zu Political Correctness ist wegen des Sachbezuges zur Äußerung der Politikerin, der im Falle Erdogan gerade nicht erkennbar ist, ebenfalls richtig.[142]
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Problematisch wird zunehmend auch das Verhältnis der Meinungs- und Kunstfreiheit (Art. 5 GG) zur Religionsfreiheit (Art. 4 GG). Im Zusammenhang mit der Affäre um einen Geheimnisverrat im Vatikan („Vatileaks“) im Jahr 2012 veröffentlichte das Satiremagazin Titanic auf der Titelseite ein bearbeitetes Foto des damaligen Papstes Benedikt XVI, das ihn mit einer Soutane, die auf Schritthöhe mit Urin eingenässt ist, zeigt. Die Titelüberschrift dazu lautete “Die undichte Stelle ist gefunden“. Das LG Hamburg untersagte im Eilrechtsschutz die weitere Veröffentlichung des Titelbildes,[143] im späteren Verlauf wurde der Antrag zurückgenommen. Letztlich wird auch in diesem Zusammenhang auf das Kriterium der Schmähkritik abzustellen sein. Verboten ist eine Äußerung oder Abbildung dann, wenn es nicht mehr in erster Linie um den Meinungsaustausch oder die künstlerische Auseinandersetzung geht, sondern darum, den Betroffenen verächtlich zu machen und in seiner Würde herabzusetzen.[144]
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Ob eine Tatsachenbehauptung oder ein Werturteil vorliegt, richtet sich im konkreten Fall danach, ob die Aussage einem Wahrheitsbeweis zugeführt werden kann.[145] Da beide Äußerungsformen oft miteinander verbunden werden und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen, ist die beschriebene Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen in der Praxis schwierig. Für die Zuordnung hilft es, dass der Begriff der Meinung weit verstanden wird.[146] In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie die insbesondere in den sozialen Medien zunehmenden Phänomene „Hatespeech“ als beleidigende, schmähende Meinungsbekundungen und das Verbreiten von „Fakenews“, also bewusst lancierte Falschmeldungen, einzuordnen sind. Während Hatespeech oftmals einen der Beleidigungstatbestände der §§ 185 ff. StGB erfüllt, sind Fakenews nicht zwingend strafbar, zumindest soweit nicht im Sinne einer Verleumdung (§ 187 StGB) bewusst unwahre Tatsachen über einen anderen verbreitet werden. Insbesondere Fakenews sind aber durchaus geeignet, die Meinungsfreiheit zu verletzen.[147] Die Dienste auf denen teils von privaten Nutzern, teils von professionellen Verlegern Inhalte verbreitet werden, sind häufig Medium und Faktor der Meinungsbildung[148] und somit wegen der Vergleichbarkeit zum Rundfunk als Medien einzuordnen.[149] Wenn unter dem Vorwand, von der Äußerungsfreiheit Gebrauch machen zu wollen, Falschnachrichten verbreitet werden, die im Ergebnis womöglich Einfluss auf die Meinungsbildung bei demokratischen Wahlen nehmen, wird das Grundrecht letztlich ausgehöhlt.[150] Eine Regulierung wie bei den herkömmlichen Medien findet aber bisher nicht statt.[151] Einen dahingehenden Ansatz könnte ein dreistufiger Regelungsmechanismus bieten. In einem ersten Schritt sind Plattformbetreiber wie Facebook in der Pflicht, Falschnachrichten zu identifizieren und zeitnah auf deren Meldung durch Nutzer zu reagieren. Auf einer zweiten Stufe müsste ein Gremium aller betroffenen Diensteanbieter einen Verhaltenskodex beschließen, zu dessen Einhaltung sich alle beteiligten Unternehmen verpflichten. Auf einer dritten Stufe stünde schließlich eine regulierte Selbstregulierung nach Vorbild des Jugendschutzes.[152] Hier würde, legitimiert durch einen Staatsvertrag der Länder, eine vom Staat (begrenzt) beaufsichtigte Selbstkontrolleinrichtung die Aufgabe übernehmen, die Plattformen zu beaufsichtigen und in Anspruch zu nehmen.[153]
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Von der Meinungs- und Informationsfreiheit ist nicht nur das Recht umfasst, eine Meinung zu äußern und zu verbreiten und sich zu informieren (positive Meinungsfreiheit), sondern im Rahmen der sog. negativen Meinungsfreiheit auch das Recht, eine Meinung nicht äußern zu müssen.[154] Geschützt ist schließlich das Kommunikationsgeheimnis, welches grundrechtlich durch das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gem. Art. 10 GG gewährleistet ist.[155]
3.2 Schranken
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Alle Informationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG und damit auch die Meinungsfreiheit unterliegen der Trias der in Art. 5 Abs. 2 GG genannten Schranken: Allgemeine Gesetze, Jugendschutz, Recht der persönlichen Ehre.[156]
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Nach der sog. Kombinationstheorie[157] spricht man von einem allgemeinen Gesetz, wenn sich eine die Meinungsfreiheit einschränkende Vorschrift nicht gegen die geäußerte Meinung als solche richtet (Sonderrechtslehre),[158] sondern dem Schutz eines anderen Rechtsguts dient. Dieses muss im konkreten Fall gegenüber der Meinungsfreiheit Vorrang genießen (Abwägungslehre). Die konkrete Abwägung ist im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen. Kommt es etwa im Rahmen einer medialen Äußerung zu einer Beleidigung, so ist der Straftatbestand des § 185 StGB ein allgemeines Gesetz, da sich sein Schutz nicht gegen bestimmte Meinungen und auch nicht gegen eine Meinung als solche richtet. Der Beleidigungstatbestand dient vielmehr abstrakt der Wahrung der Ehre des von der Meinungsäußerung Betroffenen, dessen berechtigter Achtungsanspruch im Einzelfall schwerer wiegen kann, als die Meinungsfreiheit.[159]
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Auf Schrankenebene treffen häufig Rundfunkfreiheit und allgemeines Persönlichkeitsrecht, das sich etwa im allgemeinen Gesetz des § 22 KUG konkretisiert, aufeinander. Diese Norm regelt das Recht am eigenen Bild.[160] „Bildnisse dürfen (danach) nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden.“ (…) Nach der Ausnahmeregelung des § 23 Abs. 1 KUG dürfen ohne die nach § 22 KUG erforderliche Einwilligung Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte verbreitet und zur Schau gestellt werden. Die Befugnis erstreckt sich nach § 23 Abs. 2 „jedoch nicht auf eine Verbreitung und Schaustellung, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten oder, falls dieser verstorben ist, seiner Angehörigen verletzt wird.“ Grundsätzlich überwiegt hierbei das über die Rundfunkfreiheit geschützte Informationsinteresse der Bürger an einer aktuellen Berichterstattung gegenüber dem Persönlichkeitsschutz.[161] Die Meinungsfreiheit kann zudem mit dem allgemeinen Urheberrecht, insbesondere dem Recht der öffentlichen Zugänglichmachung gem. § 19a UrhG oder dem Vervielfältigungsrecht gem. § 16 UrhG, kollidieren. Zu beachten ist hierbei, dass das Urheberrecht nicht dazu instrumentalisiert werden darf, missliebige Meinungsäußerungen zu unterbinden. Zu unterscheiden ist zwischen einer rein wirtschaftlich motivierten Meinungsäußerung und einem Beitrag zu einer öffentlichen Debatte. So kann sich aus einer entsprechenden Einzelfallabwägung (Urheberrecht und Art. 5 GG bzw. Art. 10 Abs. 1 MRK des Medienanbieters bzw. des Nutzers) ggf. die Erlaubnis einer Veröffentlichung ergeben.[162] Konkret hat hierzu der EGMR entschieden, dass die Staaten bei der Regelung der Meinungsfreiheit im wirtschaftlichen Bereich einen weiten Ermessensspielraum haben, der sich regelmäßig dann verengt, wenn es zumindest auch um eine Beteiligung an einer Diskussion über Fragen allgemeinen Interesses geht. Im zu entscheidenden Fall, bei dem sich die Publikation darauf beschränkte, Fotos von Modenschauen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sah der EGMR dieses Kriterium als nicht erfüllt an.[163] Anders seien demgegenüber Beiträgen zur politischen