Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn
zur Neuordnung des Rundfunkwesens“ – kurz Rundfunkstaatsvertrag (RStV), der am 1.12.1987 in Kraft trat.[199]
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1987 erging die 5. Rundfunkentscheidung[200] über das Landesmediengesetz Baden-Württemberg. Der damals noch existierende SDR wollte als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt den Ausschluss von Spartenprogrammen und Online-Diensten nicht dulden. Dies nahm das BVerfG zum Anlass, den Begriff der Grundversorgung zu konkretisieren, den es nicht als Minimalversorgung, sondern als Abbildung der gesamten Bandbreite der programmlichen Gestaltungsformen begreift. Die Grundversorgung erfordert es, die Bürger umfassend zu informieren und alle Typen von Rundfunksendungen technisch für alle erreichbar anzubieten. Das Angebot muss verfahrensrechtlich gesichert sein, Ausgewogenheit und Vielfalt gewährleisten und alle Strömungen der Gesellschaft widerspiegeln. Zudem muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch außerhalb der Grundversorgung an neuen Techniken und Programmformen teilhaben können, was sich aus dem Recht zur Mitwirkung am publizistischen Wettbewerb ergebe. Zudem spiele eine Rolle, dass neue Programmformen oder Techniken künftig zum Bestandteil der Grundversorgung werden könnten. Es widerspricht damit dem GG, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk von Sparten-, Regional- und Lokalprogrammen sowie von Ton- und Bewegtbilddiensten auszuschließen, auch wenn sich das Gericht über die Zugehörigkeit dieser Angebote zur Grundversorgung nicht äußert. In der 5. Rundfunkentscheidung wurden schließlich Werbeverbote im öffentlich-rechtlichen Regional- und Lokalfunk zugelassen.
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Die Verfassungsmäßigkeit des WDR-Gesetzes war Gegenstand des WDR-Urteils von 1991, das als 6. Rundfunkurteil[201] bezeichnet wird. Erneut ging es um eine dynamische Interpretation des Grundversorgungsauftrages, nun in Form der Bestands- und Entwicklungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, an der das Gericht festhielt. Zusätzlich waren die Mischfinanzierung, die Durchführung sog. neuer Dienste und Aktivitäten der Rundfunkanstalten in Randbereichen ihres hergebrachten Handlungsfeldes Thema. Aus der Rundfunkfreiheit fließt für das Gericht konkret ein Recht, in begrenztem Umfang Druckwerke herauszugeben, wenn diese vorwiegend programmbezogenen Inhalt haben. Allerdings sah das Gericht vorerst keine Notwendigkeit, den Grundversorgungsauftrag auf die neuen Dienste zu erstrecken. Diese Aussage steht freilich unter dem Vorbehalt, dass diese Kommunikationsdienste „künftig Funktionen des herkömmlichen Rundfunks übernehmen“.[202] Weitere Inhalte dieser Entscheidung waren Programmanforderungen für den privaten Rundfunk und die Zusammenarbeit von öffentlich-rechtlichen und privaten Veranstaltern.
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Als 7. Rundfunkentscheidung[203] ist die sog. Hessen 3-Entscheidung aus dem Jahr 1992 zu nennen. Hier ging es für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk um einen aus der Rundfunkfreiheit abgeleiteten Anspruch auf funktionsgerechte Finanzierung. Dieser besteht dem Grunde nach, umfasst aber nur das zur Aufgabenerfüllung Erforderliche. Für den Hessischen Rundfunk (HR) bedeutete dies ein Verbot, im 3. Fernsehprogramm Werbung zu senden, das solange mit der Rundfunkfreiheit vereinbar ist, als die Finanzierung der Anstalt auch ohne diese zusätzlichen Einnahmen gesichert ist. Dass ihm die erforderlichen Mittel ohne die Werbeeinnahmen fehlen würden, konnte der HR nicht darlegen.
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Zum „Kabelgroschen“ erging 1994 das 8. Rundfunkurteil.[204] Es betrifft damit abermals die bis zum 1.1.2013 bestehende Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das Gericht beanstandete das zu beurteilende Verfahren der Gebührenfestsetzung vor dem Hintergrund der Staatsfreiheit und gab für die Gebührenfestsetzung eine verfahrensrechtliche Lösung auf drei Stufen vor,[205] welche 1996 Eingang in den 3. Rundfunkänderungsstaatsvertrag fand. Danach müssen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einen an ihren Aufgaben orientierten Finanzbedarf anmelden, dessen Erforderlichkeit von der Kommission zur Überprüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) fachlich überprüft wird, bevor die Landesparlamente sodann unter Berücksichtigung des Vorschlags der KEF die Gebührenhöhe festlegen. Dieses Verfahren zur Überprüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs des öffentlichen Rundfunks ist auch im Rahmen der neuen Beitragsfinanzierung beibehalten worden.[206]
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In seiner Entscheidung v. 11.9.2007, die als 9. Rundfunkurteil[207] hier einzureihen ist, befasste sich das BVerfG erneut mit der Rundfunkfinanzierung.[208] Der Sache nach ging es um die Kürzung des seitens der KEF ermittelten Gebührenaufkommens in den für die Jahre 2005–2008 durch den Gesetzgeber des 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrages. Das Gericht erklärte die konkret vorgenommene Kürzung mangels hinreichender Begründung durch den Gesetzgeber für verfassungswidrig. Als zulässige Gründe, die den Ländern eine Abweichung von dem Gebührenvorschlag der KEF ermöglichen, kommen regelmäßig nur die Sicherung des Informationszugangs und die Angemessenheit der Belastung für die Gebührenzahler in Betracht. Aufgrund des Letztentscheidungsrechts der Länder ist eine verfassungsrechtlich gerechtfertigte Kürzung aber im Grundsatz zulässig, sofern die Festsetzung des jeweiligen Betrages frei von medienpolitischen Zwecksetzungen erfolgt. Zugleich stärkte das Gericht die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sowohl gegenüber dem Gesetzgeber als auch im dualen Rundfunksystem. Private Rundfunkveranstalter verlieren aufgrund der mit der Werbefinanzierung verbundenen vielfaltsverengenden Faktoren nicht ihre Funktion als Gegengewicht im dualen System. Den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wurde die Teilhabe an neuen Entwicklungen eröffnet und das Internet als weiterer Verbreitungsweg zur Erfüllung ihres Funktionsauftrages aufgezeigt.[209]
Die 10. Rundfunkentscheidung[210] wurde auf einen Normenkontrollantrag der SPD-Bundestagsfraktion hin erlassen, der sich gegen die Novellierung des hessischen Privatrundfunkgesetzes (HPRG) über die Beteiligung politischer Parteien an privaten Rundfunksendern richtete. Politischen Parteien darf gem. § 6 Abs. 2 Nr. 4 HPRG keine Zulassung zum Rundfunk erteilt werden. Die Entscheidung überprüft die verfassungsrechtliche Vereinbarkeit dieses absoluten Verbots. Der zweite Senat macht sich in diesem Zusammenhang die stRspr. des ersten Senats zu eigen, wonach die Rundfunkfreiheit der gesetzlichen Ausgestaltung bedarf. Zudem bestätigt das Gericht, dass Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG die Staatsferne des Rundfunks fordert. Dieser Grundsatz ist auch im Verhältnis zu den Parteien zu berücksichtigen, da diese zwar nicht dem Staat zuzuordnen seien, aber eine gewisse Staatsnähe aufwiesen. Auf der anderen Seite stehe den Parteien die subjektive Rundfunkfreiheit zur Verfügung, die durch den Mitwirkungsauftrag des Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG verstärkt werde. Da es sich um ein Ausgestaltungsgesetz handele, habe der Gesetzgeber zwar einen weiten Gestaltungsspielraum bei dem Ausgleich der Staatsferne mit den Rechten der Parteien. Bei der Prüfung dieses Ausgestaltungsgesetzes ist indes nicht nur danach zu fragen, ob die Regelung geeignet ist, das Ziel der Rundfunkfreiheit zu fördern, sondern auch, ob die Abwägung der widerstreitenden Rechtsgüter in angemessener Weise, also verhältnismäßig im engeren Sinne, vorgenommen wurde. Damit nimmt das Ausgestaltungsgesetz eine Verhältnismäßigkeitskontrolle vor, die derjenigen bei Eingriffsgesetzen weitgehend entspricht. Werden die Parteien gänzlich von der Beteiligung an privaten Rundfunkveranstaltern ausgeschlossen, liegt keine sachgerechte Abwägung der Interessen vor. Dem Gesetzgeber steht es nach der Entscheidung dagegen frei, den Parteien die Beteiligung zu verwehren, soweit damit ein bestimmender Einfluss auf die Programmgestaltung einhergeht.
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Das BVerfG hat über die Jahre neben diesen zentralen Aussagen weitere wichtige rundfunkrechtliche Entscheidungen gefällt. Die „schlechthin konstituierende Bedeutung“ der Rundfunkfreiheit für die freie demokratische Grundordnung wurde in der Lebach-Entscheidung von 1973[211] hervorgehoben. Die Entscheidung zur EG-Fernsehrichtlinie von 1995[212] betrifft die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Gemeinschaft, Bund und Ländern. Um Fragen der Zusammensetzung der Rundfunkräte und die Rolle des Staates bei deren Besetzung ging es ebenfalls 1995.[213] 1998 wurde zum Kurzberichterstattungsrecht[214] bei Sportveranstaltungen entschieden. Im selben Jahr ging es in Extra-Radio 1998[215] um die Grundrechtsträgerschaft bei der Rundfunk- und Rundfunkunternehmerfreiheit insgesamt. Ebenfalls 1998 war die wirtschaftliche Reichweite