Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn
Eine weitere Schranke der Kommunikationsgrundrechte ist der Schutz der Jugend. Dieser ist insbesondere im Jugendschutzgesetz (JuSchG) sowie im Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutzstaatsvertrag, JMStV) verankert.[165] Das Recht der persönlichen Ehre[166] wird einfachgesetzlich etwa durch das zivilrechtliche Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB) und von den Beleidigungsdelikten der §§ 185 ff. StGB geschützt.[167]
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Auch Grundrechte, die mit den Kommunikationsfreiheiten kollidieren, können diese beschränken. Diese Schranken sind dann unabhängig von Art. 5 Abs. 2 GG unmittelbar aus der Verfassung zu entnehmen.[168] Besonders eingeschränkt wird Art. 5 Abs. 1 GG durch Art. 17a Abs. 1 GG im Hinblick auf Meinungsäußerungen im Wehr- und Ersatzdienst[169] sowie im Rahmen von Art. 18 GG (Grundrechtsverwirkung).[170]
3.3 Schranken-Schranken
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Wenn der Staat Grundrechte einschränkt, unterliegt er dabei seinerseits Grenzen, den sog. Schranken-Schranken.[171] Zu diesen zählt im Hinblick auf die Rechte aus Art. 5 Abs. 1 GG die sog. Wechselwirkungslehre, welche insbesondere im Rahmen der Zulässigkeit von Meinungsäußerungen den Abwägungsmaßstab darstellt.[172] Es findet somit eine Wechselwirkung zwischen dem grundrechtlichen Schutzgut und dem hinter der Schranke stehenden Rechtsgut in dem Sinne statt, dass dieses zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Schranken setzt, seinerseits aber aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts ausgelegt und so in seiner das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden muss.[173] Hier gilt die Faustformel: „Im Zweifel für die freie Rede“. Kommt der Meinungsfreiheit und dem entgegenstehenden Rechtsgut gleiches Gewicht zu, setzt sich die Meinungsfreiheit durch.[174] Eine besondere Schranken-Schranke für Art. 5 Abs. 1 und 2 GG stellt das (Vor-) Zensurverbot des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG dar. Es ist auf alle Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG mit Ausnahme der Informationsfreiheit[175] anwendbar.[176]
4. Träger der Rundfunkfreiheit
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Träger der Rundfunkfreiheit können gem. Art. 19 Abs. 3 GG neben privaten Rundfunkveranstaltern auch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten sein.[177] Beiden ist das Grundrecht ausdrücklich zugeordnet.[178] Die Grundrechtsträgerschaft erstreckt sich auch auf mit der Rundfunkfreiheit unmittelbar verbundene Grundrechte.[179] Sie können also hier ausnahmsweise mittels Verfassungsbeschwerde gegen Grundrechtsverletzungen vorgehen. Der Schutz der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erstreckt sich auch auf das die Ausübung der Rundfunkfreiheit unterstützende Grundrecht des Art. 10 GG.[180] Umgekehrt gewährleistet die Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG im Ergebnis auch die private Rundfunkveranstalterfreiheit[181] und zwar wegen der „Vorwirkungen der Programmfreiheit“ auch schon während der Beantragung einer Lizenz.[182]
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Kontrovers diskutiert wird die App der Tagesschau, zu der der BGH 2015[183] entschieden hat. Geklagt hatten Zeitungsverlage, die geltend machten, die Inhalte der App seien presseähnlich und somit nicht vom (gebührenfinanzierten) Rundfunkauftrag umfasst. Das Verbreiten nichtsendungsbezogener presseähnlicher Angebote verstoße gegen den als Marktverhaltensregel i.S.d. § 4 Nr. 11 UWG einzustufenden § 11d Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Teilsatz 3 RStV. Für den BGH ist die Presseähnlichkeit im Einzelfall zu prüfen. Entscheidend sei, ob das Angebot in der Gesamtheit seiner nichtsendungsbezogenen Beiträge als presseähnlich einzustufen ist, wenn also der Textbestandteil deutlich im Vordergrund stehe. Das OLG Köln erklärte 2016 unter Anwendung der vom BGH vorgegeben Maßstäbe die „Tagesschau-App“ für unzulässig, beschränkte das Urteil aber antragsgemäß auf die streitgegenständliche Version vom 15.6.2011.[184]
5. Schutzbereich und Schranken der Rundfunkfreiheit
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Der Schutzbereich der Rundfunkfreiheit umfasst ein breites Spektrum. Geschützt sind die Beschaffung einer Information und deren Verbreitung, wobei auch die medienspezifischen technischen Vorkehrungen, etwa zur Übertragung von Informationen, erfasst sind.[185] Informationen und Meinungen können durch Nachrichten und politische Kommentare, aber auch durch Fernsehspiele oder Musiksendungen transportiert werden.[186] Geschützt sind neben der Auswahl des Stoffes auch die Art und Weise seiner Darstellung und Sendeform. Das BVerfG berücksichtigt seit der Lebach-Entscheidung[187] die Suggestivwirkung und Reichweite des Fernsehens gegenüber den anderen klassischen Medien Presse, Hörfunk und Film.[188] Die Schranken der Rundfunkfreiheit ergeben sich aus der oben für die Meinungsfreiheit beschriebenen Schrankentrias des Art. 5 Abs. 2 GG.[189]
6. Rundfunkrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
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Die Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG muss vor dem Hintergrund der Rundfunkrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts betrachtet werden. Aus dem knappen Wortlaut der Verfassung hat das Gericht differenzierte und weitgehende Anforderungen an die deutsche Rundfunkordnung abgeleitet, um eine demokratische und vielfältige Rundfunklandschaft zu fördern und damit einen der Demokratie dienenden Beitrag zum Rundfunkrecht zu leisten.[190] Hier finden sich die Grundlagen des dualen Rundfunksystems, Vorgaben für die Grundversorgung, solche für den privaten Rundfunk und die Programmgrundsätze. Zudem wurden die Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Vorgaben für das frühere Rundfunkgebührenfestsetzungsverfahren[191] etabliert.[192]
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1961 setzte sich das BVerfG im 1. Rundfunkurteil[193] mit der Abgrenzung von Verwaltungs- und Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern auseinander. Es formulierte in diesem Zusammenhang Anforderungen an die Rundfunkorganisation zur Sicherung der Meinungsvielfalt und wies den Weg zum rechtlichen Umgang mit der damals bestehenden Frequenzknappheit. Im Ergebnis erhielten die Länder die Kompetenz für den Rundfunk. Zudem wurde die Staatsfreiheit des Rundfunks gefordert,[194] wonach der Staat weder in öffentlich-rechtlicher noch in privater Form Rundfunk betreiben darf.
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Im 2. Rundfunkurteil[195] von 1971 wurde anlässlich der Entscheidung über die Frage nach der Umsatzsteuerpflichtigkeit der Rundfunkgebühr die öffentliche Aufgabe der Rundfunkanstalten definiert und diese wurden weder den gewerblichen noch den freiberuflichen Unternehmen zugeordnet. Im Ergebnis sind öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten eine Art staatsfreie grundrechtsgeschützte Einrichtung des öffentlichen Rechts.[196]
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In der 3. Rundfunkentscheidung[197] zur Konzession der Freien Rundfunk-AG (FRAG) entschied das Gericht 1981 über die Zulässigkeit des privaten Rundfunks und wies der „Dualen Rundfunkordnung“ den Weg. Privatrundfunk ist rechtlich nur auf gesetzlicher Grundlage zulässig. Im dualen System können privater und öffentlich-rechtlicher Rundfunk nebeneinander bestehen. Es müssen aber rechtliche Vorgaben für den privaten Rundfunk gewahrt werden, die insbesondere der Sicherung des Pluralismusgebots dienen. Nach dem FRAG-Urteil wurden die ersten Landesmediengesetze erlassen.
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Es schloss sich 1986 mit dem sog. Niedersachsen-Urteil[198] die 4. Rundfunkentscheidung an. Hier ging es um Regelungen im Niedersächsischen Landesmediengesetz für private Rundfunkveranstalter, vor allem im Hinblick auf die Vielfalts- und Pluralitätssicherung. Aufgrund der Werbefinanzierung legte das Gericht geringere programmliche Anforderungen an private Rundfunkveranstalter fest. Allerdings wurde dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Grundversorgung auferlegt bzw. zugestanden. Diese ist nur gewährleistet, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Aufgabe einer umfassenden Information der Bevölkerung in vollem Umfang erfüllt. Daher ist es hinzunehmen, dass an die privaten Veranstalter geringere Programmanforderungen gestellt werden.