Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn
befasste sich 1999[217] mit dem Recht des Gesetzgebers, in die Organisationsstruktur der Rundfunkanstalten unter Wahrung der Programmfreiheit einzugreifen und in der Cicero-Entscheidung stärkte das Gericht 2007 die Pressefreiheit gegenüber staatlichen Durchsuchungsrechten.[218] In der Esra-Entscheidung aus dem Jahr 2007 ging es um das Verhältnis der Kunstfreiheit zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht im Hinblick auf die Intimsphäre.[219] Ferner ist im März 2014 die Entscheidung des BVerfG zur personellen Besetzung der Aufsichtsgremien des ZDF ergangen.[220] Darin sind die maßgeblichen Regelungen zur Zusammensetzung von Fernseh- und Verwaltungsrat mangels hinreichender Gewährleistung der Staatsferne für verfassungswidrig erklärt worden. Der in Umsetzung dieses Urteils am 1.1.2016 in Kraft getretene ZDF-Staatsvertrag[221] regelt eine Verkleinerung des ZDF-Fernsehrates von 77 auf 60 Sitze.[222] Dort gehen 20 statt der bisherigen 34 Sitze an Parteivertreter. Die Landesregierungen der beteiligten Länder entsenden hierfür je einen Vertreter, § 21 S. 1 lit. a ZDF-StV; darüber hinaus werden je zwei Vertreter von Bund und Kommunen gestellt, § 21 Abs. 1 S. 1 lit. b, c ZDF-StV. Zudem werden 24 Vertreter von Verbänden und Organisationen gesandt, § 21 Abs. 1 S. 1 lit. d–p ZDF-StV), 16 Sitze werden von Vertretern aus den Ländern zugeordneten gesellschaftlichen Bereichen entsendet, § 21 Abs. 1 S. 1 lit. q ZDF-StV.[223] Für den ZDF-Verwaltungsrat gilt: Nach § 24 Abs. 1 ZDF-StV besteht der Verwaltungsrat aus zwölf Mitgliedern, nämlich vier Vertretern der Länder, die von den Ministerpräsidenten gemeinsam berufen und acht weiteren Mitgliedern, die vom Fernsehrat mit einer Mehrheit von drei Fünfteln seiner gesetzlichen Mitglieder gewählt werden. Nicht wählbar sind die Mitglieder des Fernsehrates nach § 21 Abs. 1 S. 1 lit. a) bis c) ZDF-StV. Umgesetzt wird dies ab Beginn der nächsten Amtsperiode im Sommer 2017.[224]
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Ebenfalls vor einer Novellierung steht der MDR-Staatsvertrag.[225] Anhängig sind zudem Verfassungsbeschwerden gegen den Rundfunkbeitrag.[226] Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht im Januar 2017 entschieden bzw. klargestellt, dass der Rundfunkbeitrag pro Wohnung, insbesondere also auch für Zweitwohnungen, erhoben wird, so dass ein Nutzer mit mehreren Wohnungen den Beitrag mehrfach zu entrichten hat.[227]
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Für das BVerfG steht eine Entscheidung zum sog. Recht auf Vergessen werden an, das der EuGH in seiner Entscheidung Google Spain aus dem Jahr 2014 entwickelt hat[228] und das in Art. 17 DSGVO aufgegriffen und ausgedehnt wurde. In dem in Karlsruhe anhängigen Verfahren macht ein verurteilter Mörder den Anspruch darauf geltend, seinen Namen in digitalen Pressearchiven zu anonymisieren. Über seinen im Jahr 1981 begangenen Doppelmord hatte unter anderem der Spiegel berichtet und die damaligen Artikel sind im Online-Archiv abrufbar. Der BGH hat im Jahr 2012,[229] also vor der Entscheidung des EuGH, entschieden, es bestehe ein „anerkennenswertes Interesse der Öffentlichkeit“ daran, zeitgeschichtliche Ereignisse wie dieses unverändert recherchieren zu können. Hiergegen wendet sich der Betroffene nunmehr mit einer Verfassungsbeschwerde beim BVerfG.[230] Im Kern geht es um die Frage, ob es nach Ablauf einer angemessenen Zeit einen „Änderungsanspruch“ gegenüber Presseunternehmen geben kann.[231] Würde das BVerfG dem nachkommen, so stünde nicht nur die Vollständigkeit der digitalen Pressearchive als digitales historisches Archiv in Frage. Es müsste auch die Frage beantwortet werden, ob das Recht auf Vergessen werden sich auch auf körperlich abgelegte Inhalte von Pressearchiven erstreckt. Aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich nur, dass unter bestimmten Voraussetzungen eine Auffindbarkeit in Suchmaschinen unterbunden werden muss. Art. 17 DSGVO hat diesen Anspruch auf Kopien und Replikanten von Online-Inhalten erstreckt.
7. Institutionelle Garantien
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Der Staat spielt bei der Schaffung von Medienangeboten im Rahmen des institutionellen Medienrechts eine besondere Rolle. Art. 5 Abs. 1 GG gewährt neben den geschilderten individuellen Rechten auch die sich auf Massenmedien beziehenden Freiheiten, deren rechtlichen Rahmen der Gesetzgeber durch konkrete Regelungen auszugestalten hat, wenn die Verankerung im Grundgesetz alleine für ein Funktionieren des jeweiligen Mediums aus Gründen des Demokratiegebots nicht ausreicht. Der Grund hierfür liegt in der „schlechthin konstituierenden“ Bedeutung,[232] vor allem von Fernsehen, Radio und Presse für die freie Meinungsbildung[233] und die Demokratie[234] insgesamt. Die institutionelle Medienfreiheit sichert neben der auf die freie Presse und auf einen funktionierenden Rundfunk bezogenen Einrichtungsgarantie auch den Anspruch für die an Massenmedien Mitwirkenden, sich auf die Kommunikationsfreiheit zu berufen.[235] Die Anspruchsberechtigten des institutionellen Medienrechts unterliegen keinen anderen Schranken als den im individuellen Medienrecht geltenden i.S.v. Art. 5 Abs. 2 GG. Gesichert wird die institutionelle Medienfreiheit durch interne Kontrollmechanismen, wie die programmlichen Vorgaben in § 41 RStV oder die standesrechtlichen Sorgfaltspflichten der Presse, deren Überwachung durch den Deutschen Presserat erfolgt.[236] Neben Art. 5 GG sind auch die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG und die Eigentumsfreiheit aus Art. 14 GG elementar für das Wirken und den Bestand der freien Medienlandschaft. Durch diese Grundrechte wird zum einen ein freies berufliches Wirken ermöglicht und zum anderen der Schutz dessen gewährleistet, was dieses Wirken hervorbringt. Das Urheberrecht und das Presseleistungsschutzrecht sind grundlegend für die Finanzierbarkeit einer freien, staatsfernen Presse.[237]
8. Dienende und ausgestaltungsbedürftige Rundfunkfreiheit
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Nach der Rspr. des BVerfG ist die Rundfunkfreiheit durch strukturelle Besonderheiten gekennzeichnet. Sie dient der freien, individuellen und öffentlichen Meinungsbildung und stellt daher in erster Linie ein drittnütziges Freiheitsrecht dar. Zugleich ist sie ausgestaltungsbedürftige Grundvoraussetzung für eine funktionsfähige Demokratie.[238] Insoweit unterscheidet sich die Rundfunkfreiheit von anderen Grundrechten. Diese gewähren regelmäßig Freiheiten zur Selbstverwirklichung des Einzelnen und schützen subjektiv-rechtliche, individuelle Interessen.
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Die Rundfunkfreiheit wird insofern auch als sog. dienende Freiheit[239] verstanden.[240] Als solche ist sie dadurch gekennzeichnet, dass sie grundrechtlich verbürgte Befugnisse im Interesse Dritter vor dem Zwang und der Intervention des Staates schützt.[241] Sie dient, wenn man so will, der freien, individuellen und öffentlichen Meinungsbildung und zwar in einem umfassenden Sinne, der nicht bloß auf Berichterstattung oder Vermittlung politischer Meinungen reduziert ist. Die Funktion des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG beschränkt sich aufgrund dieser besonderen Eigenschaft nicht auf die Abwehr staatlicher Einflussnahme, sondern erfordert es, eine positive Ordnung zu schaffen, in der die Meinungsvielfalt gewährleistet wird. Zudem muss sichergestellt werden, dass der Rundfunk nicht dem Staat oder gesellschaftlichen Gruppen ausgeliefert wird. Mit dieser Rspr, vertritt das BVerfG einen vermittelnden Ansatz zwischen den widerstreitenden Positionen, die die Rundfunkfreiheit teils als rein subjektiv[242] und teils als rein objektiv begreifen.[243] Die subjektive Betrachtung stellt im Wesentlichen auf den abwehrrechtlichen Charakter[244] der Gewährleistung zugunsten des Rundfunkveranstalters gegen Eingriffe in die Programmautonomie ab, während die objektivrechtliche Sichtweise insbesondere den staatlichen Schutzauftrag mit den Stichworten institutionelle Garantien des Rundfunks und Finanzgewährleistungsanspruch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den Vordergrund stellt.
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Für das BVerfG ist die Rundfunkfreiheit in ihren subjektiven und objektiven Komponenten ausgestaltungsbedürftig und darf nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen werden. Vielmehr muss die Informationsfreiheit des Bürgers durch Ausgewogenheit und Vielfältigkeit des Gesamtangebotes des Rundfunks gewährleistet und positiv geregelt werden. Neben der Ausgewogenheit kommt es insbesondere auf Neutralität und Tendenzfreiheit[245] an. Die inländischen Programme müssen in ihrer Gesamtheit der bestehenden Meinungsvielfalt Rechnung tragen und ihr im Wesentlichen entsprechen. Zudem sind Vorkehrungen dagegen zu treffen, dass der Rundfunk einzelnen gesellschaftlichen Gruppen ausgeliefert wird. Alle in Betracht kommenden Kräfte müssen im Gesamtprogramm zu Wort kommen können.[246] Diese Ausgestaltungspflicht ist „nicht durch den Wegfall der durch die Knappheit von Sendefrequenzen bedingten Sondersituation entbehrlich geworden.