Handbuch IT-Outsourcing. Joachim Schrey
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Eine Unternehmenskultur besteht aus sichtbaren (z.B. Corporate Design) und nicht sichtbaren Elementen (Unternehmensvisionen). Für den Begriff der Unternehmenskultur gibt es unzählige Definitionen, die fast alle auf soziologischen, verhaltenswissenschaftlichen und kulturhistorischen Grundlagen aufbauen. So wird in der Literatur beispielsweise Kultur als „sämtliche kollektiv geteilten, impliziten oder expliziten Verhaltensnormen, Verhaltensmuster, Verhaltensäußerungen und Verhaltensresultate, die von den Mitgliedern einer sozialen Gruppe erlernt und mittels Symbolen von Generation zu Generation weitervererbt werden“ definiert. Diese Verhaltensmuster bilden „erst die Grundlage für den inneren und äußeren Zusammenhalt und damit die Handlungsfähigkeit der Belegschaft.[249]
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Jede Übernahme führt dazu, dass zwei autonome Unternehmenskulturen aufeinandertreffen. Beim Outsourcing liegt zusätzlich noch die Besonderheit vor, dass das übernommene Personal durch seine Leistungserbringung auch nach Übernahme durch den Provider eine gewisse Nähe zur Unternehmenskultur des Kunden hat. Diese weiterhin bestehende Nähe zur Unternehmenskultur des Kunden erschwert somit zusätzlich die Integration in die Unternehmenskultur des Providers.
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Die Ausprägung der jeweils anderen Kultur wird dabei von den Mitarbeitern meist zunächst als „externer Einfluss“ empfunden und häufig – bewusst oder unbewusst – als Störfaktor abgelehnt. So empfinden in der Regel die Mitarbeiter des größeren Unternehmens bei einem Merger die eigene Kultur als überlegen.[250]
(bb) Personalstrategie
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Abgeleitet von den identifizierten Unternehmenskulturen der beteiligten Unternehmen muss vom Provider ggf. mit Unterstützung des Kunden eine Personalstrategie entwickelt werden. Hierzu ist es notwendig, dass die Ergebnisse der HR-Due Diligence durch individuelle Personalgespräche verdichtet werden. Aufbauend auf den Ergebnissen der HR-Due Diligence und der individuellen Personalgespräche lässt sich eine Personalstrategie entwickeln. Bei der Entwicklung der Personalstrategie nach einer Integration dominieren zwei Aspekte nämlich Kompetenzmanagement und Kulturmanagement.
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Diese bilden die Voraussetzung dafür, dass Optimierungspotenziale genutzt und die „Human Resources“ konsequent und effizient zur Erreichung der Unternehmensziele eingesetzt werden. Hauptziel des Kompetenzmanagements sind optimale Stellenbesetzungen – und zwar sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Die Grundlage dafür bildet eine systematische Erfassung und Weiterentwicklung der Mitarbeiterkompetenzen und -potenziale. Diese sind messbar und beeinflussbar. Schwieriger gestaltet sich dieser Prozess beim Kulturmanagement, denn die Unternehmenskultur lässt sich nicht so einfach beeinflussen, steuern oder gar verordnen. Die Herausforderung des Kulturmanagements liegt darin, Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich die Stärken des Unternehmens mit den Stärken der Mitarbeiter und den gesellschaftlichen Anforderungen in Einklang befinden.[251] Hierzu zählen 4 Hauptanforderungen an HR-Professionals:[252]
– | Strategic Partner der Unternehmensleitung |
– | Administrative Expert für HR-Geschäftsprozesse |
– | Employee Champion in Bezug auf Bedürfnisse der Mitarbeiter |
– | Change Agent für Veränderungsprozesse |
(4) Entwicklungen von Service-Gesellschaften
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Auf der anderen Seite strebt der Provider häufig gar nicht danach, das ganz übernommene Joint Venture oder bei der Direktübernahme das Spin-off des Kunden in seine Konzernmutter aufzunehmen. Vielmehr ist der Provider daran interessiert, dass ehemalige Joint Venture bzw. das ehemalige Spin-off als eigene Service-Gesellschaft bzw. Service-Tochter agieren zulassen. Dies liegt z.T. darin begründet, dass sich eine eher kleine Service-Gesellschaft besser auf die Anforderungen des Mittelstandes ausrichten kann als ein globaler Provider. Andererseits herrscht in der Service-Gesellschaft meist ein anderer Haustarif für die Tarif-Angestellten, mit entsprechend geringerer Vergütungsstruktur als in der Muttergesellschaft des Providers.
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Siemens IT Solution und Services (heute Atos) verfügt auf dem deutschen Markt (Stand 2010) über sechs solcher Service-Gesellschaften, wobei an einzelnen Service-Gesellschaften der jeweilige Kunde noch Anteile hält:
– | Bibis GmbH |
– | HanseCom GmbH |
– | Preussag Systemhaus GmbH |
– | RAG Informatik |
– | SBI Jena GmbH |
– | Sinius GmbH |
– | WIWERTIS GmbH |
– | SBS Management GmbH |
– | Mobile life |
– | Teccon |
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Z.T. kann es auch vorkommen, dass die Service-Gesellschaften in sog. Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften (sog. „BQG“) umstrukturiert werden.[253] In diesen BQG können mittels der Sozialplanmittel und anderer Finanzierungsmöglichkeiten (z.B. Struktur-Kurzarbeitergeld) Weiterqualifizierungen der betroffenen Arbeitnehmer für den Arbeitsmarkt aus der Angestelltensituation heraus betrieben. Ziel der sog. Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften (BQG) ist es, im Auftrag von personalabbauenden Unternehmen wie dem ehemaligen Joint Venture neue Betriebseinheiten zu gründen, in denen strukturelle Kurzarbeit durchgeführt wird und zugleich geeignete Qualifizierungs-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen angeboten werden. In der Regel bestehen diese BQG für eine Zeit von 18–24 Monaten und werden dann liquidiert.[254]
Abb. 12:
Integration
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Bei einigen Providern kommt es nach einer gewissen Zeit auch zu einer Konsolidierung der einzelnen Service-Gesellschaften untereinander. Bei der IBM Deutschland GmbH bzw. bei der IBM Global Services, die eine solche Vorgehensweise früher präferierte, führte diese Vorgehensweise aber dazu, dass IBM auf dem deutschen Markt eine größere Anzahl von Joint Ventures und IT-Service-Gesellschaften betrieb. Da IBM für diese Töchter und Beteiligungen erhebliche Aufwände betreiben musste, hat sich die IBM-Leitung Ende 2002 entschlossen, diese Töchter und Beteiligungen (im Rahmen des Möglichen) zu konsolidieren und nur noch zwei Tochtergesellschaften zu betreiben.[255]
b) Strategisches Outsourcing als M&A-Transaktion
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Wie bereits oben erkennbar, bedient sich ein strategisches Outsourcing sehr viele Elemente einer M&A-Transaktion.