Das Verhältnis des Vermögensnachteils bei der Untreue (§ 266 StGB) zum Vermögensschaden beim Betrug (§ 263 StGB) unter besonderer Berücksichtigung des Gefährdungsschadens. Steffen Evers
WiKG) in das StGB integrierten (z.B. §§ 264, 264a, 265b, 266a, 266b, 298 StGB) oder in Sondergesetzen geregelten (z.B. BörsG, UWG) wirtschaftsstrafrechtlichen Tatbestände, die neben einer Häufung von Blanketttatbeständen, Sonderdelikten, gesetzlichen Vermutungen sowie Auffang- und Aufgreiftatbeständen eine Vielzahl von abstrakten Gefährdungsdelikten enthalten. Diese zeichnen sich durch die Kriminalisierung einer als sozialschädlich empfundenen Handlung unabhängig vom Eintritt irgendeines Erfolges aus und verlagern die Strafbarkeit folglich in ein Stadium im Vorfeld der eigentlichen Rechtsgutsverletzung.
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Legitimiert wird diese Vorverlagerung durch den Verweis auf den Schutz überindividueller, vermeintlich dem Schutz der Allgemeinheit dienender Rechtsgüter wie die Rechtspflege, den Beweisverkehr, den Preisbildungsmechanismus bei Ausschreibungen, das Kreditwesen oder andere Institutionen. Weiteres Argument ist gerade im Wirtschaftsstrafrecht häufig die Notwendigkeit der Prävention, da es dort häufig um Summen in Millionenhöhe geht, welche durch Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft verschoben, erschlichen oder „veruntreut“ würden. Der Staat könne dann das Abwarten eines Erfolgseintritts nicht hinnehmen, sondern müsse bereits präventiv mit Hilfe des Strafrechts vorgehen. Zusätzlich wird dadurch der Ruf der Bevölkerung nach Bestrafung, insbesondere in den medienwirksamen Fällen der Wirtschaftskriminalität befriedet.
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Auch in der Rechtsprechung ist eine Tendenz zur Vorverlagerung der Strafbarkeit durch ausufernde Gesetzesanwendung festzustellen. Straftatbestände werden weit über ihren Anwendungsbereich hinaus ausgelegt, um möglichst im Vorfeld der eigentlichen Deliktsverwirklichung Bestrafungen zu ermöglichen. Dabei werden nicht selten eigentlich als Erfolgsdelikte ausgestaltete Delikte stillschweigend in reine Tätigkeitsdelikte verformt.
Teil 1 Einleitung › B. Das Wirtschaftsstrafrecht als Feld einer Richtungsentscheidung › I. Die Untreue als das klassische Wirtschaftsdelikt unserer Zeit
I. Die Untreue als das klassische Wirtschaftsdelikt unserer Zeit
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Besonders deutlich werden Zustand und Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts im Tatbestand der Untreue als dem „typischen Wirtschaftsverbrechen unserer Zeit“[2].[3] Ihr wird infolge der sehr weiten Tatbestandsformulierung die Rolle einer immer passenden[4]„Allzweckwaffe“[5] bei der Ahndung von Unregelmäßigkeiten in der Wirtschaft angetragen. Hinzu kommt eine ebenfalls sehr weite Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale. Daher werden Zweifel an ihrer Verfassungsgemäßheit laut[6] und in fast jeder Veröffentlichung zur Untreue die von Hellmuth Mayer 1954 getätigte Äußerung zitiert,[7] dass „sofern nicht einer der klassischen alten Fälle der Untreue vorliegt […] kein Gericht und keine Anklagebehörde [weiß], ob § 266 [StGB] vorliegt oder nicht.“[8]
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Durch ihre Flexibilität und Offenheit wird die Untreue zum Regulierungsinstrument in der Wirtschaft. Durch sie werden stetig neue Strafbarkeitsbereiche erschlossen, neue Fallgruppen gebildet. Beispiele sind die Parteienuntreue[9], die Haushaltsuntreue[10], die Untreue durch unordentliche Buchführung[11], durch Kick-Back-Zahlungen[12], durch das Bilden von sog. schwarzen Kassen[13], um nur einige Bereiche zu nennen. Gerade in den Fällen, in denen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Verdacht stehen, gegen vermögensrelevante Regeln verstoßen zu haben, ist man schnell mit der Untreue bei der Hand, um Handlungsbereitschaft zu demonstrieren und dem alten Vorwurf zuvor zu kommen, die Kleinen zu hängen, die Großen aber laufen zu lassen. Die öffentliche Meinung wird dabei zusätzlich durch die fälschliche Bezeichnung als „Veruntreuung“ beeinflusst, die suggeriert, es ginge um persönliche Bereicherung.[14] Dies ist aber nur selten der Fall. In der Regel handelt es sich um Fälle, in denen angestellte Wirtschaftsakteure versuchen, für ihre Arbeitgeber Gewinne zu erwirtschaften. Gelingt dies nicht und sind Verluste die Folge, wird schnell von Untreue gesprochen; veruntreut, d.h. in die eigene Tasche gewirtschaftet, wurde aber nicht.
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Neben einem empirisch feststellbaren Anstieg der Anzahl der Untreueverfahren[15] ist auch die Bedeutung der Untreue in der wissenschaftlichen Diskussion um ein Vielfaches gestiegen.[16] Auch dort hat die Untreue seit Jahren „Hochkonjunktur“[17] bzw. ist eine „Untreuemode“[18] entstanden.[19]
Teil 1 Einleitung › B. Das Wirtschaftsstrafrecht als Feld einer Richtungsentscheidung › II. Das Verhältnis von Vermögensnachteil und Vermögensschaden als Ansatzpunkt einer Rekonturierung des Wirtschaftsstrafrechts
II. Das Verhältnis von Vermögensnachteil und Vermögensschaden als Ansatzpunkt einer Rekonturierung des Wirtschaftsstrafrechts
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Die vorliegende Untersuchung reiht sich in die Bandbreite der Publikationen zur Untreue ein. Sie versteht sich allerdings nicht als abstrakte Darstellung der Unbestimmtheit und Weite des Tatbestandes, sondern greift einen wesentlichen Teilaspekt der Problematik heraus und versucht diesen umfassend zu beleuchten; das Verhältnis des Vermögensnachteils als tatbestandlichem Erfolg des Untreuetatbestandes (§ 266 StGB) zum Merkmal des Vermögensschadens, dem tatbestandlichen Erfolg des Betruges (§ 263 StGB) bzw. umgekehrt das Verhältnis des Begriffs des Vermögensschadens zum Begriff des Vermögensnachteils.
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Dieses Thema bietet sich gleich aus mehreren Gründen an. Zum einen können gleich beide Kerntatbestände des im StGB geregelten Wirtschaftsstrafrechts[20] hinsichtlich ihrer tatbestandlichen Erfolge untersucht und, im Falle der identischen Handhabung der Begriffe, eine Systematisierung der Verletzungsdelikte des Wirtschaftsstrafrechts insgesamt erreicht werden. Zum anderen haben gerade die Begriffe Vermögensnachteil und Vermögensschaden im Laufe des vergangenen Jahrhunderts eine immense Ausweitung erfahren, so dass diese einerseits stellvertretend für die Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts insgesamt stehen und andererseits vermeintliche Restriktionsansätze hier den größten Erfolg versprechen. Zuletzt erfreut sich gerade der Bereich der angesprochenen Ausweitung beim Deliktserfolg, die mit dem Begriff der „schadensgleichen Vermögensgefährdung“ in Verbindung steht, in der wissenschaftlichen Diskussion mehr denn je großer Aktualität und Beliebtheit.
Anmerkungen
Zu den verschiedenen Standpunkten zur Begrifflichkeit des Wirtschaftsstrafrechts vgl. Tiedemann Wirtschaftsstrafrecht, Einführung und AT, 27 ff. (§ 1, Rn. 59 ff.).
Schünemann Organuntreue, 7; ders. NStZ 2006, 196.
Vgl. zur Diskussion um die Einordnung der Untreue als Wirtschaftsdelikt Rönnau ZStW 119 (2007), 887, 890 ff.
Ransiek ZStW 116 (2004), 634; Hermann Die Begrenzung der Untreuestrafbarkeit in der Wirtschaft am Beispiel der Bankenuntreue, 7.
Seier Die Untreue (§ 266 StGB) als „Allzweckwaffe“, in: Kohlmann/Nestler/Seier/Walter/Walther/Weigend (Hrsg), Entwicklungen und Probleme des Strafrechts an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, 105; Zerbes Untreue im Rechtsvergleich: Überlegenheit des Missbrauchskonzepts?, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Die Finanzkrise, das Wirtschaftsstrafrecht