Verteidigung von Ausländern. Jens Schmidt
Assoziationsrates EWG-Türkei).
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Gleiches gilt für Familienangehörige – auch den Stiefsohn[4] – eines dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers, wenn diese die Genehmigung zum Zuzug erhalten haben und sich mind. fünf Jahre ordnungsgemäß im Bundesgebiet aufhalten;[5] der Ausweisungsschutz bleibt auch im Falle der Scheidung[6], der Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit[7] oder dem Auszug aus der elterlichen Wohnung im Falle des Eintritt der Volljährigkeit erhalten.[8]
Hinweis
• | Genießt der türkische Arbeitnehmer besonderen Ausweisungsschutz, steht dem die Verbüßung einer Freiheitsstrafe – auch bei sich anschließender Drogentherapie[9] – grundsätzlich nicht entgegen, wenn der Betroffene innerhalb eines angemessenen Zeitraumes nach seiner Haftentlassung wieder eine Beschäftigung findet.[10] Auf diesen Umstand ist der Mandant ausdrücklich hinzuweisen; andernfalls droht der Verlust des besonderen Ausweisungsschutzes. |
• | Wird eine türkische Staatsangehörige zur Eheschließung in ihrer Heimat gezwungen, ist der mit der Zwangsheirat verbundene anschließende Aufenthalt im Ausland nicht geeignet den besonderen Ausweisungsschutz in Fortfall zu bringen.[11] |
• | Die früher heftig umstrittene Frage, ob der durch Art. 28 Abs. 3a der Richtlinie 2004/38/EG vermittelte Ausweisungsschutz (vgl. oben Rn. 96 f.) assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen zugutekommt, d.h. diese einen über Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates-EWG-Türkei hinausgehenden Ausweisungsschutz genießen, hat der EuGH[12] zwischenzeitlich im Sinn der obergerichtliche deutsche Rechtsprechung[13] ablehnend beantwortet. |
• | Ob die Neuregelung des Ausweisungsrechts mit der in Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates-EWG-Türkei vorgesehenen „Stillhalteklausel“ in Konflikt steht, wird die Rechtsprechung zu klären haben; entscheidend ist insoweit, ob das alte oder neue Ausweisungsrecht günstiger ist, wovon im Regelfall auszugehen sein dürfte. Im Einzelfall kann sich jedoch eine komplizierte Prüfung ergeben, in die das alte Recht einbezogen werden muss.[14] |
cc) Besitzer einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU (9a AufenthG)
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Besonders privilegiert sind zukünftig auch Besitzer einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU (§ 9a AufenthG).
b) Gefahrenprognose
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Durch die gesetzliche Regelung in § 53 Abs. 3 AufenthG wird zugleich klar gestellt, das im Fall der dort genannten Personengruppe eine generalpräventiv motivierte Ausweisung ausgeschlossen ist; die Ausweisung kann dann lediglich auf spezialpräventive Erwägungen gestützt werden. Zur Vermeidung von Wiederholungen sei auf die obige Darstellung verwiesen (Rn. 81 ff.).
Anmerkungen
Vgl. zum Ganzen GK-AufenthG-Discher vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 685 ff.
BT-Drucks. 18/4097, S. 49/50.
Vgl. EuGH DVBl. 2003, 451, 453, wonach auch die Tätigkeit im Rahmen einer Berufsausbildung dem Arbeitnehmerbegriff unterfällt.
EuGH NVwZ 2005, 73, 74.
GK-AufenthG-Discher vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 685 m.w.N.
EuGH NVwZ 2011, 483; vgl. auch BVerwG NVwZ 2008, 1020 ff. (Vorlagebeschluss).
BVerwG NVwZ 2007, 1435, 1436.
EuGH NVwZ 2005, 1292, 1294.
EuGH DVBl. 2005, 103, 105; EuGH NVwZ 2005, 1292, 1294.
EuGH NVwZ 2000, 1029, 1031; BVerwG DVBl. 2006, 376/377; BayVGH DVBl. 2002, 56, 58; VGH München NVwZ-RR 2002, 696, 697; OVG Kassel NVwZ-RR 2005, 571; als zeitliche Grenze wird allgemein eine Dauer von sechs Monaten angesehen VGH Mannheim NVwZ-RR 2001, 134, 136; vgl. auch BVerwG NVwZ 2002, 1512 ff.; vgl. auch BVerwG NVwZ 2009, 1162, 1165/1166; OVG Lüneburg DVBl. 2008, 734, wonach der besondere Ausweisungsschutz nicht mehr besteht, wenn der türkische Staatsangehörige im Ausland inhaftiert ist, sofern er das Bundesgebiet mit der Absicht verlassen hat, im Ausland Straftaten zu begehen.
OVG Hamburg NVwZ-RR 2009, 940, 942.
EuGH NVwZ 2012, 422 ff.
BVerwG NVwZ 2010, 392 ff. (Vorlagebeschluss); OVG Lüneburg NVwZ-RR 2006, 287 ff.; OVG Münster NVwZ 2006, 1304 f.; OVG Münster NVwZ 2007, 1445 ff.; OVG Kassel NVwZ-RR 2005, 571 ff.; offengelassen OVG Bremen NVwZ-RR 2010, 127; Dörig Europarecht und deutsches Aufenthaltsrecht, NVwZ 2010, 921, 923; a.A. GK-AufenthG-Discher vor §§ 53 ff. Rn. 688.2 ff.
Vgl. Hofmann-Cziersky-Reis § 53 Rn. 42.
Teil 1 Verteidigung und Ausländerrecht › II. Verteidigungsstrategien zur Vermeidung der Ausweisung › 6. Ausweisungsschutz aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen
6. Ausweisungsschutz aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen
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Ob über die zuvor dargestellten Grundsätze hinaus weiterer Ausweisungsschutz bestehen kann, ist noch ungeklärt. Diskutiert wird beispielsweise ein Ausweisungsschutz für Algerien, Marokko und Tunesien, welcher sich aus dem Europa-Mittelmeer-Abkommen und dem daraus resultierenden Diskriminierungsverbot