Verteidigung von Ausländern. Jens Schmidt
Nebenstrafrecht sollte der Verteidiger daher stets prüfen, ob die verletzte Norm mit den Riten seines ausländischen Mandanten in Einklang steht.
Zudem kann es ratsam sein, einen Antrag auf Einholung eines ethnologischen Sachverständigengutachtens zu stellen, um die im Heimatland des Beschuldigten geltenden Sitten, Gebräuche und Moralvorstellungen zu ermitteln (vgl. Rn. 501).
Anmerkungen
Vgl. LG Köln StV 2012, 603 ff. = MedR 2012, 680 ff. m. Anm. Kreß; Herzberg MedR 2012, 169, 173 ; Putzke MedR 2012, 621, 624; Brocke/Weidling StraFo 2012, 450, 455 f.; siehe auch Jerouschek NStZ 2008, 313 ff.; Rixen NJW 2013, 257 ff.; Bartsch Anmerkung zu LG Köln, StV 2012, 604, 607/608; zur Frage eines möglichen Verstosses gegen Art. 3 Abs. 3 GG aufgrund der abweichenden Regelungen zur Beschneidung von Jungen und Mädchen vgl. Hilgendorf StV 2014, 555, 560 ff.; Renzikowski NJW 2014, 2539, 2540/2541.
BVerfGE 32, 98; vgl. aber auch BVerfGE 23, 127, 132.
Vgl. Schönke-Schröder-Lenckner/Sternberg-Lieben StGB, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 118 m.w.N.
Vgl. AG Balingen NJW 1982, 1006 ff., dass das sog. „Schächten“ von Tieren als gerechtfertigt ansah; vgl. insoweit auch § 4a TierSchG; BVerfG JZ 2002, 500 ff.; BVerfG NJW 2002, 1485; VGH Kassel NVwZ 2004, 893; sowie Kästner JZ 2002, 491 ff; Oebbecke NVwZ 2002, 302 f.; Caspar/Köpernik Religöses DVBl 2009, 361 ff.; vgl. auch BVerwG NVwZ 2007, 461 f., wonach dies auch nach Einführung des Tierschutzes als Staatsziel (Art. 20a GG) unverändert fortgilt.
bb) Art. 31 Abs. 1 GK
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Zu beachten ist weiter Art. 31 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GK); danach kann ein Flüchtling wegen illegaler Einreise oder unrechtmäßigen Aufenthalts nicht bestraft werden, wenn er sich nach der Einreise unverzüglich bei den Behörden meldet und Gründe darlegt, die sein unrechtmäßiges Handeln rechtfertigen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Flüchtling über einen sicheren Drittstaat einreist,[1] jedenfalls dann, wenn im Drittstaat kein „schuldhaft verzögerter Aufenthalt“ vorgelegen hat.[2]
Hinweis
Nach Ansicht des AG München[3] erstreckt sich Art. 31 Abs. 1 GK auch auf die Mittel der illegalen Einreise – z.B. die Verwendung gefälschter Pässe –; das OLG Bamberg[4] folgt dem, schränkt die Anwendung allerdings dahingehend ein, dass die Straffreiheit nur dann eintritt, wenn die Vorlage des Passes im Inland zur Geltendmachung des Asylanspruchs überhaupt erforderlich war. Ungeachtet dieser Einschränkung ist die Vorschrift stets zu prüfen, wenn der Flüchtling anlässlich seiner Einreise weitere Straftaten begeht, wobei die Inanspruchnahme von Schleuserdiensten die Anwendung der Norm nicht grundsätzlich ausschließt[5]; da für die Strafbarkeit des Schleusers eine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat genügt (vgl. unten Rn. 211), kommt es für die Beurteilung dessen Strafbarkeit wesentlich darauf an, ob Art. 31 GK als Rechtfertigungs- oder lediglich Strafaufhebungsgrund qualifiziert wird. Der BGH[6] geht – ohne Begründung – von letzterem aus, was in entsprechenden Konstellationen zur Strafbarkeit des Schleusers führt. Gegen diese Betrachtung spricht der zumindest notstandsähnliche Charakter des Handels sowie die grundrechtlich geschützten Position des Flüchtlings (Art. 16a GG)[7]; auch die Frage nach dem Sinn und Zweck des Strafens darf in diesem Zusammenhang gestellt werden, muss man sich doch vergegenwärtigen das der „Schleuser“ in diesem Falle lediglich hilft dem Flüchtling seine aus Art. 31 GK garantierten Rechte wahrzunehmen.
Wird der neueren Rechtsprechung gefolgt, wonach die Straffreiheit für Begleitdelikte nur eintritt, wenn die Vorlage des Passes im Inland zur Geltendmachung des Asylanspruchs erforderlich war, kommt ein Erlaubnistatbestandsirrtum in Betracht, wenn der Flüchtling von der Notwendigkeit eines Passes ausging; ein Indiz dafür kann insbesondere die Tatsache darstellen, dass der Flüchtling einen nicht unerheblichen Betrag aufwendet, um gefälschte Passpapiere zu erhalten.[8]
Anmerkungen
OLG Celle NVwZ 1987, 533; Erbs/Kohlhaas-Senge § 95 AufenthG Rn. 66 m.w.N.; a.A. Bergmann/Dienelt-Winkelmann § 95 AufenthG Rn. 14.
OLG Stuttgart StV 2011, 164; AG Frankfurt/M StV 2015, 706/707.
AG München StV 1988, 306/307; so auch AG Frankfurt StV 1988, 306; a.A. Erbs/Kohlhaas-Senge § 95 AufenthG Rn. 68 m.w.N.
OLG Bamberg NJW-Spezial 2014, 314.
OLG Stuttgart StV 2011, 164.
BGH NStZ-RR 2015, 184, 186; BGH StV 2016, 107, 109.
Ausführlich El-Ghazi/Fischer-Lescano StV 2015, 386, 388 ff.
El-Ghazi/Fischer-Lescano StV 2015, 386, 391.
b) Verbotsirrtum (§ 17 StGB)
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Die Neigung deutscher Strafverfolgungsorgane, einen Verbotsirrtum als bedeutsam anzusehen, ist in aller Regel gering. Wird dieser nicht von vornherein als indiskutabel abgelehnt, wird dem Verteidiger spätestens im Rahmen der Vermeidbarkeit entgegengehalten, dass es sein Mandant schuldhaft versäumt habe, entsprechenden Rechtsrat einzuholen. Dieses Argument, hinter dem sich nicht zuletzt generalpräventive Erwägungen verbergen,[1] greift jedoch bei ausländischen Beschuldigten deutlich zu kurz. Normunkenntnis ist gerade bei Ausländern weit verbreitet. In hohem Maße plausibel wird dies, wenn man – in Deutschland weitestgehend unbekannte – Verbotsnormen anderer Staaten heranzieht. So ist beispielsweise die Ausübung der Prostitution in den meisten Bundesstaaten der USA immer noch unter Strafe gestellt; in einigen arabischen Ländern wird der Alkoholkonsum hart bestraft; per Anhalter fahren – sog. hitchhiking – ist in weiten Teilen Kanadas nicht erlaubt; gleiches gilt für das „Nacktbaden“, das in vielen Ländern Europas (immer noch) verboten ist;[2] noch weitergehenden Einschränkungen unterliegen schließlich (deutsche) Touristen in den Vereinigten Staaten, wo bereits das Umziehen in der Öffentlichkeit als Erregung öffentlichen Ärgernisses angesehen wird. Die Reihe dieser Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen; zugleich belegt sie, dass gerade „Ausländern“ Normunkenntnis alles andere als fremd ist. Obwohl die Erwartung einer reichen Kasuistik beim Blick in die Kommentarliteratur enttäuscht wird, sollte sich der Verteidiger nicht scheuen, mangelnde Normkenntnis geltend zu machen. Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum wird insbesondere