Handbuch des Aktienrechts. Hans-Peter Schwintowski
reicht ein einfacher satzungsändernder Beschluss aus, denn die Aufhebung erweitert lediglich die Rechte der Aktionäre.[88]
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Die Vinkulierung von Namensaktien ist auch dann möglich, wenn die Namensaktien nicht verbrieft sind und nur gem. §§ 398, 413 BGB übertragen werden können.[89] Die Vinkulierung kann auf der Aktienurkunde durch einen Zusatz kenntlich gemacht werden; erforderlich ist dies jedoch nicht.[90]
2. Kapitel Grundlagen › III. Grundkapital und Aktie › 4. Aktiengattungen
4. Aktiengattungen
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Neben der Unterscheidung zwischen verschiedenen Aktienarten (Inhaber- und Namensaktien)[91] und Aktienformen (Nennbetrags- und Stückaktien)[92] ermöglicht das AktG die Schaffung verschiedener Aktiengattungen.[93] Während Aktien unterschiedlicher Aktienarten und -formen dieselben Rechte gewähren, definiert § 11 S. 2 AktG als eine Aktiengattung diejenigen Aktien, die jeweils gleiche Rechte gewähren, so dass Aktien, die unterschiedliche Rechte gewähren, auch unterschiedlichen Gattungen zuzuordnen sind. Über den Wortlaut des § 11 S. 2 AktG hinaus, können auch abweichende Mitgliedschaftspflichten unterschiedliche Aktiengattungen begründen.[94] Als Beispiele für unterschiedliche Aktiengattungen nennt § 11 S. 1 AktG die unterschiedliche Berücksichtigung bei der Verteilung des Gewinns und des Gesellschaftsvermögens.
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Kein gattungsbegründendes Merkmal ist – ausweislich der Regelung des § 101 Abs. 2 S. 3 AktG – die Gewährung von Entsendungsrechten.[95] Auch nicht gattungsbegründend sind verschiedene Nennbeträge einer Aktie.[96] Dasselbe gilt für vinkulierte Namensaktien,[97] denn die Vinkulierung begründet keine Pflicht des Aktionärs, sondern schränkt lediglich dessen Möglichkeit der freien Übertragbarkeit der Aktie ein. Entsprechendes gilt für Aktien, die zu unterschiedlichen Ausgabebeträgen ausgegeben werden oder bei denen die Einlageschuld als Bar- oder Sacheinlage erbracht wird.[98] Auch durch den Erwerb von eigenen Aktien durch die AG wird keine eigene Aktiengattung geschaffen, obwohl diese der AG nach § 71b AktG keine und damit weniger Rechte vermitteln als andere Aktien.[99] Da Gattungsmerkmale nur solche sind, die den Aktien – vorbehaltlich einer Gattungsänderung – auf Dauer anhaften, reicht der bloße Erwerb durch die AG nicht aus, um eine neue Gattung zu begründen. Umgekehrt ändert sich die Gattung der Aktien auch nicht dadurch, dass die Aktien von der AG wieder veräußert werden.
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Durch die Schaffung verschiedener Aktiengattungen wird es dem Satzungsgeber ermöglicht, Aktien mit unterschiedlichen Rechten oder Pflichten auszustatten. Das prominenteste Beispiel sind die gesondert zu behandelnden Vorzugsaktien ohne Stimmrecht.[100] Daneben sind aber zahlreiche weitere gattungsbegründende Merkmale vorstellbar und aktuell Gegenstand rechtswissenschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Erörterungen.[101]
4.1 Folgen unterschiedlicher Gattungen
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Entscheidet sich die AG für die Schaffung verschiedener Aktiengattungen, hat dies neben dem Umstand, dass die AG insoweit in zulässiger Weise vom Gleichbehandlungsgebot der Aktionäre (§ 53a AktG) abweichen kann,[102] verschiedene weitere Konsequenzen. So ist bei Kapitalerhöhungen gegen Einlage, bei bedingten Kapitalerhöhungen und der Schaffung genehmigten Kapitals ein Sonderbeschluss jeder einzelnen Gattung herbeizuführen (§§ 182 Abs. 2, 193 Abs. 1 S. 3, 202 Abs. 2 S. 4 AktG).[103] Daneben sind – sofern es sich nicht um Kleinstkapitalgesellschaften (§ 267a HGB) handelt, die von den Erleichterungen der §§ 266 Abs. 1 S. 4, 264 Abs. 1 S. 5 HGB Gebrauch machen (§ 152 Abs. 4 S. 1 AktG) – bilanzielle Besonderheiten zu beachten (§§ 152 Abs. 1 S. 2, 160 Abs. 1 Nr. 3 AktG). Auch beim Teilnehmerverzeichnis nach § 129 Abs. 1 S. 2 AktG sind die Gattungen gesondert auszuweisen. Entsprechendes gilt für die Aktienurkunden, den Zeichnungsschein nach § 185 AktG sowie die Bezugserklärung nach § 198 AktG. Auch bei Kapitalherabsetzungen ist ein Sonderbeschluss jeder Aktiengattung nach §§ 222 Abs. 2, 229 Abs. 3, 237 Abs. 2 S. 1 AktG erforderlich. Schließlich muss in der Satzung gem. § 23 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 4 AktG angegeben werden, ob und wie viele Aktien jeder Aktiengattung ausgegeben wurden.
4.2 Grenzen der Gestaltungsfreiheit
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Zu beachten ist bei der Schaffung unterschiedlicher Gattungen lediglich, dass keine unentziehbaren Mitgliedschaftsrechte beeinträchtigt werden. Zu diesen unentziehbaren Mitgliedschaftsrechten[104] zählt nach allgemeinen Regeln das Stimmrecht, wenngleich §§ 139 ff. AktG insoweit Sonderregelungen bereithalten.[105] Ebenso wenig ist es nach § 134 Abs. 1 S. 5 AktG zulässig, eine Aktiengattung zu schaffen, für die ein Höchststimmrecht gelten soll, während die Aktien anderer Gattungen keiner derartigen Beschränkung unterworfen sind.[106] Außerdem ist es nicht möglich, eine Aktiengattung zu schaffen, die den Aktionären kein Bezugsrecht einräumt.[107] Entsprechendes gilt für das Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung,[108] das Rederecht,[109] das Auskunftsrecht[110] und das Recht eines Aktionärs, Hauptversammlungsbeschlüsse anzufechten.[111]
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Abgesehen von diesen Ausnahmen sind der Phantasie bei der Schaffung verschiedener Aktiengattungen keine Grenzen gesetzt. Es ist insbesondere möglich, eine Aktiengattung zu schaffen, deren Aktien nach § 237 Abs. 6 AktG eingezogen werden können.[112] Damit ist es möglich, Aktien zu schaffen, die mit den im englischen Recht schon lange etablierten redeemable shares jedenfalls zum Teil vergleichbar sind.[113] Soweit erst nach Gründung durch Mehrheitsbeschluss die Ermächtigung zur Zwangseinziehung in die Satzung aufgenommen wird, führt dies automatisch dann zur Schaffung einer neuen Aktiengattung, wenn im Anschluss an die Satzungsänderung durch Kapitalerhöhung neue Aktien geschaffen werden; denn nur diese jungen Aktien können dann ohne Zustimmung des betroffenen Aktionärs eingezogen werden, während die vor der entsprechenden Satzungsermächtigung ausgegebenen Aktien nur mit Zustimmung des betroffenen Aktionärs eingezogen werden können.[114]
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Im Schrifttum wird zudem vielfach die Schaffung sog. Spartenaktien (tracking stocks)[115] als eigene Aktiengattung diskutiert. Obwohl rechtlich grundsätzlich zulässig, kommen diese in der Praxis nur selten vor. Diese Aktiengattung soll wirtschaftlich nur an der Entwicklung einer einzelnen Sparte partizipieren, so dass Gewinne nur insoweit ausgeschüttet werden, als diese durch die jeweilige Sparte erwirtschaftet wurden. Da derartige Spartenaktien sich weit von dem gesetzlichen Leitbild der Aktie entfernen, sind hiermit eine Vielzahl schwieriger Rechtsfragen verbunden, deren höchstrichterliche Klärung noch aussteht.[116] Nur einige der bestehenden Probleme sollen im Folgenden aufgegriffen werden. Zunächst führt die Ausgabe stimmberechtigter Spartenaktien und deren rechtliche Einordnung als Aktiengattung dazu, dass für eine Vielzahl von Kapital- und Umstrukturierungsmaßnahmen Sonderbeschlüsse der Tracking-Stock-Aktionäre erforderlich werden (§§ 182 Abs. 2, 222 Abs. 2 AktG, 65 Abs. 2 UmwG), die mit einer Mehrheit von drei Vierteln zu fassen sind. Auch die Ausgabe stimmrechtsloser Spartenaktien hilft diesem durch die Sonderbeschlüsse bedingten Risiko einer Blockade durch die Spartenaktionäre wegen §§ 141, 179 Abs. 3 AktG nur bedingt ab.[117] Ein weiteres Problem stellt die unterschiedliche Interessenausrichtung der Aktionäre dar. Gewöhnlich haben Aktionäre, auch solche verschiedener Gattungen, ein gleichgerichtetes Interesse an der ökonomischen Entwicklung des Gesamtunternehmens.