Handbuch des Aktienrechts. Hans-Peter Schwintowski
Der Gesetzeswortlaut legt darüber hinaus nahe, dass auch in der darauf folgenden (zweiten) ordentlichen Hauptversammlung noch kein Stimmrecht besteht. Denn bis zur Wirksamkeit des Gewinnverwendungsbeschlusses steht noch nicht fest, ob der aktuelle und der nachzuzahlende Vorzug bedient werden. Da der Gewinnverwendungsbeschluss wiederum nach § 130 Abs. 1 bzw. Abs. 3 AktG erst mit der Beurkundung bzw. Unterzeichnung der Niederschrift wirksam wird, nimmt die ehemals vorherrschende Ansicht an, dass das Stimmrecht grundsätzlich erst in der auf die zweite ordentliche HV folgenden HV besteht.[162] Da indessen HV-Beschlüsse im Verhältnis der Aktionäre zueinander bereits mit der Beschlussfassung Bindungswirkung entfalten,[163] hat sich mittlerweile die zutreffende Ansicht im Schrifttum durchgesetzt, den Vorzugsaktionären schon mit der Feststellung des Abstimmungsergebnisses zum Gewinnverwendungsbeschluss durch den Vorsitzenden das Stimmrecht einzuräumen.[164] Die Vorzugsaktionäre können daher bereits an Abstimmungen derselben Hauptversammlung teilnehmen, die nach dieser Feststellung stattfinden.[165]
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Unter bestimmten Voraussetzungen sind Vorzugsaktionäre allerdings schon in der gesamten zweiten ordentlichen HV stimmberechtigt. Ist nämlich der Aufsichtsrat – wie im gesetzlichen Regelfall (§ 172 AktG) – zur Feststellung des Jahresabschlusses berufen und reicht der Bilanzgewinn nicht aus, um den nachzuzahlenden und aktuellen Vorzug vollständig zu bedienen, sind die Vorzugsaktien bereits in der zweiten HV stimmberechtigt; denn es steht – allein aufgrund des fehlenden Gewinns – schon im Zeitpunkt der Feststellung des Jahresabschlusses durch den Aufsichtsrat vor der HV fest, dass der nachzuzahlende und aktuelle Vorzug nicht bedient werden kann.[166] Diese Ausnahme greift allerdings nicht schon dann ein, wenn lediglich die Verwaltung vorschlägt, den nachzuzahlenden und aktuellen Vorzug nicht zu bedienen, der Gewinn aber hierfür ausreichen würde. Denn die Hauptversammlung ist an diesen Vorschlag nicht gebunden und könnte theoretisch anders entscheiden.
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Für einen nicht nachzuzahlenden Vorzug reicht nach § 140 Abs. 2 S. 2 AktG bereits eine einmalige Nicht-Zahlung für das Wiederaufleben des Stimmrechts aus. Die vorgenannten Ausführungen gelten insoweit entsprechend: Das Stimmrecht lebt wieder auf im Zeitpunkt der Feststellung des Abstimmungsergebnisses zum Gewinnverwendungsbeschluss in der (ersten) ordentlichen HV des Jahres, in dem erstmals keine Zahlung erfolgt bzw. im Zeitpunkt der Feststellung des Jahresabschlusses vor dieser HV. Das Stimmrecht erlischt nach § 140 Abs. 2 S. 2 AktG, wenn der Vorzug in einem Jahr vollständig gezahlt ist.
2. Kapitel Grundlagen › III. Grundkapital und Aktie › 5. Form und Inhalt der Aktie
5.1 Historisches gesetzliches Leitbild und Rechtswirklichkeit
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Nach seiner Entstehungsgeschichte hat das AktG die Ausgabe physischer Aktienurkunden an jeden Aktionär vor Augen, obwohl die Ausgabe von Aktien auch nach hergebrachter Rechtslage nicht zwingend erforderlich war, soweit sie nicht von den Aktionären verlangt wurde.[167] Da den Aktionären indessen ein unentziehbarer Anspruch auf Einzelverbriefung zustand, konnten diese die Ausgabe von Aktien in der jeweils kleinsten satzungsmäßig vorgesehenen Stückelung verlangen.[168] Seit Inkrafttreten des Gesetzes für kleine AG und zur Deregulierung des Aktienrechts[169] im Jahre 1994, durch das § 10 Abs. 5 AktG a.F. eingeführt wurde, ist es möglich, den Anspruch auf Einzelverbriefung gänzlich auszuschließen.[170] Hierdurch sollte mit Blick auf das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz[171], welches eine Mindeststückelung von 5 DM vorsah, vermieden werden, dass die Gesellschaften mit zu hohen Druckkosten belastet werden.[172] Von dieser Gesetzesänderung blieb indessen das Recht des Aktionärs, eine Verbriefung seiner Aktien als Sammelurkunde zu verlangen, unberührt.[173] Von der Möglichkeit, den Anspruch auf Einzelverbriefung auszuschließen, machten namentlich größere Publikumsgesellschaften ausgiebig Gebrauch.
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Den nächsten Schritt ging der Gesetzgeber mit dem KonTraG.[174] Hiernach konnte die Satzung über den Ausschluss der Einzelverbriefung hinaus sogar das Recht der Aktionäre ausschließen, die eigenen Aktien in einer Sammelurkunde verbrieft zu bekommen. Allerdings bleibt auch durch diese Gesetzesänderung der Anspruch eines jeden Aktionärs unberührt, die Verbriefung seiner Mitgliedschaft in einer Dauerglobalurkunde zu verlangen.[175] Dass dieser Anspruch grundsätzlich besteht, wird auch von § 10 Abs. 5 AktG vorausgesetzt. Entscheidet sich die AG zu einer solchen Satzungsregelung, kann der Aktionär keine individuelle Verbriefung seiner Anteile – auch nicht durch Mehrfachurkunden – verlangen.[176]
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Die Ausgabe von sog. Dauerglobalurkunden i.S.v. § 9a Abs. 3 S. 2 DepotG ist seither zum absoluten Regelfall geworden.[177] Einige AG haben abweichend hiervon den Verbriefungsanspruch nicht ausgeschlossen, sondern davon abhängig gemacht, dass der Aktionär die Kosten für die Herstellung der Urkunden trägt.[178]
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Soweit der Ausschluss des Verbriefungsrechts – bis auf die Verbriefung in einer Dauerglobalurkunde – nicht in der ursprünglichen Satzung enthalten ist, kann dieser nachträglich mittels Satzungsänderung erfolgen. Für eine solche Satzungsänderung ist nach h.M. nicht die Zustimmung sämtlicher Aktionäre erforderlich,[179] obwohl hierdurch eigentlich in die Rechte jedes Aktionärs eingegriffen wird.[180] Die h.M. stützt dieses Verständnis auf § 10 Abs. 5 AktG, der als Spezialnorm einen Rückgriff auf allgemeine Grundsätze ausschließe.[181]
5.2 Form und Inhalt der Aktie
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Da der Anspruch des Aktionärs auf Verbriefung seiner Mitgliedschaft in einer Dauerglobalurkunde nach wie vor besteht[182] und Formverstöße die Urkunde grundsätzlich unwirksam machen[183] (ohne dass davon freilich die eigentliche Mitgliedschaft beeinträchtigt würde[184]), ist bei der Erstellung der Aktienurkunde genau auf die Einhaltung der entsprechenden Regelungen zu achten. Das AktG regelt insoweit lediglich Teilaspekte der Aktienurkunde.[185]
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Die Form der Aktienurkunde ist im Wesentlichen in § 13 AktG geregelt, der jedoch lediglich verlangt, dass Aktien unterzeichnet sein müssen.[186] Diese Unterzeichnung muss von Vorstandsmitgliedern in vertretungsberechtigter Zahl oder von durch den Vorstand bevollmächtigten Personen vorgenommen werden,[187] wobei eine eigenhändige Namenszeichnung möglich, jedoch nicht erforderlich ist. Auch eine vervielfältigte Namensunterschrift ist ausreichend, solange sie mit Wissen und Wollen des Namensträgers auf die Urkunde gelangt.[188] Zudem kann die Gültigkeit der Unterzeichnung von der Beachtung einer besonderen Form abhängig gemacht werden, wobei diese besondere Form aus der Aktienurkunde ersichtlich sein muss (§ 13 S. 3 AktG).
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Aus dem Erfordernis der Unterzeichnung folgt auch, dass die Aktienurkunde schriftlich abgefasst sein muss, wobei jede Form der schriftlichen Fassung genügt und die Art der Herstellung im Ermessen des Vorstands liegt.[189] Die Aktienurkunde muss nicht in deutscher Sprache abgefasst sein.[190]
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Die Aktienurkunde muss ihren Aussteller, d.h. die AG, erkennen lassen.[191] Daneben muss aus der Aktienurkunde hervorgehen, dass durch sie eine Mitgliedschaft an der ausstellenden AG verbrieft wird.[192] Insoweit ist es absolut üblich, das Wertpapier auch als „Aktie“ zu bezeichnen.[193] Notwendig ist eine solche Bezeichnung allerdings nicht, sofern sich aus der Aktienurkunde ergibt, dass durch diese die Mitgliedschaft verbrieft wird. Nicht zwingend erforderlich,