Handbuch des Aktienrechts. Hans-Peter Schwintowski
kann.
4.5.2 Vorzug
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Der Vorzug i.S.d. §§ 139 ff. AktG kann nach § 139 Abs. 1 S. 2 AktG insbesondere darin bestehen, dass den Vorzugsaktionären bei der Gewinnverteilung eine Vorabdividende in Form eines auf ihre Aktien vorweg entfallenden Gewinnanteils oder aber eine Mehrdividende in Form eines gegenüber den Stammaktionären erhöhten Gewinnanteils gewährt wird. Möglich sind aber auch eine Kombination aus Vorab- und Mehrdividende oder andere Gestaltungen (vgl. Wortlaut des § 139 Abs. 1 S. 2 AktG „insbesondere“).[142] Wird eine Vorabdividende gewährt, steht es bei dem Beschluss über die Gewinnverwendung nicht im Ermessen der Hauptversammlung, die Vorzüge zu bedienen oder nicht. Vielmehr ist zwingend zunächst der Vorzug (und ggf. der nachzuzahlende Vorzug) zu bedienen, bevor Dividenden an die Stammaktionäre ausgeschüttet werden dürfen.[143]
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Dies bedeutet allerdings nicht, dass Vorzugsaktionäre bei der Gewinnverteilung besser zu stellen sind als Stammaktionäre. Es ist namentlich möglich, Vorzugsaktien nur eine – beispielsweise auch geringfügige – Vorabdividende zuzuwenden und sie nach der Verteilung dieses Vorzugs von der restlichen Gewinnverteilung auszuschließen (sog. Höchstdividende).[144] In diesem Fall werden Vorzugsaktionäre nur dann – ausnahmsweise – bei der Gewinnverteilung bevorzugt, wenn nach Zahlung der Vorabdividende für die restlichen Stammaktionäre weniger Gewinn verteilt werden kann als den Vorzugsaktionären als Vorabdividende. Solche Fallgestaltungen finden sich in der Praxis allerdings kaum. Sollen solche Vorzugsaktien mit Höchstdividende geschaffen werden, ist dies eindeutig in der Satzung zum Ausdruck zu bringen.[145]
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In aller Regel wird aber zunächst die Vorabdividende an die Vorzugsaktionäre ausgekehrt und der restliche Gewinn gleichmäßig nach Kapitalanteilen sowohl auf Vorzugs- als auch auf Stammaktionäre verteilt.[146]
4.5.3 Höhe des Vorzugs
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Die Höhe des Vorzugs kann die Satzung frei regeln, solange dieser jederzeit objektiv berechenbar ist.[147] Daher darf die Höhe des Vorzugs nicht mit der Höhe des Bilanzgewinns verknüpft werden.[148] Auf den verteilungsfähigen Gewinn kann als Bezugsgröße also nicht etwa derart abgestellt werden,[149] dass die Vorzugsaktionäre 40 % des verteilungsfähigen Gewinns erhalten sollen. Üblich ist insoweit ein bestimmter Euro-Betrag, der als Vorzug zu zahlen ist. Denkbar wäre allerdings auch, auf eine veränderliche, aber objektiv im Voraus bestimmbare Größe abzustellen wie bspw. dem Produkt aus Basiszinssatz und Nennbetrag.[150]
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Eine Mindestgrenze für die Höhe des Vorzugs sieht das Gesetz nicht vor, so dass es auch möglich ist, dem Aktionär als Vorzug lediglich 0,01 EUR unter Ausschluss bei der restlichen Gewinnverteilung[151] einzuräumen. Das macht deutlich, dass es – entgegen dem gesetzlichen Leitbild – möglich ist, eine Aktiengattung zu schaffen, die dem Aktionär weder Stimmrecht noch nennenswerte finanzielle Vorteile einräumt.[152]
4.5.4 Nachzahlbarkeit
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Der Vorzug kann, muss jedoch nicht mehr zwingend (anders als vor der Aktienrechtsnovelle 2016) nachzahlbar ausgestaltet sein; eine Vorabdividende ist stets nachzuzahlen (anders als andere Arten des Vorzugs[153]), wenn die Satzung nichts anderes bestimmt (§ 139 Abs. 1 S. 3 AktG). Bei einem nachzuzahlenden Vorzug sind sämtliche in der Vergangenheit nicht ausbezahlten Vorzüge nachzuzahlen, wenn der Vorzug in einem Jahr oder mehreren Jahren nicht bedient wird (§ 140 Abs. 2 S. 1 AktG). Nach dem gesetzlichen Normalfall (§ 140 Abs. 3 AktG) handelt es sich bei der Nachzahlbarkeit um kein selbstständiges Recht. Wird also in einem Jahr der Vorzug nicht bedient, hat der Aktionär (noch) keinen – aufschiebend auf den entsprechenden Gewinnverwendungsbeschluss bedingten – Anspruch auf Nachzahlung, so dass beispielsweise bei Abtretung der Anteile der Anspruch auf Nachzahlung unmittelbar bei der Person entsteht, der zum Zeitpunkt des Gewinnverwendungsbeschlusses Aktionär ist.
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Eine Ausgestaltung als selbstständiger schuldrechtlicher Anspruch ist indessen nach § 140 Abs. 3 AktG in der Satzung möglich. Die Art der Ausgestaltung hat Auswirkungen auf die nachträgliche Entziehbarkeit der nachzuzahlenden Vorzüge[154] und die Möglichkeit, isoliert über den – selbstständig ausgestalteten – Anspruch auf Nachzahlung zu verfügen.[155] Auf die Verjährung hat die Ausgestaltung der Nachzahlbarkeit indessen keinen Einfluss, denn als bloß aufschiebend bedingter Anspruch beginnt auch die Verjährung nicht vor Bedingungseintritt, also nicht vor Fassung eines entsprechenden Gewinnverwendungsbeschlusses. Zu verzinsen sind die nachzuzahlenden Vorzüge weder bei selbstständig noch bei unselbstständig ausgestalteter Nachzahlbarkeit.
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Anders als nach früherem Recht ist es seit Inkrafttreten der Aktienrechtsnovelle 2016 mit der Neufassung des § 139 Abs. 1 AktG möglich, stimmrechtslose Vorzugsaktien zu schaffen, deren Nachzahlbarkeit auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt ist.[156] Denn wenn von der Nachzahlbarkeit des Vorzugs sogar vollständig abgesehen werden kann, muss diese erst recht auch bloß beschränkt gewährt werden können.[157] Zulässig sind daher auch beliebige weitere Ausgestaltungen, z.B.: Festlegung derselben Priorität für die Nachzahlung wie für den Vorzug selbst; Begrenzung des Nachzahlungsvorzugs der Höhe nach (abweichend von der Höhe des Vorzugs selbst); Stundung, Befristung oder auflösende Bedingung für die Nachzahlungspflicht etc.[158]
4.5.5 Ausschluss des Stimmrechts – Wiederaufleben
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Vorzugsaktien ohne Stimmrecht gewähren dem Aktionär generell kein Stimmrecht auf der Hauptversammlung der AG. Der Ausschluss des Stimmrechts kann nicht derart eingeschränkt werden, dass Vorzugsaktionäre bei bestimmten, bspw. besonders wichtigen Beschlussgegenständen stimmberechtigt sind,[159] denn das Stimmrecht kann entweder ganz oder gar nicht ausgeschlossen werden. Ebenso wenig ist es möglich, den Vorzugsaktien nur ein geringwertigeres Stimmrecht einzuräumen, da dies der Sache nach die Stammaktien zu Mehrstimmaktien qualifizieren würde.[160]
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Das eigentlich ausgeschlossene Stimmrecht lebt allerdings wieder auf, wenn die den Stimmrechtsausschluss rechtfertigende Vorabdividende nicht ausbezahlt wird. § 140 Abs. 2 S. 1 AktG sieht ein Aufleben des Stimmrechts für einen nachzuzahlenden Vorzug dann vor, wenn der Vorzugsbetrag im Vorjahr nicht (vollständig) und im Folgejahr der nachzuzahlende oder der aktuelle Vorzug nicht (vollständig) gezahlt werden. Diese Regelung entspricht dem gesetzgeberischen Konzept der Vorzugsaktien ohne Stimmrecht: Allein der finanzielle Vorzug rechtfertigt den Ausschluss des Stimmrechts – wird dieser nicht bezahlt, sind die Vorzugsaktien voll stimmberechtigt. Für einen nicht nachzuzahlenden Vorzug lebt das Stimmrecht nach § 140 Abs. 2 S. 2 AktG bereits in demselben Jahr wieder auf, in dem der Vorzug nicht (vollständig) gezahlt wird. Werden ein nachzuzahlender und ein nicht nachzuzahlender Vorzug kombiniert, lebt das Stimmrecht bereits mit dem nicht (vollständig) gezahlten nicht nachzahlbaren Teil auf; es erlischt indes auch bereits wieder in dem Jahr, in dem der nicht nachzahlbare Vorzugsteil ohne Rücksicht auf noch ausstehende Beträge erstmals wieder gezahlt wird.[161]
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Aus dem Gesetzeswortlaut lässt sich allerdings nicht ohne weiteres entnehmen, in welchem Zeitpunkt das Stimmrecht wieder auflebt. Für einen nachzuzahlenden Vorzug ist nach § 140 Abs. 2 S. 1 AktG zunächst klar, dass ein bloß einmaliges Nicht-Bedienen des Vorzugs folgenlos bleibt. Das Wiederaufleben des Stimmrechts