Unternehmenssanierung, eBook. Guido Koch
alle Maßnahmen und Mechanismen eines Unternehmens, die dazu dienen, Risiken zu beeinflussen.[61] Die Unternehmensleitung kann Risiken durch unterschiedliche Maßnahmen abmildern. Sie muss u.a. entscheiden, ob sie ein Risiko
- | in voller Höhe eingeht (Risikoakzeptanz), |
- | vermindert (z.B. indem ein Joint Venture-Partner hinzugezogen wird), |
- | in Teilen überwälzt (z.B. indem eine Versicherung abgeschlossen wird) oder |
- | gänzlich vermeidet (z.B. indem entschieden wird, eine riskante Akquisition nicht durchzuführen oder ein Produkt nicht herzustellen). |
Die Arbeit des Risikomanagementsystems und auch die Arbeitsergebnisse sind angemessen zu dokumentieren. Der Dokumentation kommt besondere Bedeutung zu. Die Interne Revision und später auch der Abschlussprüfer müssen die Angemessenheit der Risikomanagementinstrumente prüfen, können dies aber nur im Abgleich mit einer adäquaten Dokumentation. Zu prüfen ist, ob der Vorstand ein angemessenes Risikomanagementsystem implementiert hat und ob dieses wirksam ist.
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Das Risikomanagementsystem umfasst drei zentrale Elemente: Das Risikofrühwarnsystem, das Risikoüberwachungssystem und das Risikobewältigungssystem. Gesetzlich verpflichtend für AG sind nach § 91 Abs. 2 AktG nur die ersten beiden Bestandteile, die gem. § 317 Abs. 2, 4 HGB sowie § 321 Abs. 4 HGB auch Gegenstand der Abschlussprüfung sind. Die Notwendigkeit, ein Risikobewältigungssystem einzurichten, ergibt sich aus der allgemeinen Sorgfaltspflicht des Vorstands nach § 93 Abs. 1 AktG. Des Weiteren ist Risikomanagement ein kontinuierlicher Risikoerkennungs- und Risikobewertungsprozess, der stets zu entsprechenden Risikobewältigungsentscheidungen führen muss. Ein Risikofrühwarnsystem und ein Risikoüberwachungssystem wären somit ohne ein Risikobewältigungssystem nicht sinnvoll. Gegenstand der drei Elemente ist es, die Einzelrisiken sowie das sich daraus ergebende Gesamtrisiko des Unternehmens kontinuierlich zu ermitteln, zu überwachen und zu bewältigen.
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Eine frühzeitige Krisenerkennung ist für das Unternehmen von großer Bedeutung, da sich der Handlungsspielraum für das Unternehmen in den späteren Krisenphasen verringert (vgl. Rn. 17). Frühwarnsysteme zielen darauf ab, die Krise möglichst schon zu Beginn der latenten Krisenphase (vgl. Rn. 27) zu erkennen.[62] In dieser Phase kann das Unternehmen durch ein präventives Krisenmanagement die Krise abwenden. In einer späteren Phase greifen meist nur noch Maßnahmen des reaktiven Krisenmanagements. Ein Unternehmen, welches lediglich im normalen Geschäftsbetrieb strategisch und langfristig orientiert agieren würde, indem es Chancen unter der Berücksichtigung der mit diesen Chancen verbundenen Risiken ergreifen oder nicht ergreifen würde, wird zum lediglich kurzfristig orientierten Reagieren gezwungen. Gegenüber reaktivem Handeln hat proaktives Handeln den Vorteil, dass z.B. Störungen (vgl. Rn. 15) unmittelbar bei ihrem Auftreten entgegengewirkt wird, um diese zu beseitigen. Störungen und daraus resultierende Krisen sind beim proaktiven Handeln besser beherrschbar.[63]
2.3 Anforderungen an Krisenfrüherkennungssysteme
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Konkrete Vorschriften für die Ausgestaltung des Frühwarnsystems seitens des Gesetzgebers gibt es nicht. Dennoch lassen sich aus dem Anspruch, eine Unternehmenskrise möglichst sicher und frühzeitig zu erkennen, Anforderungen für ein Frühwarnsystem ableiten. Damit ein Frühwarnsystem seine Prognosefunktion erfüllen kann, sollen die hierfür eingesetzten Analyse- bzw. die Früherkennungs-Instrumente die folgenden fünf Anforderungen erfüllen. Ein Früherkennungssystem sollte sich demnach auszeichnen durch:[64]
1. | Objektivität, |
2. | Neutralität, |
3. | Ganzheitlichkeit, |
4. | Frühzeitigkeit und |
5. | Wirtschaftlichkeit. |
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Ad 1. Objektivität: Das Objektivierungsprinzip besagt, dass Analyseverfahren nicht lediglich auf der subjektiven Erfahrung des Analysten basieren sollten, sondern von einem Dritten intersubjektiv nachprüfbar sein müssen. Die Verfahren können beispielsweise durch empirische Untersuchungen objektiviert werden, indem das Verfahren anhand eines ausreichend großen Datensatzes gesunder und kranker, d.h. später insolventer Unternehmen getestet wird.
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Ad 2. Neutralität: Gemäß dem Neutralisierungsprinzip sollten Informationen, die für die Krisenerkennung verwendet werden, nicht durch Dritte beeinflussbar/verfälschbar sein. Die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens verschleiernde Informationen sollten vom Früherkennungssystem erkannt und bereinigt werden. Hierdurch wird gewährleistet, dass die Krise eindeutig erkannt wird und Fehlinterpretationen von möglichen Krisenanzeichen vermieden werden.
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Ad 3. Ganzheitlichkeit: Damit der Analytiker die wirtschaftliche Lage des Unternehmens richtig beurteilen kann, muss er außerdem das Ganzheitlichkeitsprinzip beachten. Es sind die Informationen heranzuziehen, die für eine Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens relevant sind, so dass beim Analyseziel „Ist das Unternehmen existenzgefährdet?“ die wirtschaftliche Lage des Unternehmens vollständig (ganzheitlich) abgedeckt wird.
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Ad 4. Frühzeitigkeit: Für das Unternehmen ist die frühzeitige Erkennung von immenser Bedeutung, weil hierdurch Zeitrahmen und Handlungsspielraum größtmöglich sind, die dem Unternehmen verbleiben, um Maßnahmen zur Krisenabwehr einzuleiten. Die zur Krisenerkennung eingesetzten Instrumente müssen die Krise also mit möglichst großem zeitlichen Vorlauf anzeigen.
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Ad 5. Wirtschaftlichkeit: Der Nutzen einer Information eines Früherkennungsinstruments muss in einem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zum Aufwand für die Informationsbeschaffung des Instruments liegen.
3.1 Überblick
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Im Rahmen des Bottom-up-Ansatzes werden Einzelrisiken identifiziert und zu einem Gesamtrisiko zusammengefasst. In einem Top-Down-Ansatz dagegen wird das gesamte Unternehmen auf der Basis des Jahresabschlusses betrachtet und das Gesamtrisiko ermittelt. Bottom-up-Ansätze werden vor allem für die unternehmensinterne Krisenfrüherkennung verwendet, weil Unternehmensinterne aufgrund ihrer im Vergleich zu Unternehmensexternen besseren Informationsbasis einen besseren Zugang zu den Einzelrisiken des Unternehmens haben. Im Folgenden werden Bottom-up-Ansätze nach Einsatzgebieten differenziert: Es wird zwischen operativen und strategischen Ansätzen unterschieden. Operative Ansätze der Krisenfrüherkennung nutzen überwiegend