Unternehmenssanierung, eBook. Guido Koch
einen kurzfristigeren Planungshorizont. Operative Ansätze nutzen vor allem Informationen, die auch im operativen Management verwendet werden. Operative Früherkennung kann auf einen bestimmten Unternehmensbereich beschränkt sein. Strategische Ansätze zur Krisenfrüherkennung erfassen das gesamte Unternehmen und basieren auf der Wahrnehmung sog. „schwacher Signale“ und sollen langfristig die Existenz des Unternehmens sichern.[65]
3.2.1 Charakteristika von operativen Ansätzen
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Anders als die noch zu beschreibenden strategischen Früherkennungsansätze sind die operativen Ansätze zur Krisenfrüherkennung an ein System, z.B. eine Organisationseinheit des Unternehmens, gebunden. Diese Systeme sind einerseits durch ihre Elemente und andererseits durch die Beziehungen zwischen den Elementen charakterisiert (vgl. Abb. 6).
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Abb. 6: Elemente eines Früherkennungssystems sowie deren Beziehung zueinander[66]
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Abb. 6 zeigt die Elemente eines unternehmensweiten Früherkennungssystems für operative Risiken. Die „Zentrale“ kann beispielsweise die Holding eines Konzerns sein; die Subsysteme können in diesem Fall beispielsweise die unterschiedlichen Tochterunternehmen oder Segmente sein, aber auch die verschiedenen betrieblichen Funktionsbereiche, wie Einkauf, Produktion, Absatz, Rechnungswesen etc. Die einzelnen Subsysteme erhalten im Rahmen ihrer operativen Tätigkeit unternehmensinterne und -externe Daten bzw. Informationen (in Abb. 6 dargestellt durch Pfeile), die von Systemelementen bzw. von außerhalb des Konzerns (die dicke schwarze Linie zeigt die Konzerngrenze) fließen. Entsprechend der bereits erläuterten Idee des Bottom-Up-Ansatzes (vgl. Rn. 85) müssen die Subsysteme im Rahmen eines Risikoscreenings und -monitorings die eingehenden Daten und Informationen dahingehend prüfen, ob diese für das Unternehmen Verlustgefahren (bestandsgefährdende Risiken) darstellen und sie gegen die Chancen abwägen. Überschreitet der ermittelte Erwartungswert des akkumulierten Verlustes einen vom Chief Risk Officer (CRO) festzulegenden Schwellenwert ist der dem Risiko zugrundeliegende Sachverhalt an die Zentrale, also an den CRO bzw. an die Unternehmensleitung oder das konzernweite Risikomanagementsystem, zu berichten.
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Als Elemente eines operativen Frühwarn- bzw. Früherkennungssystems werden in der Abbildung zwei Arten von Elementen unterschieden:
1. | Zentral-Elemente und |
2. | Peripher-Elemente. |
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Ad 1. Die Zentral-Elemente des Systems überprüfen und verarbeiten die von den Peripher-Elementen erhaltenen Informationen zu Krisenfrüherkennungsinformationen. Alle Zentral-Elemente zusammen bilden die Zentrale des Krisenfrüherkennungssystems.
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Ad 2. Die Peripher-Instrumente sollen relevante Ereignisse und Entwicklungen, die latenten Risiken bzw. Chancen, in zuvor definierten Beobachtungsbereichen erkennen, analysieren und bewerten. Weichen die analysierten Daten von den ex ante definierten Grenzwerten ab, müssen die Peripher-Elemente die Zentral-Elemente über solche Abweichungen informieren. Peripher-Elemente können zu Subsystemen, sog. „Sensorenbündeln“, zusammengefasst werden.[67]
3.2.2 Konzept der indikatororientierten Ansätze
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Indikatororientierte Krisenfrüherkennungssysteme sind Informationssysteme, die mit Hilfe von Indikatoren dem Nutzer des Systems Gefahren (z.B. die Existenzgefährdung des Unternehmens) möglichst früh anzeigen. Als Indikatoren dienen für die Gefahr als relevant erachtete Erscheinungen in bestimmten Beobachtungsbereichen bzw. die Veränderung dieser Erscheinungen. Indikatoren können sowohl qualitative als auch quantitative Informationen sein. Eine Frühwarnung wird vom System dann angezeigt, wenn für die Indikatoren ex ante definierte Grenzen über- bzw. unterschritten werden.[68]
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Formal ausgedrückt geht man davon aus, dass eine Funktion existiert, mit der ein Erwartungswert ermittelt werden kann. Der Erwartungswert drückt das Gefahrenpotenzial aus, d.h. die Wahrscheinlichkeit für eine Unternehmenskrise (vgl. Abb. 7).[69]
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Abb. 7: Indikatorfunktion[70]
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Der Aufbau eines indikatororientierten Frühwarnsystems lässt sich anhand von fünf Schritten beschreiben (Abb. 8).
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Abb. 8: Schritte eines indikatororientierten Frühwarnsystems[71]
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1. Schritt: Ermittlung von Beobachtungsbereichen
Eine Unternehmenskrise wird in der Regel nicht nur durch eine Ursache ausgelöst (vgl. Rn. 57). Betrachtet man einzelne Ursachen separat, stellen diese einzelnen Ursachen oft kein Risiko für die Existenz des Unternehmens dar. Das Zusammenwirken mehrerer Ursachen kann indes zu einer Unternehmenskrise führen. Deswegen ist es wichtig, dass man alle Risiken unternehmensübergreifend beobachtet, um abschätzen zu können, ob das Zusammenwirken aller Risiken eine Gefährdung für die Existenz des Unternehmens darstellt. Im ersten Schritt zum Aufbau eines indikatororientierten Frühwarnsystems gilt es, die Beobachtungsbereiche festzulegen, die Ursache von Unternehmenskrisen sein können. Beobachtungsbereiche können sowohl im Unternehmen selbst (interne Beobachtungsbereiche) als auch außerhalb des Unternehmens (externe Beobachtungsbereiche) liegen. Ein interner Beobachtungsbereich ist beispielsweise das Personalwesen. Absatz- und Beschaffungsmärkte sind Beispiele für externe Beobachtungsbereiche.[72]
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2. Schritt: Festlegung von Frühwarnindikatoren je Beobachtungsbereich
Im zweiten Schritt sind für die Beobachtungsbereiche Indikatoren festzulegen. Es lassen sich quantitative und qualitative Indikatoren unterscheiden, wobei operative Frühwarnsysteme vor allem quantitative Indikatoren nutzen (z.B. Anzahl der sog. Bauanfragen bei Bauämtern als Indikator für den Absatz von Haushaltskeramik).