Unternehmenssanierung, eBook. Guido Koch
Wie bereits vorgestellt, nutzen operative Ansätze in erster Linie quantitative Daten und sind auf die Erkennung von tendenziell kurzfristigen Risiken ausgerichtet. Dagegen nutzen strategische Ansätze vor allem qualitative Daten und sind längerfristig ausgerichtet. Diesbezüglich ergänzen sich operative und strategische Ansätze. Sie schließen einander nicht aus. Für eine Integration von operativen und strategischen Ansätzen in einem Risikomanagementsystem spricht ferner, dass sich Indikatoren und schwache Signale häufig nur unscharf trennen lassen. Der Übergang zwischen beiden Ansätzen ist fließend. Sowohl operative als auch strategische Ansätze haben das Ziel, latente Risiken und Chancen frühzeitig zu erkennen.[85] Dem Anwender von Bottom-up-Ansätzen ist also zu empfehlen, einen Ansatz zu wählen, der sowohl strategische als auch operative Risiken berücksichtigt, damit beide Arten von Risiken identifiziert und berücksichtigt werden (können).
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Die Balanced Scorecard ist ein Controllinginstrument, welches quantitative und qualitative Informationen nutzt.[86] Die Balanced Scorecard erfasst sowohl die „harten“ Informationen, die charakteristisch für die operativen Ansätze sind, als auch die „weichen“ Informationen, wodurch sich die strategischen Ansätze auszeichnen. Mit der Balanced Scorecard als operatives Controllinginstrument mit strategischer Ausrichtung[87] können beide Ansätze in ein Instrument integriert werden.
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In einer Balanced Scorecard werden anhand von zu identifizierenden kritischen Erfolgsfaktoren auf der Ebene des Gesamtunternehmens messbare Ziele definiert. Zu diesen Zielen werden Strategien für die obersten Unternehmensebenen (z.B. Leitung der Geschäftsbereiche) entwickelt und aus den Zielen für die darunter liegenden Ebenen lassen sich wiederum Strategien für die hierunter liegenden Unternehmensebenen (z.B. Abteilungen) entwickeln.[88]
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Die Balanced Scorecard umfasst im Regelfall vier Perspektiven, in denen die Strategien und Ziele zur Erfüllung der kritischen Erfolgsfaktoren erfasst werden.
1. | Die Finanzperspektive ist die übergeordnete Perspektive und bildet die wirtschaftlich messbaren Konsequenzen unternehmerischen Handelns ab. Sie liefert den Maßstab für die Ziele der anderen Perspektiven. Beispielsweise wird bei der Whirlpool Cooperation die Erfüllung der Ziele der Finanzperspektive u.a. mittels der Kennzahlen Earnings Per Share, Net Operating Profit und Total Cost Productivity gemessen.[89] |
2. | Die Kundenperspektive bildet die strategischen Ziele bezüglich Kunden- und Marktsegmenten ab. Als Indikator für ein Frühwarnsystem kann hier beispielsweise die Kundenzufriedenheit genutzt werden. Die Kundenzufriedenheit wird innerhalb der Balanced Scorecard als Treiber für die künftigen Ergebniszahlen der Finanzperspektive verstanden. |
3. | Die Prozessperspektive bildet die internen Unternehmensprozesse ab, die für das Erreichen der Kundenziele erforderlich sind. |
4. | Die Lern- und Entwicklungsperspektive bildet die Infrastruktur ab, welche die Grundlage für die drei anderen Perspektiven ist. Indikator dieser Perspektive ist z.B. die Mitarbeiterzufriedenheit.[90] |
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Durch die Herleitung von Ursache-Wirkungs-Beziehungen, die aus dem Herunterbrechen der kritischen Erfolgsfaktoren in Ziele und Strategien resultieren, können die zeitlich nachfolgenden finanziellen Auswirkungen der qualitativen Indikatoren ermittelt werden.
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Die Balanced Scorecard kann so erweitert werden, dass sie auch zur Erkennung von externen strategischen Risiken genutzt werden kann. Hierzu sind die in den Perspektiven formulierten strategischen Ziele durch Risikoindikatoren zu erweitern, wie in Abb. 10 beispielhaft durch die gestrichelten Linien angedeutet.[91] Die Balanced Scorecard könnte um eine weitere, externe Perspektive ergänzt werden, um auch unternehmensexterne Risiken erfassen zu können, die mit den durch die klassische Balanced Scorecard vorgegebenen vier internen Perspektiven nicht abgedeckt werden können.[92]
Abb. 10: Balanced Scorecard als Instrument der Krisenfrüherkennung[93]
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Eine Balanced Scorecard unterstützt durch die Vorgabe von (strategischen) Erfolgsfaktoren die systematische Ermittlung von Beobachtungsbereichen und der darauf basierenden Erfassung von Risiken (und Chancen).[94] Für die Nutzung der Balanced Scorecard als System zur Früherkennung von Unternehmenskrisen spricht ferner, dass hiermit steuerungsrelevante Kennzahlen bzw. Indikatoren genutzt werden, die sich sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die damit verbundenen Risiken eines Unternehmens beziehen und ein möglichst breites und ausgewogenes Spektrum unterschiedlicher Indikatoren (sowohl quantitative als auch qualitative Indikatoren) berücksichtigen. Die in der Balanced Scorecard definierten Treiber können also als Informationen für ein Frühwarnsystem genutzt werden.[95] Die Erweiterung der Balanced Scorecard um Risikoindikatoren würde auch das Risikobewusstsein der Mitarbeiter steigern und die Risikokommunikation im Unternehmen fördern. Beide Aspekte – ein gesteigertes Risikobewusstsein und eine verbesserte Risikokommunikation – steigern die Transparenz der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens.[96]
4. Zwischenfazit
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Strategische und operative Ansätze setzen als Bottom-up-Ansätze bei den Einzelrisiken an. Aber eine Integration beider Ansätze kann nicht gewährleisten, dass sämtliche Risiken des Unternehmens erfasst und richtig zum Gesamtrisiko zusammengefasst werden, weil die Wirkungszusammenhänge nicht für alle Risiken bekannt sind. Das Ganzheitlichkeitsprinzip lässt sich also auch bei einer Integration von operativen und strategischen Ansätzen zur Risikoerkennung nicht vollständig erfüllen. Das gilt immer dann, wenn das Zusammenführen einzelner Risiken zu einem Gesamtrisiko durch den Krisenmanager bzw. CRO die Abhängigkeiten zwischen einzelnen Risiken nicht erkannt bzw. nicht richtig eingeschätzt werden, ob bzw. in welchem Ausmaß sich Risiken verstärken oder kompensieren.
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Der Bottom-up-Ansatz für die Krisenerkennung sollte deswegen durch den Top-down-Ansatz ergänzt werden, um die Gesamtunternehmensperspektive bzw. die Perspektive der Unternehmensleitung mit hoher Sicherheit zu gewährleisten. Die Unternehmensleitung sollte auf diese Weise (auch) die mit dem Bottom-up-Ansatz ermittelten Risikoerwartungswerte plausibilisieren und objektivieren.[97] Ein solcher Top-down-Ansatz für die Krisenfrüherkennung muss sich dabei auf einen Datensatz stützen, der sämtliche finanziellen Transaktionen des Unternehmens erfasst. Der einzige Datensatz, der diese Bedingung weitgehend erfüllt, ist der von jedem Unternehmen aufzustellende Jahresabschluss auf der Basis der bereits im Jahr 1494 entwickelten und weltweit eingesetzten „Doppelten Buchführung“.[98]
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Der Top-down-Ansatz für die Krisenfrüherkennung sollte sich also auf die Jahresabschlussanalyse[99] stützen, zumal die Jahresabschlüsse zumindest für mittlere und große Kapitalgesellschaften durch die Abschlussprüfung in gewissen Grenzen objektiviert sind.
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Der Jahresabschluss umfasst die Dokumentation der finanziellen Auswirkungen aller Aktivitäten des Unternehmens. So werden über die Erfassung der Umsätze