Unternehmenssanierung, eBook. Guido Koch
5.3.4 Künstliche Neuronale Netzanalyse
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Die Künstliche Neuronale Netzanalyse ist eine Technik der Künstlichen Intelligenz.[130] Mit der Künstlichen Neuronalen Netzanalyse können Muster in Datenmengen erkannt werden. Die Mustererkennung kann u.a. dazu eingesetzt werden, Kombinationen von Kennzahlen auf der Basis einer Vielzahl von Jahresabschlüssen von Unternehmen zu ermitteln, die eine Unterscheidung zwischen bestandsfesten und existenzgefährdeten Unternehmen erlauben.[131]
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Das Künstliche Neuronale Netz ist ein Abbild (Modell) des biologischen neuronalen Netzes. Ähnlich wie ein biologisches neuronales Netz besteht auch ein Künstliches Neuronales Netz aus Modellzellen (Neuronen), die in Schichten angeordnet miteinander verbunden sind. Die Verbindungen zwischen den Neuronen im biologischen Netz, die sog. Synapsen, werden im Künstlichen Neuronalen Netz durch Verbindungsgewichte dargestellt. Je stärker ein Verbindungsgewicht ist, desto bedeutender sind die Informationen, die zwischen den verbundenen Neuronen fließen. Abhängig von den vorzugebenden Lernregeln werden diese Gewichte während einer Lernphase durch die „gesammelten Erfahrungen“ beim Training des neuronalen Netzes mit den Kennzahlen von gesunden und kranken Unternehmen modifiziert. Die Lernregeln schreiben dem Netz vor, wie es lernen soll, aus einer bestimmten Eingabe die gewünschte Ausgabe zu erzeugen, z.B. zu ermitteln, ob es sich bei den verarbeiteten Jahresabschlusskennzahlen um solche eines gesunden oder eines kranken Unternehmens handelt.[132]
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Wird die Künstliche Neuronale Netzanalyse zur Ermittlung von Jahresabschlusskennzahlen-Symptom-Mustern zur Erkennung von Unternehmenskrisen eingesetzt, besteht die Netzeingabe aus Kennzahlenausprägungen jener Unternehmen, deren Jahresabschlüsse als Trainings- bzw. als Lern-Stichprobe zufällig ausgewählt wurden. Die Netzausgabe (N-Wert) ist in diesem Fall ein Bonitätsindex. Welche Kennzahlen in den N-Wert mit welchem Gewicht eingehen, lernt das Künstliche Neuronale Netz anhand einer großen Zahl von Jahresabschlussdaten der solventen sowie der später insolvent gewordenen Unternehmen, die in das Netz immer wieder zum Training eingegeben werden. Analysen im Bereich der Früherkennung von Unternehmenskrisen mithilfe von Jahresabschlusskennzahlen haben ergeben, dass Drei-Schichten-Netze mit einer Eingabeschicht, einer versteckten Schicht und einer Ausgabeschicht bei der empirisch-statistischen Jahresabschlussanalyse die besten Klassifikationsergebnisse liefern.[133] Die Neuronen in der Eingabeschicht nehmen die Informationen auf und geben sie weiter. In der versteckten Schicht werden die Informationen verarbeitet und an die Ausgabeschicht weitergeleitet, welche das Ergebnis der Informationsverarbeitung ausgibt (vgl. Abb. 15).
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Abb. 15: Aufbau eines dreischichtigen Künstlichen Neuronalen Netzes[134]
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Der Entwicklungs-Datenbestand an Jahresabschlüssen der Unternehmen wird zur Analyse mittels Künstlicher Neuronaler Netzanalyse in die Trainings-, die Test- und die Validierungsstichprobe aufgeteilt. Anhand der Kennzahlen aus den Jahresabschlüssen der Trainingsstichprobe lernt das Künstliche Neuronale Netz, die relevanten Kennzahlen auszuwählen und zu gewichten. Die Klassifikationsleistung, welche durch die richtige Klassifikation von bestandsfesten bzw. existenzgefährdeten Unternehmen definiert ist, wird an der Teststichprobe überprüft. Die Kennzahlen werden dem Künstlichen Neuronalen Netz so häufig zum Lernen präsentiert, bis sich die Klassifikationsleistung nicht mehr verbessern lässt. Die mit Hilfe der Künstlichen Neuronalen Netzanalyse gefundene und gewichtete Kennzahlenkombination wird an einer dritten Stichprobe, der Validierungsstichprobe, endgültig überprüft.[135]
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Die Künstliche Neuronale Netzanalyse setzt – wie alle mathematisch-statistischen Verfahren – voraus, dass ein umfangreicher Bestand an Jahresabschlüssen gesunder und kranker Unternehmen zur Verfügung steht. Im Vergleich zur Multivariaten Diskriminanzanalyse hat die Künstliche Neuronale Netzanalyse den Vorteil wesentlich schwächerer Anwendungsvoraussetzungen (z.B. müssen die Kennzahlenausprägungen nicht normalverteilt sein). Auch kann mit der Künstlichen Neuronalen Netzanalyse – wie mit der nicht-linearen Diskriminanzanalyse – eine nicht-lineare Trennfunktion ermittelt werden.[136] Ein weiterer Vorteil der Künstlichen Neuronalen Netzanalyse ist, dass neben den quantitativen Daten der Jahreskennzahlen auch qualitative Daten leicht simultan verarbeitet werden können.[137]
5.3.5 Baetge-Bilanz-Rating als modernes Verfahren der Jahresabschlussanalyse
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Ein konkretes Bsp. für ein Künstliches Neuronales Netz ist das Backpropagation-Netz[138] BP-14, welches später in Baetge-Bilanz-Rating (BBR) umbenannt wurde. Das BBR wurde mit Hilfe der künstlichen neuronalen Netzanalyse entwickelt. Für die Entwicklung des BBR standen 11 427 Jahresabschlüsse[139] zur Verfügung, wovon 10 515 Jahresabschlüsse von solventen und 912 Jahresabschlüsse von später insolvent gewordenen Unternehmen stammten.[140] Der Entwicklung des Baetge-Bilanz-Rating lag in der Ausgangssituation ein Kennzahlenkatalog mit 259 teilweise Bilanzpolitik neutralisierenden (kreativen) Kennzahlen zugrunde. Nachdem bei Voranalysen 50 Kennzahlen aufgrund von Hypothesenverstößen eliminiert werden konnten, wurden durch zahlreiche Lern-, Test- und Validierungsphasen und durch den Einsatz diverser Pruning-Methoden jene Kennzahlenkombinationen identifiziert und kombiniert, die eine stabile und sehr wenig fehleranfällige Klassifikation der Unternehmen erlaubt.[141]
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Aus den verbliebenen 209 Kennzahlen hat sich durch das Lernen des Künstlichen Neuronalen Netzes eine Kennzahlenkombination von 14 Kennzahlen als besonders trennfähig erwiesen (vgl. Tab. 1). Durch diese 14 Kennzahlen wurden im Verlaufe des Lernens des Künstlichen Neuronalen Netzes acht Informationsbereiche[142] abgedeckt, welche sich einer der drei Teillagen (Vermögens-, Finanz- und Ertragslage) der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens zuordnen lassen. Die 14 Kennzahlen werden gewichtet und zu einer einzigen Kennzahl, dem N-Wert, aggregiert. Der N-Wert ist ein Maß für die Existenzgefährdung eines Unternehmens.[143]
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Tab. 1: Kennzahlen des BBR[144] | |||
Bezeichnung | Informationsbereich | Teillage | Definition |
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Kapitalbindungsdauer1 | Kapitalbindungsdauer | Vermögenslage | ((Akzepte + Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen) × 360) / Gesamtleistung |
Kapitalbindungsdauer2 | ((Akzepte + Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen) × 360) / Umsatz | ||
Kapitalbindung | Kapitalbindung | (Kfr. Bankverbindlichkeiten + kfr. Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen + Akzepte + kfr. Sonstige Verbindlichkeiten) / Umsatz | |
Fremdkapitalquote |
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