Unternehmenssanierung, eBook. Guido Koch
durch den Jahresabschlussanalytiker vorgenommen, sondern anhand der Auswertung tausender Jahresabschlüsse mit empirisch-statistischen Verfahren. Auf diese Weise lassen sich die typischen Kennzahlenmuster von mehr oder weniger bestandsgefährdeten Unternehmen schon Jahre vor einer Insolvenz aus dem Jahresabschluss des noch als solvent geltenden Unternehmens erkennen.
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Eine große Zahl von Jahresabschlüssen von gesund gebliebenen Unternehmen und von kranken, d.h. von bis zu drei Jahren später insolvent gewordenen Unternehmen bildet die Datenbasis für die Verfahren der modernen Jahresabschlussanalyse. Aus der Datenbasis werden Kennzahlenfunktionen extrahiert, mit deren Hilfe krisenfrüherkennende Kennzahlenmuster die Existenzgefährdung eines Unternehmens frühzeitig, d.h. aus Jahresabschlüssen viele Jahre vor der Insolvenz, anzeigen. Die aus dieser Art der Analysen gewonnenen Kennzahlenfunktionen basieren auf der Identifikation jener Kennzahlenmuster, die später insolvent werdende Unternehmen kennzeichnen. Die auf diese Weise gewonnenen Kennzahlenfunktionen werden auf zur Analyse vorgelegte Jahresabschlüsse von Unternehmen angewandt. Mit der Kennzahlenfunktion wird geprüft, ob und wieweit bei ihnen solche die Insolvenzgefahr anzeigenden Kennzahlenmuster vorliegen. Die modernen Verfahren der Jahresabschlussanalyse weisen im Vergleich zur klassischen Jahresabschlussanalyse eine wesentlich geringere Fehlerwahrscheinlichkeit bei der Klassifikation in bestandsfeste und existenzgefährdete Unternehmen auf.[120]
5.3.2 Multivariate Diskriminanzanalyse
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Die Multivariate Diskriminanzanalyse ist ein Verfahren zur Analyse von Gruppenunterschieden, also im hier interessierenden Fall von Unterschieden zwischen solventen und (von mehr oder weniger) insolvenzgefährdeten Unternehmen. Das Verfahren ermöglicht also, die solventen von den insolvenzgefährdeten Unternehmen anhand von mehreren Merkmalsvariablen, z.B. anhand von den ermittelten (und gewichteten) Jahresabschlusskennzahlen (multivariat) mit nur einem Trennwert (Diskriminanzwert als verdichteter Wert der zusammengefassten Merkmalsvariablen) zu unterscheiden. Ist mithilfe der Multivariaten Diskriminanzanalyse eine sog. Diskriminanzfunktion ermittelt worden, lassen sich Unternehmen, deren Jahresabschlüsse nicht bei der Diskriminanzanalyse verwendet worden sind, gut auf ihre Bestandsfestigkeit beurteilen. Mit dem ermittelten Trennwert der Diskriminanzfunktion können also bestandsfeste von existenzgefährdeten Unternehmen anhand der als relevant ermittelten Jahresabschlusskennzahlen separiert werden.[121]
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Die Entwicklung einer multivariaten Diskriminanzfunktion umfasst fünf Schritte:
1. | Im ersten Schritt wird die Datenbasis, bestehend aus einer Vielzahl von Jahresabschlüssen gesunder und kranker (später insolventer) Unternehmen, per Zufallsauswahl auf zwei Stichproben, nämlich auf die Lernstichprobe und auf die Kontrollstichprobe, verteilt. Die Lernstichprobe dient der Ermittlung der Diskriminanzfunktion. |
2. | Daraufhin wird ein großer Kennzahlenkatalog (unter Einbeziehung der bilanzpolitik-konterkarierenden „intelligenten“ Kennzahlen) auf Basis der Jahresabschlussinformationen definiert. |
3. | Im dritten Schritt wird eine Diskriminanzfunktion ermittelt, d.h. mit der Diskriminanzanalyse wird identifiziert, welche Kennzahlen aus dem ursprünglichen sehr großen Kennzahlenkatalog in welcher Gewichtung die Unternehmen der Lernstichprobe am besten in solvente und insolvenzgefährdete trennen. D.h. mit der Multivariaten Diskriminanzanalyse werden die Kennzahlen ausgewählt, gewichtet und schließlich zu einer Diskriminanzfunktion zusammengefasst (vgl. Abb. 13). |
4. | Im vierten Schritt wird der kritische Trennwert (Cut-off) ermittelt, anhand dessen die Gruppen der solventen und der später insolventen Unternehmen voneinander getrennt werden können. |
5. | Im fünften Schritt wird die Klassifikationsleistung der ermittelten Diskriminanzfunktion an den Datensätzen der Kontrollstichprobe getestet. Die Kontrollstichprobe sollte keine Daten enthalten, die bereits zur Entwicklung der Diskriminanzfunktion verwendet wurden.[122] |
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Abb. 13: Allgemeine Formel zur Berechnung des Diskriminanzwertes[123]
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Die an der Kontrollstichprobe getestete und für gut befundene Diskriminanzfunktion lässt sich dann nutzen, um Unternehmen anhand ihrer Jahresabschlüsse im Hinblick auf ihre Bonität zu beurteilen. Die Verwendung der Multivariaten Diskriminanzfunktion setzt eigentlich voraus, dass die Kennzahlen in der Diskriminanzfunktion normalverteilt, multivariat trennfähig und voneinander unabhängig sind. Ferner müssen die Varianz-Kovarianz-Matrizen der bestandsfesten und der existenzgefährdeten Unternehmen gleich sein.[124] In empirischen Studien von Niehaus, Feidicker und Hüls konnten indes auch dann sehr gute Trennergebnisse zwischen bestandssicheren und existenzgefährdeten Unternehmen erzielt werden, wenn nicht sämtliche dieser Voraussetzungen erfüllt waren.[125]
5.3.3 Logistische Regressionsanalyse
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Die Logistische Regressionsanalyse ist ein mathematisch-statistisches Verfahren zur Bestimmung von Gruppenzugehörigkeitswahrscheinlichkeiten. So kann mit der Logistischen Regressionsanalyse beispielsweise die Wahrscheinlichkeit für die Insolvenz eines Unternehmens in Abhängigkeit von verschiedenen Einflussgrößen (z.B. Jahresabschlusskennzahlen) berechnet werden. Sie ermöglicht – anders als die Multivariate Diskriminanzanalyse – nicht nur, die Einflussgrößen auf eine Unternehmensinsolvenz zu bestimmen und diese Einflussgrößen zu gewichten, vielmehr kann mit Hilfe der Logistischen Regressionsanalyse auch die Eintrittswahrscheinlichkeit für eine Insolvenz bestimmt werden.[126]
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Die Logistische Regressionsanalyse erfolgt in zwei Schritten:
1. | Die latente Variable Z stellt den linearen Zusammenhang zwischen der abhängigen und den unabhängigen Variablen (den Kennzahlenwerten) her. Die latente Variable entsteht aus der Addition der gewichteten Kennzahlenwerte. |
2. | Mit Hilfe der Logistischen Regression kann im zweiten Schritt die Wahrscheinlichkeit für die Insolvenz eines Unternehmens berechnet werden (vgl. Abb. 14).[127] |
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Abb. 14: Insolvenzwahrscheinlichkeit gemäß Logistischer Regressionsanalyse
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Im Vergleich zur Multivariaten Diskriminanzanalyse gilt die Logistische Regressionsanalyse als robuster, weil sie an weniger enge Voraussetzungen gebunden ist (Variablen müssen beispielsweise nicht normalverteilt sein), um gute Klassifikationsleistungen zu erzielen.[128] Weitere Vorteile der Logistischen