Unternehmenssanierung, eBook. Guido Koch
-1,80
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Das BBR erlaubt nicht nur, das Bestandrisiko eines Unternehmens als Ganzes in einem Top-down-Ansatz zu ermitteln, sondern mithilfe der speziell für das BBR entwickelten sog. Fragengeleiteten Ursachenanalyse und der Individuellen Sensitivitätsanalyse ist auch ein Rückschluss auf die möglichen Krisenursachen eines Unternehmens möglich. Die Ursachenanalyse lässt sich mit Hilfe einer Fragenpyramide darstellen (vgl. Abb. 16).
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Abb. 16: Fragengeleitete Jahresabschlussanalyse auf Basis des BBR
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An der Spitze der Fragenpyramide steht der ermittelte N-Wert des analysierten Unternehmens. Auf der ersten Stufe der Abbildung hat sich der Jahresabschlussanalytiker die Frage zu stellen, wie sich das bilanzielle Standing, d.h. der N-Wert eines Unternehmens, über mehrere Jahre entwickelt hat, vor allem wie der Vorjahresvergleich ausfällt. Auf der darunterliegenden zweiten Stufe werden die Informationsbereiche (vgl. Rn. 114 in diesem Kapitel) identifiziert, die am stärksten zur Änderung des N-Wertes beigetragen haben. In der Abb. 16 sind beispielhaft nur die Informationsbereiche „Rentabilität“ und „Verschuldung“ als Hauptursachenkomplexe für die N-Wert-Änderung aufgeführt. Aus der Frage der zweiten Stufe ergibt sich die Frage auf der dritten Stufe: Wie entwickelten sich die zu den als Krisenkennzeichen identifizierten Informationsbereichen gehörigen Kennzahlen des BBR über die Geschäftsjahre? Auf der vierten bzw. fünften Stufe der fragengeleiteten Ursachenanalyse werden die Zähler und Nenner der Kennzahlen in ihre Bestandteile bzw. Jahresabschlusspositionen zerlegt und die Veränderungen der Jahresabschlusspositionen ermittelt. Nach der fünften Stufe der Fragenpyramide sind auf der sechsten Stufe die Gründe für die wesentlichen Veränderungen der einzelnen Jahresabschlusspositionen anhand von betriebswirtschaftlichen Analysen zu suchen.[152]
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Mit einem eigens von Baetge & Partner entwickelten Analysetool, der Individuellen Sensitivitätsanalyse, lässt sich darüber hinaus prozentual ermitteln, welche Änderungen der Jahresabschlusskennzahlen am stärksten zur N-Wert-Verschlechterung oder -Verbesserung beigetragen haben. Die individuelle Sensitivitätsanalyse erlaubt es, den Beitrag der Änderungen der Kennzahlen des BBR auf die Entwicklung des N-Werts eines Unternehmens von einem Jahr auf das folgende Jahr zu untersuchen. Mit der Sensitivitätsanalyse lässt sich ermitteln, welche Kennzahlen sich wie auf die Gesamtrisiko-Änderung (Ausfallwahrscheinlichkeit) ausgewirkt haben. Mit einer betriebswirtschaftlich inhaltlichen Analyse muss dann ermittelt werden, welche Transaktionen bzw. Situationen zu der Änderung der als krisenrelevant ermittelten Kennzahlen und zugehörigen Jahresabschlussposten geführt haben. Die Sensitivitätsanalyse wird anhand des folgenden Beispiels[153] veranschaulicht.
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(a) Beispiel:
Der N-Wert des Beispielunternehmens M verringert sich von Jahr 1 auf Jahr 2 um -1,17 N-Wert-Punkte. Die gesamte N-Wert-Änderung i.H.v. -1,17 N-Wert-Punkten wird als -100 % gesetzt (vgl. die erste Zeile in Abb. 17). Negative N-Wert-Änderungen werden in der Grafik als Balken nach links, positive nach rechts abgetragen. Die Beiträge, der einzelnen Kennzahlen zu der gesamten N-Wert-Änderung von Jahr 1 auf Jahr 2, zeigen die darunter liegenden Säulen. Die Beiträge aller 14 Kennzahlen zur Gesamtänderung addieren sich zu -100 %. Die Kennzahlen sind nach der Höhe ihres Beitrags zur N-Wert-Änderung aufgeführt.
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Abb. 17: Individuelle Sensitivitätsanalyse bzgl. der N-Wert-Änderung von Jahr 1 auf Jahr 2 für das Beispielunternehmen
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Von Jahr 1 auf das Jahr 2 haben die Kapitalstruktur (Eigenkapitalquoten und Fremdkapitalquote) und die Kapitalbindung den größten Einfluss auf die Verschlechterung des N-Werts des Beispielunternehmens M. Die Verringerung der Eigenkapitalquoten allein erklärt bereits über 57 % der N-Wert-Änderung (32,81 % + 24,56 %). Etwa 38 % der N-Wert-Änderung sind auf die Kapitalbindung zurückzuführen.
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Dem Vorgehen bei der Fragengeleiteten Ursachenanalyse entsprechend, sind nach der Ermittlung der wesentlichen Einflussfaktoren die betriebswirtschaftlichen Gründe für die Verschlechterung des N-Wertes, der Kennzahlen und der Jahresabschlussposten zu suchen: Im Beispielfall hat das Unternehmen M den Kauf eines anderen Unternehmens mit der Aufnahme von kurzfristigem Fremdkapital finanziert, da die Eigentümer kurzfristig kein Eigenkapital zur Verfügung stellen konnten. Dies hat zur Folge, dass die Eigenkapitalquote sinkt, die Fremdkapitalquote steigt. Die negative Entwicklung des Unternehmens M konnte durch einen Börsengang und die aus den zugeflossenen Mitteln mögliche Bereitstellung von Eigenkapital „aufgefangen“ werden.
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(b) Beispiel:
Mit Hilfe der individuellen Sensitivitätsanalyse kann der Bilanzanalytiker auch den Informationsbereich bzw. die wirtschaftliche Teillage identifizieren, die den stärksten Beitrag zur N-Wert-Änderung leistet. Addiert man die Beiträge der Kennzahlenänderungen eines Informationsbereichs (vgl. Rn. 191), erhält man den Einfluss des Informationsbereichs auf die N-Wert-Änderung. Analog kann der Beitrag einer der drei wirtschaftlichen Teillagen (Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage, vgl. Rn. 191) zur N-Wert-Änderung ermittelt werden.
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Mithilfe des BBR kann der Analytiker zielgerichtet die Kennzahlen und Informationsbereiche des Jahresabschlusses identifizieren, die zur krisenhaften Situation des Unternehmens besonders stark beigetragen haben. Er erhält somit Ansatzpunkte für seine Risiko- und Krisenursachen-Analyse sowie für die daraus zu folgernden Sanierungsmaßnahmen. Auch ein evtl. Erfolg oder Misserfolg der Sanierungsmaßnahmen lässt sich im Folgejahr anhand des neuen Jahresabschlusses mit der individuellen Sensitivitätsanalyse ermitteln. Mit diesen Möglichkeiten bietet das BBR Ansatzpunkte und wertvolle Informationen auch für die Unternehmensleitung und den Abschlussprüfer.
5.3.6 Moody‘s KMV RiskCalc als modernes Verfahren der Jahresabschlussanalyse
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Als ein weiteres am Markt allgemein verfügbares modernes Verfahren der Bilanzbonitätsanalyse hat sich Moody's RiskCalc (RiskCalc) durchgesetzt. Dieses moderne Verfahren der Bilanzanalyse ist eine Weiterentwicklung des zuvor beschriebenen BBR. Auch bei RiskCalc ist analog zum BBR eine fragengeleitete Ursachenanalyse und eine individuelle Sensitivitätsanalyse möglich. Die diesbezüglichen Analysen werden in diesem Abschnitt