Schuldrecht nach Anspruchsgrundlagen. Kurt Schellhammer

Schuldrecht nach Anspruchsgrundlagen - Kurt Schellhammer


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für den einen Fall, dann erst recht für den anderen, der den Gesetzeszweck noch besser erfüllt[28].

      Die teleologische Reduktion wendet eine Rechtsnorm gegen ihren Wortlaut nicht an oder schränkt sie ein. Und der Umkehrschluss argumentiert: Wenn das Gesetz eine Rechtsfolge an einen bestimmten Tatbestand knüpft, gilt es für andere Tatbestände auch dann nicht, wenn sie ähnlich sind[29].

5. Kapitel Der Anspruch

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      Das Zivilrecht lässt sich – im Großen und Ganzen – als ein System von Anspruchsgrundlagen und Gegennormen, von Regeln und Ausnahmen begreifen. Was im Zivilrecht Regel ist und was Ausnahme, bestimmt die gesetzliche Beweislast: Der Anspruchsteller muss die tatsächlichen Voraussetzungen des Anspruchs beweisen, der Anspruchsgegner die tatsächlichen Voraussetzungen der Gegennormen, die den Anspruch verhindern, auslöschen oder hemmen; es sind dies die Einwendungen und Einreden des materiellen Rechts (RN 22).

       Anspruchsgrundlage, Einwendung und Beweislast bilden so das Rückgrat des BGB und des gesamten Zivilrechts.

      Die gesetzlichen Beweislastregeln sind, auch wenn sie erst im Prozess wirksam werden, Bestandteile des materiellen Rechts (RN 22).

       Dieses System gilt nicht nur für Ansprüche, sondern auch für alle anderen subjektiven Rechte.

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      Das Zivilrecht ist objektives Recht, besteht aus Rechtsnormen, die für alle gelten, und regelt die privaten Rechtsbeziehungen zwischen Personen. Daraus entstehen subjektive Rechte und Pflichten. Subjektiv nennt man das Recht des Einzelnen, seine Rechtsmacht zur Befriedigung persönlicher oder wirtschaftlicher Interessen. Ohne subjektive Rechte gäbe es keine Selbstbestimmung (Art. 2 I GG). Man unterscheidet vier Arten: Persönlichkeitsrechte, Sachenrechte, Gestaltungsrechte und Ansprüche.

      Zur Kategorie der Persönlichkeitsrechte gehören das Namensrecht (§ 12) und das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das die Rechtsprechung aus Art. 1, 2 GG ableitet und als „sonstiges Recht“ nach § 823 I schützt.

      Sachenrechte (dingliche Rechte) verleihen eine unmittelbare rechtliche Herrschaft über eine Sache. Gesetzliches Vorbild ist das Eigentum. Nach § 903 S. 1 darf der Eigentümer mit seinen Sachen machen, was er will, und Dritte von ihnen völlig ausschließen. Die anderen Sachenrechte vom Nießbrauch bis zur Grundschuld sind aus dem gleichen Holz geschnitzt. Sie berechtigen zur ausschließlichen Nutzung oder Verwertung einer fremden Sache. Sachenrechte wirken absolut, weil jeder sie respektieren muss und das Gesetz sie nach allen Seiten schützt (§§ 985, 1004 I, 823 I).

      Gestaltungsrechte berechtigen dazu, die Rechtslage durch bloße Willenserklärung unmittelbar zu ändern. Durch Anfechtung kann man seine fehlerhafte Willenserklärung rückwirkend vernichten (§ 142), durch Rücktritt sich von einem Verpflichtungsvertrag lösen (§ 349), durch Kündigung ein Dauerschuldverhältnis wie Miet-, Dienst- oder Gesellschaftsverhältnis beenden (§§ 573, 626, 723).

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      § 194 I definiert den Anspruch verbindlich als das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen, regelt die Verjährung und steht im Allgemeinen Teil des BGB, weil es nicht nur schuldrechtliche, sondern auch sachenrechtliche (dingliche), familienrechtliche und erbrechtliche Ansprüche gibt. Der schuldrechtliche Anspruch, von dem dieses Buch zum größten Teil handelt, heißt nach § 241 I Forderung.

      Der Anspruch beherrscht das Zivilrecht dermaßen, dass es sich – cum grano salis – als ein System von Anspruchsgrundlagen und Gegennormen darstellt. Zivilrechtsnormen begründen Ansprüche oder schließen Ansprüche aus. Gesetzestechnisch ist die Anspruchsgrundlage der gesetzliche Normal- oder Regelfall, die Gegennorm die gesetzliche Ausnahme. Freilich gehört die Mehrzahl aller BGB-Vorschriften weder zu der einen noch zu der anderen Kategorie, sondern zu den Hilfsnormen, die entweder Anspruchsgrundlagen oder Gegennormen ergänzen und sich so zwanglos in das Anspruchssystem einfügen.

      Unbestreitbar regelt das Schuldrecht von vorne bis hinten Ansprüche. Sein Thema ist das Schuldverhältnis. Das Schuldverhältnis aber besteht nach § 241 I hauptsächlich aus der Forderung des Gläubigers und der Verpflichtung des Schuldners. Die Forderung ist der schuldrechtliche Anspruch und die Verpflichtung die Kehrseite der Forderung, denn was der Gläubiger fordern darf, soll der Schuldner leisten und umgekehrt. Ob man das Schuldrecht als ein System von Forderungen oder von Verpflichtungen begreift, ist gehopst wie gesprungen. Das BGB handelt durchweg von Verpflichtungen und formuliert die §§ 433, 535, 611, 631, 812, 823 als Verpflichtungsgrundlagen. Die Praxis hingegen denkt in der Kategorie des Anspruchs und sieht in den zitierten Bestimmungen Anspruchsgrundlagen. Der Grund liegt im Prozessrecht. Mit der Leistungsklage verfolgt der Kläger einen Anspruch und das prägt den Prozess. Das Gericht prüft, ob der Kläger vom Beklagten die begehrte Leistung fordern dürfe. Genauso gut könnte es fragen, ob der Beklagte dem Kläger zu der geforderten Leistung verpflichtet sei.

      Im Allgemeinen Teil des BGB, der auch Gegenstand dieses Buches ist, sind die Ansprüche freilich dünn gesät (§§ 12, 27 III, 31, 31a, 31b, 53, 54 S. 2, 82, 89, 102, 122 I, 160, 179, 228 S. 2, 231). Aber den Allgemeinen Teil darf man nicht isoliert, sondern nur zusammen mit dem Schuld- und Sachenrecht lesen. Denn er formuliert vorweg die allgemeinen Regeln für Willenserklärung, Rechtsgeschäft und Vertrag. Sie aber sind das Fundament aller vertraglichen Ansprüche. Technisch handelt es sich um Hilfsnormen für die Anspruchsgrundlagen und Gegennormen des Schuld- und Sachenrechts.

      Um diesen Zusammenhang sichtbar zu machen, beginnt dieses Lehrbuch nicht mit dem Rechtsgeschäft des Allgemeinen Teils, sondern mit dem Kauf des Besonderen Schuldrechts und mit der Anspruchsgrundlage des § 433. Methodisch führt der Weg vom Kaufvertrag als der Anspruchsvoraussetzung des § 433 über den Verpflichtungsvertrag des allgemeinen Schuldrechts (§§ 311 ff.) zum Vertrag des Allgemeinen Teils (§§ 145 ff.), der aus Willenserklärungen besteht (§§ 116 ff.) und ein Rechtsgeschäft ist (§§ 104 ff.). Das Rad der Rechtsgeschichte lässt sich freilich nicht zurückdrehen. Die große Leistung des BGB besteht darin, dass es allgemeine Regeln für alle Verträge formuliert und vor die Klammer gestellt hat. Vor dieser Klammer sollen sie auch bleiben. Das BGB ist aber kein Lehrbuch, sein Aufbau zwar logisch, aber schwer durchschaubar. Ein Lehrbuch hingegen soll den Stoff ungeniert so gliedern, dass der Leser die rechtlichen Zusammenhänge verstehen kann.

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      Ein Blick in die ZPO und die Prozesspraxis bestätigt die Vorherrschaft des Anspruchs auch im Zivilprozess. Die ZPO kennt nur drei Klagearten: die Leistungs-, die Feststellungs- und die Gestaltungsklage. Die Leistungsklage, die auf eine Verurteilung des Beklagten zielt, verfolgt ausschließlich Ansprüche. Die Verurteilung besteht aus der rechtskraftfähigen Feststellung des Anspruchs und dem staatlichen Leistungsbefehl, der als Vollstreckungstitel die Zwangsvollstreckung rechtfertigt. Die Leistungsklage beherrscht den Zivilprozess. Feststellungs- und Gestaltungsklage spielen nur Nebenrollen. Die Feststellungsklage soll streitige Rechtsverhältnisse klären, ist nach § 256 I ZPO aber nur zulässig, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse an alsbaldiger Feststellung hat. Dieses Interesse fehlt in der Regel schon dann, wenn der Kläger auf Leistung klagen kann. Die Gestaltungsklage


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