Handbuch Arzthaftungsrecht. Alexander Raleigh Walter

Handbuch Arzthaftungsrecht - Alexander Raleigh Walter


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Standard verstößt.“

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      Diesen Überlegungen muss entgegen gehalten werden, dass eine Patientin, bei welcher im Jahr 2002 ein Knoten nach Mammasonographie als unproblematisch eingestuft wurde, aus späteren Untersuchungen ohne medizinische Beratung nicht den Schluss ziehen kann, dass schon im Jahr 2002 eine weitergehende Untersuchung medizinisch zweifelsfrei geboten gewesen wäre, die Unterlassung mithin standardwidrig war, und dass die Untersuchung auch damals schon (definitiv oder mit überwiegender Wahrscheinlichkeit) zur Diagnose eines Mammakarzinoms geführt hätte.[39] Diese Entscheidung ist auf breite Ablehnung gestoßen.[40] Nicht gefolgt werden kann dem OLG Brandenburg auch, soweit es unter Berufung auf die (überholte[41]) Entscheidung des BGH vom 20.9.1983[42] meint, dass eine fachärztliche Bewertung nicht erforderlich sei, weil die Unkenntnis von medizinischen Schlussfolgerungen aus den Behandlungstatsachen für die den Verjährungsbeginn auslösende Kenntnis unerheblich sei. Das OLG Brandenburg übersieht die weitere Entwicklung der Rechtsprechung des BGH bis zu der Entscheidung vom 10.11.2009, in welcher – wie unter Rn. 8 ff. aufgezeigt – die Bedeutung der Kenntnis vom Abweichen vom Standard unterstrichen wurde. Mit den Entscheidungen des BGH vom 8.11.2016[43] und 26.5.2020[44] ist bestätigt worden, dass das Vorliegen von Behandlungsunterlagen nicht ausreicht, dass vielmehr erst eine Überprüfung und fachmedizinische Bewertung zur Kenntnis führt und dass der Gläubiger nicht verpflichtet ist, im Interesse des Schuldners an einem frühzeitigen Verjährungsbeginn eine solche Auswertung vorzunehmen. Nicht gefolgt werden kann daher auch der Ansicht des OLG Braunschweig, die Verjährungsfrist beginne, wenn der vom Patienten beauftragte Rechtsanwalt die Behandlungsunterlagen zur Einsichtnahme erhalten habe, unabhängig davon zu laufen, ob der Rechtsanwalt die Akten auch tatsächlich einsehe.[45] Die Behandlungsunterlagen reichen nach den vorstehend zitierten Entscheidungen des BGH vom 8.11.2016 und 26.5.2020 ausdrücklich nicht aus und medizinisches Fachwissen mussten sich der Patient und sein Anwalt nicht aneignen.

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      Dennoch können unter Umständen aus der Nachbehandlung und nicht zuletzt aus Äußerungen von nachbehandelnden Ärzten zu einem frühen Zeitpunkt Schlüsse auf ein fehlerhaftes Vorgehen zu ziehen sein, die einer Kenntnis vom Abweichen vom ärztlichen Standard sehr nahekommen oder zumindest unter dem Gesichtspunkt grob fahrlässiger Unkenntnis das Unterlassen einer Nachfrage unverständlich erscheinen lassen. Es ist jedoch davor zu warnen, aus (manchmal überheblichen) Andeutungen oder Bemerkungen eines Nachbehandlers eine Kenntnis der Patientin/des Patienten zu konstruieren. Derartigen Bemerkungen fehlt in der Regel die Substanz, die es dem Patienten ermöglicht, sich ein auch nur ungefähres Bild vom ärztlichen Standard und seiner möglichen Unterschreitung zu machen.

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      Nachvollziehbar kommt jedoch das OLG Saarbrücken in seiner Entscheidung vom 18.5.2016 zu dem Ergebnis einer Kenntnis in verjährungsrelevanter Zeit.[46] Die dortige Klägerin hatte sich im November 2009 bei dem beklagten Augenarzt vorgestellt, der eine Netzhautprominenz festgestellt hatte. Im Rahmen einer von der Klägerin selbst angestrebten MRT-Untersuchung im Mai 2010 wurde eine deutliche Vergrößerung des Tumors festgestellt. Den Befund legte die Klägerin dem Beklagten vor, der aber zunächst nichts veranlasste. Erst im November 2010 äußerte der Beklagte den Verdacht auf das Vorliegen eines Aderhauttumors. Die Klägerin wurde über Umwege dann in eine Universitätsklinik überwiesen und dort einem Spezialisten vorgestellt. Das Gespräch mit diesem hatte die Klägerin vor dem Landgericht dahingehend geschildert, dieser Arzt habe ihr gesagt, dass man nicht mehr so viel machen könne, weil sie so spät komme und der Tumor schon zu groß sei. Sie selbst habe darauf erwidert, der Beklagte habe „dieses Ding ja ein Jahr lang wachsen lassen“. Daraufhin habe der Ordinarius in Essen ihr wörtlich erklärt: „Dem gehört in den Arsch getreten.“ Das OLG Saarbrücken hat daraus geschlossen, dass die Klägerin nicht nur von den wesentlichen Umständen des Behandlungsverlaufs, sondern auch vom Abweichen vom ärztlichen Standard schon im November 2010 Kenntnis gehabt habe.

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      Dass ein Patient, der eine Begutachtung durch den MDK oder durch eine Schlichtungsstelle oder Gutachterkommission veranlasst und der auf diesem Wege ein Gutachten erhält, welches schadenskausale Behandlungsfehler bestätigt, durch dieses Gutachten Kenntnis erhält, bedarf keiner näheren Erläuterung.

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      Wird dagegen z.B. in einem MDK-Gutachten der Behandlungsverlauf ausführlich dargestellt und dahingehend bewertet, dass keinerlei Versäumnisse festzustellen seien, hat die Patientin/der Patient keine Kenntnis von einem Behandlungsfehler erhalten.[47] Es reicht nicht, dass der Patient durch das MDK-Gutachten den Behandlungsverlauf kennt, denn es geht gerade um die Frage, ob an dem Verlauf ein schadenskausaler Behandlungsfehler festzumachen ist.[48]

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      Liegt keine medizinische Beratung vor, welche Kenntnis von einer Abweichung vom ärztlichen Standard vermittelt, dann reicht für den Patienten i.d.R. die Kenntnis vom Verlauf nicht.[49]

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      Führen mehrere Behandlungsfehler zu einem Schaden, ist der Lauf der Verjährung für jeden Fehler gesondert zu prüfen, also sowohl die Kenntnis vom Schädiger als auch die Kenntnis vom schadenskausalen Fehler. Stellt sich z.B. im Verfahren gegen die mit der Schwangerschaftsbetreuung befassten Frauenärzte heraus, dass nach der Aufnahme der Schwangeren in die Frauenklinik auch dort grobe Fehler den Schaden nicht abgrenzbar verursacht haben können, beginnt der Lauf der Verjährung gegen die Frauenklinik und die dort beteiligten Ärzte und Hebammen erst mit dieser Kenntnis. Der BGH spricht zu § 852 Abs. 1 BGB a.F. davon, dass dann, wenn mehrere als Ersatzpflichtige ernsthaft in Betracht kommen, die Verjährung erst mit dem Zeitpunkt beginnt, in dem begründete Zweifel über die Person des Ersatzpflichtigen nicht mehr bestehen.[50]

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      Begeht ein Arzt bzw. ein Behandlungsträger sukzessive mehrere Fehler mit jeweils unterschiedlichen Beeinträchtigungen, müssen die subjektiven Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB im Hinblick auf jede einzelne Pflichtverletzung geprüft werden.[51] Fraglich ist jedoch, ob im Rahmen einer konkreten Behandlung, an deren Ende der Schaden steht, unterschiedliche Fehler zu unterschiedlichen Fristläufen führen können. Für den Fall mehrerer Fehler bei einer Anlageberatung hat der BGH in seiner Entscheidung vom 9.11.2007[52] erkannt, dass für jeden Fehler eigenständig der Ablauf der Verjährungsfrist zu prüfen ist. Dem Gläubiger müsse es unbenommen bleiben, ihm bekannt gewordene Aufklärungsfehler hinzunehmen, ohne Gefahr zu laufen, dass deshalb Ansprüche aus weiteren, ihm zunächst unbekannt gebliebenen Aufklärungspflichtverletzungen zu verjähren beginnen.

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      Dem kann jedoch im Behandlungsfehlerbereich der Grundsatz der Einheit einer Behandlung entgegenstehen. So kommt es für den Erfolg der Klage der Patientenseite nicht darauf an, dass genau der Fehler, welcher bei Klagerhebung gerügt wurde, im gerichtlichen Verfahren bestätigt wird. Kommt das Gericht sachverständig beraten zu dem Ergebnis, dass ein anderer Fehler den vom Kläger geltend gemachten Schaden verursacht hat, führt dies zum Erfolg der Klage. Hier kommt dem Kläger die eingeschränkte Substantiierungslast zugute. Verjährungsrechtlich kommt dies dem Patienten in der Weise zugute, dass Streitgegenstand im gerichtlichen Verfahren die gesamte Behandlung ist und die Verjährung mithin auch für nicht ausdrücklich thematisierte Fehler gehemmt ist.[53] Der Nachteil für den Patienten liegt darin, dass im Falle der Klagabweisung von der Rechtskraft der Entscheidung auch Ansprüche aus erst später festgestellten Fehlern erfasst sind.

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      Das führt zugleich dazu, dass im Rahmen einer einheitlichen Behandlung nicht jeder, erst später durch Gutachter aufgezeigte weitere Fehler eine neue Verjährungsfrist auslöst. So sieht das OLG Saarbrücken nach einem


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