Handbuch Arzthaftungsrecht. Alexander Raleigh Walter

Handbuch Arzthaftungsrecht - Alexander Raleigh Walter


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      Es gehört zu den Raritäten des Arzthaftungsprozesses, dass die Patientenseite mit dem Vortrag in die Auseinandersetzung geht, schon in verjährungsrelevanter Zeit von einem schadenskausalen Behandlungsfehler erfahren zu haben. Das OLG Saarbrücken[18] hatte den Fall einer Patientin, die nach Klagerhebung im Jahr 2017 erklärte, der Operateur der beklagten Klinik habe ihr gleich nach der Schilddrüsen-OP im April 2013 erklärt, dass er nicht wisse, was am Tag der OP mit ihm los gewesen sei, er habe geglaubt, die Schilddrüse sei bereits entfernt worden und normalerweise hätte er ein Ultraschallgerät hinzunehmen müssen. Er habe sich für den Fehler entschuldigt und eine schnellstmögliche zweite OP empfohlen. Nennenswerte Hemmungstatbestände lagen nicht vor.

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      Derart offensichtliche Hinweise auf eine frühe verjährungsrelevante Kenntnis liegen üblicherweise nicht vor. Und daher müht sich die Rechtsprechung oft mit Indizien ab, die für oder gegen eine Kenntnis in verjährungsrelevanter Zeit sprechen. Es gibt sicher die einfachen Fälle, in denen die Patientenseite ein bestimmtes Ereignis als Auslöser für eine Prüfung oder Nachfrage benennen kann, z.B. Hinweise einer Krankenkasse nach dort durchgeführter Prüfung oder Hinweise eines Nachbehandlers. Hier lässt sich der (späte) Zeitpunkt der Kenntnis für die Gegenseite leicht nachvollziehbar darstellen.

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      Bleibt dagegen offen, was zu einer späten Prüfung geführt hat, sieht sich die Patientenseite oft Spekulationen der Passivseite ausgesetzt.

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      Auf Spekulationen der Passivseite über frühere Kenntnis oder Erkenntnismöglichkeiten kann ein früher Verjährungsbeginn nicht gestützt werden. Da auch im Zusammenhang mit der Frage grob fahrlässiger Unkenntnis die Patientenseite eine Erkundigungs- bzw. Prüfungspflicht im Interesse des Schuldners an einem frühzeitigen Verjährungsbeginn gerade nicht trifft, kann sie auch nicht verpflichtet werden darzulegen, weshalb sie sich nicht früher Kenntnis verschafft hat.

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      Sowohl die Darlegungslast als auch die Beweislast dafür, dass die Patientin/der Patient in verjährungsrelevanter Zeit die erforderliche Kenntnis hatte (oder grob fahrlässig nicht hatte), liegt bei dem Schuldner. Für die Gläubigerseite reicht es grundsätzlich aus darzulegen, dass Kenntnis erst in verjährungsrechtlich nicht relevanter Zeit eingetreten ist. Und da zur erforderlichen Kenntnis eben nicht allein der negative Ausgang der Behandlung, sondern auch eine konkrete, wenn auch laienhafte Vorstellung davon gehört, dass vom ärztlichen Standard abgewichen wurde, reicht es für die Patientenseite aus mitzuteilen, wann Hinweise auf einen Behandlungsfehler erteilt wurden. Die Beklagtenseite muss, will sie mit der Verjährungseinrede durchdringen, mithin nach Anhaltspunkten für frühere Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis suchen.

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      Im Folgenden werden Fallkonstellationen herausgearbeitet, in denen in mehr oder weniger überzeugender Weise Kenntnis aus Äußerungen der Patientenseite in verjährungsrelevanter Zeit, aus klägerischem Vorbringen zum Behandlungsfehler oder aus Hinweisen aus der Nachbehandlung gefolgert wurde.

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      Um hier nicht Überraschungen ausgesetzt zu werden, müssen Vertreter der Patientenseite eine genaue „Anamnese“ dazu erheben, ob möglicherweise Vorwürfe des Mandanten von einigem Gewicht oder konkrete Hinweise von Nachbehandlern schon früh im Raume standen. Das gilt in besonderem Maße, wenn das Mandat erst spät oder nach einem Mandatswechsel erteilt wird.

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      In den Fällen, in denen bei dem Patienten die Überzeugung von einem schadenskausalen Behandlungsfehler bereits gereift und durch Anschuldigungen oder Anspruchsanmeldung auch nach außen getragen wird, wird es für den Patienten schwierig, sich im Nachhinein auf verbliebene Unsicherheiten bzw. ein weiteres Absicherungsbedürfnis zu berufen. Zwar wird man aus Unmutsäußerungen eines Patienten nicht auf eine Kenntnis von einem Behandlungsfehler schließen dürfen. Wenn jedoch konkret – auch laienhaft – eine medizinische Wertung ausgesprochen wird und mit Nachdruck Forderungen nach Schadensersatz oder gar strafrechtlicher Verfolgung gestellt werden, muss die Patientin/der Patient damit rechnen, dass ihr/ihm unterstellt wird, dass ein haftungsbegründendes Fehlverhalten in ihr/sein Bewusstsein getreten ist und Kenntnis von einer schadenskausalen Standardunterschreitung als (verjährungsrechtlich ausreichende) Parallelwertung in ihrer/seiner Laiensphäre vorlag.

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      Bei dem Versuch des Patienten, Behandlungsfehlervorwürfe z.B. gegenüber der Gutachterkommission zu substantiieren, muss tatsächlich noch keine Kenntnis vorliegen. Darauf weisen Jaeger[19] und Goehl[20] zutreffend hin. Der Patient muss aber damit rechnen, an der von ihm selbst oder in seinem Auftrag von seinem Anwalt behaupteten Kenntnis festgehalten zu werden.

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      Es ist daher hoch riskant, nach konkret ausformulierter Schadensersatzforderung mehr als 3 Kalenderjahre ohne Verjährungshemmung verstreichen zu lassen. Das wird an den nachfolgend referierten Beispielen aus der Rechtsprechung deutlich.

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      So hatte es der BGH in seiner Entscheidung vom 31.10.2000[21] mit einem Fall zu tun, in welchem der Kläger schon vorprozessual konkrete Vorwürfe im Zusammenhang mit den Folgen einer ERCP der Gallengänge und des Pankreasgangsystems erhoben hatte. Der Patient hatte etwa fünf Monate nach der Feststellung einer Infektion diese auf die ERCP zurückgeführt und erklärt, es sei bekannt, dass eine derartige Untersuchung eine Infektion der Bauspeicheldrüse auslösen könne, es hätte eine vorbeugende antibiotische Therapie eingeleitet werden müssen und die Unterlassung sei fehlerhaft gewesen. Unter Hinweis auf das klinische Wörterbuch von Pschyrembel hatte er anwaltlich vertreten zudem dargelegt, dass die ERCP bei ihm angesichts einer akuten Pankreatitis wegen der Gefahr der Auslösung eines Schubs kontraindiziert gewesen und die Anwendung der ERCP als schwerer ärztlicher Kunstfehler anzusehen sei.

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      Gegen die Verjährungseinrede nach der mehr als drei Jahre später erhobenen Klage hat der Patient versucht, seine Behandlungsfehlervorwürfe als Vermutungen zu relativieren. Erst ein über die Krankenkasse eingeholtes MDK-Gutachten habe eine ausreichend sichere Kenntnis über das behandlungsfehlerhafte Vorgehen ergeben.

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      Dem hat der BGH entgegengehalten, dass eine Gewissheit, wie sie sich der Kläger durch dieses Gutachten verschaffen zu können hoffte, für die Kenntnis i.S.d. § 852 Abs. 1 BGB a.F. nicht erforderlich sei. Der Verjährungsbeginn setze keineswegs voraus, dass der Geschädigte bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand habe, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Es müsse dem Patienten lediglich zumutbar sein, aufgrund dessen, was ihm hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufs bekannt sei, Klage zu erheben, wenn auch mit verbleibendem Prozessrisiko, insbesondere hinsichtlich der Nachweisbarkeit eines schadensursächlichen ärztlichen Fehlverhaltens. Dabei war für den BGH auch von Bedeutung, dass der Anwalt des Klägers mit den Behandlungsfehlervorwürfen bereits eine Klagerhebung in Aussicht gestellt hatte.

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      Mit ähnlicher Argumentation hatte das OLG München in einer Entscheidung vom 6.2.1992[22] den Vorwurf der Patientin gegen Unfallchirurgen, deren unzureichende Reaktion auf Schmerzen nach einer Radiustrümmerfraktur habe zu einem Morbus Sudeck geführt, ausreichen lassen, von Kenntnis i.S.d. § 852 Abs. 1 BGB a.F. auszugehen.

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      Die bereits für sich in Anspruch genommene Kenntnis und entsprechende Behauptung, durch Behandlungsfehler


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