Fälle zum Medizin- und Gesundheitsrecht, eBook. Silvia Deuring

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müsste sich nachträglich geändert haben. Es müsste also ein Verhalten des A nach 1979 vorliegen, aus dem sich die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit des A zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergibt.

      aa) Unwürdigkeit

      Unwürdig zur Ausübung des ärztlichen Berufs ist ein Arzt, wenn er durch sein Verhalten nicht mehr das Ansehen und Vertrauen besitzt, das für die Ausübung seines Berufes unabdingbar ist.[19] Erforderlich ist also ein so schwerwiegendes Verhalten des Arztes, das bei Würdigung aller Umstände seine Berufsausübung zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung als untragbar erscheinen lässt.[20] Dies ist dann der Fall, „wenn ein bestimmtes Verhalten gegeben ist, das nicht mit der Vorstellung übereinstimmt, die die Bevölkerung allgemein vom Arzt hat“[21]. Das Verhalten muss noch nicht einmal notwendigerweise berufsbezogen sein, jedenfalls nicht bei schwerwiegenden Vorsatztaten.[22] Dabei ist keine Prognose anzustellen, ob der Arzt in Zukunft seine beruflichen Pflichten zuverlässig erfüllen wird.[23] Vielmehr reicht eine Gesamtbetrachtung vergangener Umstände zur Beurteilung, ob eine Unwürdigkeit zur Ausübung des Arztberufes vorliegt, aus. Sowohl der Abrechnungsbetrug, die Körperverletzung, die Bedrohung als auch die Beleidigung kommen als Anknüpfungspunkte für die Bewertung des Verhaltens des A in Betracht.

      (1) Abrechnungsbetrug

      Gegen A wurde 2015 aufgrund Betruges, § 263 Abs. 1 StGB, in acht Fällen ein rechtskräftiger Strafbefehl festgesetzt. Dieser wirkt gemäß § 410 Abs. 3 StPO wie ein rechtskräftiges Strafurteil. Grundsätzlich können Behörden tatsächliche sowie rechtliche Feststellungen in einem rechtskräftigen Strafurteil einer Entscheidung zugrunde legen, ohne insoweit selbst eine gegenständliche oder rechtliche Bewertung vornehmen zu müssen.[24] Etwas anderes kann nur gelten, wenn gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Feststellungen der strafrichterlichen Entscheidung ersichtlich sind.[25] An solchen Anhaltspunkten, die substantiiert und nachprüfbar dargelegt werden müssten, fehlt es vorliegend. Die bloße Behauptung, der Vorsatz wurde nur zur Vermeidung einer Publikumswirkung gegenüber der Staatsanwaltschaft eingeräumt, ist schon nicht qualifiziert dargelegt. Zumindest aber legt das Vorbringen des A, die Abrechnungen seines erfahrenen Mitarbeiters in Gänze nicht überprüft zu haben, das Vorliegen eines dolus eventualis nahe, bei dem der Eintritt des Erfolges vom Täter gerade auch unerwünscht sein kann.[26] Die Annahme eines vorsätzlichen Abrechnungsbetruges kann also im vorliegenden Verfahren für die Beurteilung der Unwürdigkeit zugrunde gelegt werden.

      Des Weiteren müsste dieser Abrechnungsbetrug ein Verhalten darstellen, das die Unwürdigkeit zur Ausübung des Arztberufs i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BÄO begründet. Die korrekte Abrechnung der ärztlichen Leistungen gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen gehört zu den Berufspflichten eines Arztes.[27] Grundsätzlich können auch Aspekte der ärztlichen Tätigkeit, welche außerhalb der Behandlung, wie sie naturgemäß die primäre Tätigkeit des Arztes darstellt, liegen, eine Unwürdigkeit begründen; eines behandlungsrelevanten Aspekts bedarf es insoweit nicht.[28] Auf dieser Grundlage können die Dankesschreiben der Patienten als Ausdruck der Patientenzufriedenheiten keinen Einfluss auf die Bewertung der Unwürdigkeit haben. Der Abrechnungsbetrug zu Lasten der Solidargemeinschaft der Versicherten[29] stellt bereits für sich genommen eine gravierende berufliche Verfehlung dar, derer ein Arzt unwürdig ist. Dass die Abrechnungsfehler erst später entdeckt wurden, ist insoweit irrelevant. Denn bereits mit Einreichung der fehlerhaften Sammelerklärungen und der damit einhergehenden Abrechnungen zu Gunsten des A ist der Tatbestand des Betruges erfüllt[30] und die Berufspflicht verletzt. Aufgabe der KVB ist es nicht, Leistungsabrechnungen der Ärzte zu deren Schutz zu prüfen, sondern Schäden von der Gemeinschaft der Versicherten abzuwenden.

      Schon der Abrechnungsbetrug stellt daher ein Verhalten dar, das zur Annahme der Unwürdigkeit führt. Die Tatsache, dass der Strafrichter durch die Wahl des Strafbefehlsverfahrens, ein Verfahren, das auf die Ahndung minder schwerer Delikte zugeschnitten ist, inzident eine schwere Verfehlung verneint hat, steht einem Widerruf im Übrigen nicht entgegen.[31]

      (2) Fahrlässige Körperverletzung, Bedrohung, Beleidigung

      Ferner existiert ein rechtskräftiger Strafbefehl wegen fahrlässiger Körperverletzung, § 229 StGB, in Tatmehrheit (§ 53 StGB) mit Beleidigung, § 185 StGB, in Tatmehrheit (§ 53 StGB) mit Bedrohung, § 241 Abs. 1 StGB, gegen A.

      Die Eigenart der Körperverletzung als unerheblicher Einzelfall könnte – insbesondere aufgrund des Fehlens eines Vorsatzes – gegen eine Beurteilung als unwürdiges Verhalten sprechen. Zumindest aber eine Gesamtschau mit den anderen Delikten, die vorsätzlich begangen wurden, lässt keinen anderen Schluss als eine Bewertung dieses Verhaltens als unwürdig zu. Denn der Widerruf der Approbation ist keine Sanktion des Arztes, die bei einem bloßen Einzelfall ihren Zweck verfehlen würde. Vielmehr dient der Widerruf dem Schutz des Ansehens der Ärzteschaft als Ganzes in den Augen der Öffentlichkeit.[32] Dass die im Strafbefehl festgesetzte Geldsumme bereits bezahlt wurde, ändert nicht das dem Strafbefehl zugrundeliegende Verhalten des A. Insoweit kommt der Strafzahlung bloße Sanktionswirkung zu, die beim Widerruf der Approbation gerade keine Rolle spielt.

      (3) Zwischenergebnis

      Damit liegen mehrere Taten des A vor, aus denen sich die Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergibt.

      bb) Unzuverlässigkeit

      Überdies könnte sich der Widerruf der Approbation auf eine Unzuverlässigkeit des A stützen lassen. Unzuverlässig ist ein Arzt dann, wenn er aufgrund seines bisherigen Verhaltens nicht mehr die Gewähr dafür bietet, dass er in Zukunft seinen Beruf als Arzt ordnungsgemäß ausüben wird.[33] Dabei ist darauf abzustellen, ob Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Arzt künftig seine berufsspezifischen Pflichten nicht beachten wird.[34] Hierbei ist ein näherer Bezug zur Berufsausübung notwendig als bei der Unwürdigkeit.[35] Abzustellen ist bei der Beurteilung auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids.[36] A zeichnete wiederholt innerhalb von mehreren aufeinanderfolgenden Quartalen hinweg Abrechnungen ungeprüft ab und nahm Fehler daher zum einen billigend in Kauf. Zum anderen geht dieses Verhalten über einen „bloßen Delegationsfehler“ hinaus, denn die sorgsame Überwachung von Angestellten gehört zu den originären ärztlichen Berufspflichten. Die bei der Bestimmung der Zuverlässigkeit angezeigte prognostische Betrachtung deutet aufgrund der Breite und Tiefe der Verfehlungen darauf hin, dass auch in Zukunft eine nur geringe Bereitschaft des A zur ordnungsgemäßen Ausübung des Arztberufs zu erwarten ist. Ein Abrechnungsbetrug ist geradezu besonders geeignet, die Zuverlässigkeit eines Arztes in Zweifel zu ziehen, da den Arzt im Rahmen der kaum zu kontrollierenden Abrechnung mit den Krankenkassen eine besondere Verantwortung für die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Gesundheitsfürsorge trifft und der Missbrauch der dadurch eingeräumten Vertrauensstellung durch betrügerische Falschabrechnung die Bereitschaft zur ordnungsgemäßen Berufsausübung eines Arztes massiv in Frage stellt.

      Auch die Tatsache, dass seit Entdeckung der fehlerhaften Abrechnungen von 2008 und 2009 keine Beanstandungen mehr gegen A vorliegen, ändert hieran nichts, denn das strafrechtliche Verfahren endete erst 2015. Es ist allgemein anerkannt, dass einem Wohlverhalten unter dem Druck eines schwebenden Strafverfahrens regelmäßig kein besonderer Wert beizumessen ist.[37] Insoweit ist dieser Umstand also von der Gesamtbetrachtung auszunehmen und die Prognoseentscheidung zu korrigieren.

      Als Ergebnis einer Gesamtschau der Vorfälle ist A als unzuverlässig i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BÄO anzusehen.

      c) Rechtsfolge

      § 5 Abs. 2 S. 1 BÄO ist eine gebundene Entscheidung, sie lässt keinen Ermessensspielraum der Behörde zu. Mit Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung muss die Behörde den Widerruf der Approbation erlassen.

      4. Bindungswirkung der Entscheidung der KVB

      Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die KVB nur ein Disziplinarverfahren gegen A einleitete, ihm aber nicht die


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