Grundriss Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Andrea Wechsler

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      Das Patent hat in der Praxis größte Bedeutung. Zahlen mögen dies belegen: In der Bundesrepublik Deutschland wurden beim Deutschen Patent- und Markenamt in München im Jahre 2020 über 62 105 Patentanmeldungen eingereicht. Einschließlich der mit Wirkung für Deutschland vom Europäischen Patentamt erteilten Patente (Rn. 902 ff.) bestanden 2020 in Deutschland insgesamt 132 336 Patente.

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      § 1 I PatG verlangt für die Erteilung eines Patents

- eine Erfindung, die
- neu,
- gewerblich anwendbar ist,
- auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

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      Zentralbegriff des Patentrechts ist die Erfindung. Wie das Wort „Erfinden“ schon sagt, liegt das Wesen der Erfindung darin, dass etwas gefunden wird. Gefunden kann aber nur das werden, was schon da ist. Was ist dies hier? Es ist eine durch die Natur vorgegebene technische Regel. Wir sehen also: Die Erfindung ist kein bloßes Gebilde der Fantasie, enthält keine Einmaligkeit des individuellen menschlichen Geistes, ist also keine Schöpfung, sondern entspricht einem in der Natur bereits vorgegebenen geistigen Prinzip. Daraus erhellt sich, dass mehrere Menschen unabhängig voneinander dieselbe Erfindung machen: Doppelerfindungen. Es ist bekannt, dass bestimmte Erfindungen „oft in der Luft liegen“.

      Beispiel:

      Die Doppelerfindung zeigt sich z.B. in der Geschichte des Zündholzes: zunächst erfunden vom Engländer Cooper 1825, nach anderen vom Studenten Kammerer in Ludwigsburg und schließlich von Lundström in Schweden, wo es wirtschaftlich genutzt wurde.

      Bei einer Schöpfung, einem Werk, kann wegen der Einmaligkeit des individuellen menschlichen Geistes keine Duplizität eintreten. Das Gedicht „Die Glocke“ konnte von keinem anderen als Schiller geschaffen werden.

      An diesen beiden Beispielen zeigt sich die Abgrenzung des Patents vom Urheberrecht. Das Werk als Gegenstand des Urheberrechts entspricht der Individualität des menschlichen Geistes, ist damit einmalig. Die Erfindung als Gegenstand des Patents hingegen enthält keine Einmaligkeit des menschlichen Geistes; Erfinder sind ersetzbar.

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      Nachdem wir nun ganz allgemein erkannt haben, worum es bei der Erfindung geht, wollen wir uns dem Begriff im Einzelnen zuwenden.

      Das Gesetz definiert den Begriff Erfindung nicht und eine allseits anerkannte Festlegung gibt es nicht.

      Der Ausgangspunkt ist jedoch klar: Die Erfindung bezieht sich auf das Gebiet der Technik. Ein häufig in Gerichtsentscheidungen vorkommendes Argument ist Technizität.

      Wir gehen zunächst von folgender, im Ansatz leichten, allgemeinen Begriffsbestimmung aus: Eine Erfindung ist eine Lehre zum technischen Handeln. Diese sieht die Rechtsprechung in einer Anweisung zum planmäßigen Handeln unter Einsatz beherrschbarer Naturkräfte zur Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolges. Welche beherrschbaren Naturkräfte ausgenutzt werden, ist dabei gleichgültig. Es können die der Physik, der Chemie oder der Biologie sein. Allein durch die Naturkräfte muss der angestrebte Erfolg erreicht werden, also ohne Zwischenschaltung von Verstandeskräften.

- Beispiele für Erfindungen, bei denen mit Kräften der Physik und Chemie gearbeitet wird, sind uns allen bekannt.
- Problematisch sind hingegen die Erfindungen, die sich auf die lebende Materie beziehen. Hierzu gibt das Gesetz eine Reihe von Regelungen: - Nach § 1 II PatG sind biotechnologische Erfindungen patentfähig, wenn sie ein Erzeugnis, das aus biologischem Material (das ist nach § 2a III Ziff. 1 PatG ein Material, das genetische Informationen enthält und sich selbst reproduzieren oder in einem biologischen System reproduziert werden kann) besteht oder dieses enthält, oder wenn sie ein Verfahren, mit dem biologisches Material hergestellt oder bearbeitet wird oder bei dem es verwendet wird, zum Gegenstand haben. Auch biologisches Material, das mit Hilfe eines technischen Verfahrens aus seiner natürlichen Umgebung isoliert oder hergestellt wird, kann Gegenstand einer Erfindung sein. Beispiel: Für ein Biotechunternehmen wurde Patentschutz für krebszerstörende Viren erteilt. Diese biotechnologische Erfindung ist patentfähig, weil sie ein Erzeugnis zum Gegenstand hat, das aus biologischem Material besteht (§ 1 II, S. 1, 1. Alt. PatG). Viren stellen nämlich biologisches Material dar, das sich nicht selbst reproduzieren kann, sondern ein biologisches System zur Reproduktion benötigt (§ 2a III Ziff. 1, 2. Alt. PatG). - Patentfähig sind auch Erfindungen, deren Gegenstand Pflanzen oder Tiere sind, wenn die Ausführung der Erfindung technisch nicht auf eine Pflanzensorte oder Tierrasse beschränkt ist (§ 2a II Ziff. 1 PatG). - Weiterhin sind solche Erfindungen patentfähig, die ein mikrobiologisches oder ein sonstiges technisches Verfahren oder ein durch ein solches Verfahren gewonnenes Erzeugnis zum Gegenstand haben; Ausnahmen: Pflanzensorten und Tierrassen (§ 2a II Ziff. 2 PatG).

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      Schöpfungen hingegen, die nicht mit den Mitteln der Naturkräfte arbeiten, sondern lediglich zur Welt des Geistes gehören, können nicht Gegenstand einer Erfindung sein, wie etwa:

- Schöpfungen auf dem Gebiet der Kunst, Literatur, Wissenschaft und Wirtschaft. - Davon ausgehend versteht sich auch § 1 III PatG, wonach Entdeckungen, wissenschaftliche Theorien, mathematische Methoden, ästhetische Formschöpfungen, Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, für Spiele oder für geschäftliche Tätigkeiten sowie die Wiedergabe von Informationen nicht als Erfindungen angesehen werden. - Von großer praktischer Bedeutung ist es, dass Programme für Datenverarbeitungsanlagen (Computersoftware) urheberrechtsfähig, aber nicht patentfähig sind (§ 1 III Ziff. 3 PatG). Diese Problematik wurde bereits oben (Rn. 10) thematisiert. Die Patentunfähigkeit gilt nach § 1 IV PatG jedoch nur insoweit, als für die Software „als solche“ Schutz begehrt wird. Hier entstehen häufig Probleme, denn es kommt oft vor, dass Computerprogramme im Rahmen einer Patentanmeldung eine Rolle spielen, etwa bei einer Steuerungseinrichtung; man spricht hier, wie wir bereits wissen, von computerimplementierten Erfindungen (Rn. 9). Nehmen wir zunächst den einfachsten Fall: Es wird ein reines Computerprogramm als solches als Patent angemeldet. Dieses wird mangels Technizität als Nichterfindung gemäß § 1 III Ziff. 3 PatG abgelehnt. Problematisch sind die Anmeldungen, die computerimplementierte Verfahren in einem Nebeneinander mit technischen Merkmalen aufweisen. Dies ist der Fall, wenn Software in technische Abläufe eingebunden ist, etwa durch Verarbeitung von Messergebnissen oder Steuerung, Regelung und Überwachung des Ablaufs technischer Einrichtungen (z.B. PKW-Motorsteuerung, ABS). In derartigen Fällen lehnt der BGH einen Patentschutz nicht ab, wenn – über die unabdingbare Technizität hinaus – verfahrensbestimmende Anweisungen enthalten sind, welche die Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln zum Gegenstand haben (z.B. BGH: GRUR 2004, 667 – Elektronischer Zahlungsverkehr; Az. X ZB 22/07 vom 20.1.2009 – Steuerungseinrichtung
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