Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band. Hugo Friedländer
marktschreierischen Monogramme verleidet worden. Herr Professor Dr. Muther hat einmal im Interesse des die Kunstausstellung besuchenden und kaufenden Publikums gehandelt, in der Hauptsache war es ihm aber darum zu tun, den Namen Böcklin nicht verdunkeln zu lassen. Er hielt sich für verpflichtet, der Welt mitzuteilen, daß von Arnold Böcklin Bilder an die Öffentlichkeit kommen, die entweder nicht von ihm oder nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Professor Muther hat daher in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt. Daß der Artikel temperamentvoll geschrieben ist, gebe ich zu. Professor Muther, der vom Staate angestellt ist, um die akademische Jugend Kunstgeschichte zu lehren, hat die Pflicht, darüber zu wachen, daß die Kunstgeschichte nicht gefälscht wird. Wenn ein solcher Mann seine schützende Hand über das Strahlende hält, wie es in dem vorliegenden Falle geschehen ist, dann kann er nicht anders als temperamentvoll schreiben. Professor Muther muß aber auch schon deshalb freigesprochen werden, da er jedenfalls nicht die Absicht der Beleidigung hatte. Carlo Böcklin ist Herrn Professor Muther vollständig gleichgültig, ein Stück Luft. Carlo Böcklin ist ein ganz einfacher Maler, der nichts versteht. Wenn Professor Muther jeden Maler, der nichts kann, beleidigen wollte, dann käme der Herr Angeklagte nicht aus dem Gerichtssaale heraus. Laut Reichsgerichtsentscheidung steht aber dem Angeklagten schon der § 193 des Strafgesetzbuches zur Seite, wenn er nur glaubt, in Wahrnehmung berechtigter Interessen zu handeln. Daß Professor Muther diesen Glauben gehabt hat, muß doch auf alle Fälle angenommen werden. Die Freisprechung des Angeklagten muß daher aus juristischen Gründen erfolgen. Mag aber Ihr Urteil ausfallen, wie es wolle: Herr Professor Muther geht aus dem Prozeß als glänzender Sieger hervor. Er hat jedenfalls das Bewußtsein, der Welt, speziell der Kunst, einen großen Dienst geleistet zu haben.
Vertreter des Privatklägers, R.-A. Dr. Jaffé: Ich bin selbstverständlich nicht imstande, auf alle Einzelheiten einzugehen, die der Herr Verteidiger vorgebracht hat. Jedenfalls hat der Herr Kollege eine Reihe unerwiesener Behauptungen hier angeführt. Soviel steht fest, die venetianischen Bilder sind echt, zum mindesten ist deren Unechtheit nicht nachgewiesen. Die ausgestellten Bilder sind doch nur als »Böcklinscher Nachlaß« bezeichnet worden. Daß Carlo Böcklin den Wahrheitsbeweis nur auf die Venetianische Ausstellung beschrankt haben wollte; kann man ihm nicht verdenken. Im übrigen ist von der ganzen Beweisaufnahme nur der Fall Hermes übriggeblieben. In diesem Falle ist aber Carlo Böcklin weder eine Fälschung noch ein Betrug nachgewiesen worden. Auch hat Professor Muther diesen Fall noch nicht gekannt, als er den inkriminierten Artikel schrieb. Im übrigen hat Herr Professor Muther die »Jagd der Diana« später als echt anerkannt. Ich bestreite, daß Professor Muther sein Temperament zugute kommen kann. Ein Mann mit dem wissenschaftlichen Ruf eines Professors Muther hatte jedenfalls die Verpflichtung, sich die Gewißheit zu verschaffen, daß seine Behauptungen wahr seien, ehe er einen solchen Artikel schrieb. Aus dem Artikel geht zweifellos hervor, daß der Angeklagte die Absicht der Beleidigung hatte. Ich wiederhole daher meinen vorhin gestellten Antrag.
Verteidiger Justizrat Bernstein: Der Herr Vertreter des Privatklägers ist doch im Irrtum, wenn er sagt, in dem Hermesschen Falle trifft Carlo Böcklin keine Schuld. Die Beweisaufnahme hat im Gegenteil den unumstößlichen Beweis erbracht, daß Carlo Böcklin sich in diesem Falle in bewußter Weise der Fälschung und des Betruges schuldig gemacht hat. Im übrigen ist doch entscheidend, daß Professor Schwartz, ein Freund der Familie Böcklin, eidlich bekundet hat, es seien ihm fünf Bilder bekannt, an denen Carlo mit tätig gewesen ist. Dies ist doch das tatsächlich Entscheidende für den Prozeß.
Es nahm darauf das Wort der Privatangeklagte, Professor Dr. Muther. Er erklärte mit tiefbewegter Stimme: Ich habe bereits als junger Münchener Student, im Verein mit Gurlitt und Lichtwark, Arnold Böcklin als einen der größten Meisler der Malkunst hochverehrt. Ich wollte, daß ihm der Platz in der Kunstgeschichte angewiesen und erhalten bleibt, der ihm gebührt. Um so mehr betrübte es mich, als die Kunde zu uns drang, der Meister, von dem bekannt war, daß er lieber darbe, als dem Geschmack der Menge Rechnung trage, sei nun plötzlich auch Produzent geworden, um viel verkaufen zu können. Sehr bald verbreitete sich die Kunde, daß der Alte keineswegs alles produziere, sein Sohn Carlo sei nicht mehr Sekretär, sondern sein Mitarbeiter. Als ich am 17. Januar 1901 die Nachricht von dem Tode Böcklins erhielt, geriet ich in tiefste Erregung. Ich habe dieser meiner Seelenstimmung in einer an demselben Abend gehaltenen Gedenkrede Ausdruck verliehen. Um so mehr war ich empört, als ich im März 1901 nach Venedig kam und dort Sudeleien sah, die als echte Böcklins ausgegeben wurden. Eine förmliche Wut überkam mich. Ich hielt es für meine Pflicht, die Schmach, die nach meiner festen Überzeugung dem Altmeister angetan war, zu beseitigen und sein Bild der Kunstgeschichte rein zu erhalten. Deshalb habe ich den inkriminierten Artikel geschrieben. Es ist ja schwer, mit mathematischer Gewißheit den Beweis zu führen, daß ein Bild gefälscht sei. In diesem Falle ist aber mein Verdacht wenigstens bezüglich des »Polyphem«, der »Vision« und der »Meeresidylle« vollständig bestätigt worden. Es ist auch nachgewiesen worden, daß man Bilder als von der Hand des Meisters gemalt ausstellte, die von diesem gar nicht mehr hergestellt sein konnten. Ich wollte, daß Arnold als einer der größten Künstler und als hervorragender Mensch für alle Zeiten in der Geschichte fortlebt. Ich sah aber, daß man in der Familie Böcklin daran geht, den Namen des großen Meisters zu verunglimpfen. Deshalb fühlte ich mich genötigt, den Artikel wie geschehen, zu schreiben. Ich bin kein Jurist. Wenn ich in der Form gefehlt haben sollte, so muß ich die Strafe auf mich nehmen. Wie Ihr Urteil auch ausfallen möge, ich habe jedenfalls das Bewußtsein, der Kunst einen großen Dienst geleistet zu haben. Eine beleidigende Absicht hat mir ferngelegen. Allein ich mußte Carlo beleidigen, um Arnold zu schützen.
Nach etwa halbstündiger Beratung des Gerichtshofes verkündete der Vorsitzende, Amtsgerichtsrat Domanski, folgendes Urteil: Der Privatangeklagte, Professor Dr. Muther, hat zugegeben, den inkriminierten Artikel in der illustrierten Zeitschrift »Der Tag« verfaßt und seine Veröffentlichung bewirkt zu haben. In diesem Artikel wird dem Privatkläger, Carlo Böcklin, der Vorwurf der Fälschung und des Betrugs gemacht. Er wird beschuldigt, Bilder als von der Hand seines Vaters gemalt, ausgestellt und verkauft zu haben, obwohl sein Vater entweder gar nicht oder nur durch Anfertigung einer Skizze an der Herstellung dieser Bilder beteiligt war. Es ist weiter behauptet worden, der Privatkläger betreibe des Geldes halber Massenproduktion und gebe diese Bilder als Werke seines Vaters aus. Es ist dem Privatkläger ferner Vatermord vorgeworfen und gesagt worden, daß er den Namen seines Vaters schände. Daß dies schwere Beleidigungen sind, kann keinem Zweifel unterliegen. Die bona fides (gute Glaube) soll dem Angeklagten von vornherein zugestanden werden. Allein, da die Anklage nicht auf Grund des § 187, sondern des § 186 des Strafgesetzbuches erhoben ist, so kommt dies hierbei nicht in Betracht. Der Gerichtshof hat den Wahrheitsbeweis auf die Behauptungen des Angeklagten, d.h. auf die Venetianische Ausstellung beschränkt. Der Gerichtshof ist nun aüf Grund der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, daß dem Angeklagten der Wahrheitsbeweis vollständig mißglückt ist. Die Zeugen von Tschudi, Röbbecke, Landsinger, Knoppf und Müller-Coburg, haben die fünf bis sechs Bilder, deren Echtheit angezweifelt war, im Atelier des Arnold Böcklin gesehen zu einer Zeit, als Carlo noch gar nicht Maler war. Diese Bekundungen sind von den anderen Zeugen, die sich im übrigen nur gutachtlich geäußert haben, nicht widerlegt worden. Von dem Falle Hermes hat der Privatangeklagte erst Kenntnis erhalten, nachdem er seinen Artikel veröffentlicht hatte. Dieser Vorgang, der sich der Prüfung des Gerichts entzieht, kann daher dem Angeklagten nicht zugute kommen. Der Gerichtshof gesteht dem Angeklagten rückhaltlos das Recht zu, das Andenken des großen Künstlers Arnold Böcklin nicht beflecken zu lassen. Wenn der Angeklagte dies tun wollte, dann durfte er sich aber nicht auf bloße Behauptungen beschränken, sondern mußte sie wissenschaftlich begründen. Der Angeklagte hat jedoch auch leichtfertig gehandelt, indem er einen so schwerwiegenden Verdacht aussprach, ohne ihn beweisen zu können. Der Angeklagte wäre verpflichtet gewesen, sich, ehe er den Artikel schrieb, volle Gewißheit von der Richtigkeit seiner Behauptungen zu verschaffen. Wollte er sich nicht an Carlo Böcklin wenden, dann hätte er bei den Freunden des Arnold Böcklin sich erkundigen können. Da dies der Angeklagte unterlassen hat, so steht ihm der Schutz des § 193 des Strafgesetzbuches nicht zur Seite. Aus der Form des Artikels geht auch die Absicht der Beleidigung hervor. Der Angeklagte ist daher im Sinne der §§ 185 und 186 des Strafgesetzbuches zu bestrafen. Mit Rücksicht auf die Persönlichkeit und die Stellung des Angeklagten ist von einer Freiheitsstrafe Abstand genommen